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Ausgabe:

1981

Spalte:

560-562

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Valentin, Heinrich

Titel/Untertitel:

Aaron 1981

Rezensent:

Reventlow, Henning

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559

Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 8

560

Norin, Stig I. L.: Er spaltete das Meer. Die Auszugsüberlieferung in
Psalmen und Kult des Alten Israel. Übers, v. Ch. B. Sjöberg. Lund:
Liber Läromedel 1977. XIV, 235 S. 8* = Coniectanea Biblica, Old
Testament Series, 9. skr 38.-.

Die durch G. Gerleman (Lund) betreute Dissertation hat sich viel
vorgenommen. Möchte sie doch eine vielverhandelte Frage von
einem speziellen Aspekt aus zu lösen versuchen, von dem Gesichtspunkt
der poetischen Ausgestaltung der alttestamentlichen Auszugstraditionen
vornehmlich im Psalter her. Hier gilt es, einige Vorklärungen
zu treffen, die fast die Hälfte des Umfangs der Studie ausfüllen
, ehe der Autor an die eigene Untersuchung der Psalmenaussagen
gelangt. Ihn interessiert zunächst einmal die Terminologie, die in den
poetischen Texten Verwendung gefunden hat und die er in einem
sehr engen Zusammenhang mit der vorderorientalischen Mythologie
stehen sieht. So beschäftigen den Vf., abgesehen von Grundsatzerklärungen
zum Verständnis von Mythos überhaupt, die mythologischen
Termini fhom, jam, nahar, liwjatan, tannin, rahab, wobei die drei
zuletzt Genannten Urgewässerungeheuer bezeichnen, die aus der
ägyptischen Mythologie stammen (Apep-Mythos) und sich mit der
kanaanäischen Linie (jam und nahar) vermischt haben. Es wird der
Versuch unternommen, kanaanäische Kulte in Ägypten nachzuweisen
und umgekehrt die Vermischung in den Ugarittexten schon anheben
zu sehen. Sie scheint aber erst im Alten Testament (im Buche
Hiob) voll durchgeführt zu sein. Die Klärung des Verhältnisses zwischen
den poetischen Überlieferungen und den in Prosa gehaltenen
Traditionen steht im Interesse einer Ortung der chronologischen und
geographischen Verhältnisse, in welche das alttestamentliche Material
geordnet werden muß. In diesem Zusammenhang erfährt Ex 15
eine eigene Untersuchung, in welcher Norin auch eine Rekonstruktion
des Ur-Meeresliedes vornimmt. Einen starken Akzent trägt die
Behandlung der einschlägigen Psalmen. Es werden unter thematischer
Raffung folgende Stücke herangezogen: Auszug und Wasserungeheuer
: Ps 74; 89; Jes 51,9-10; der entmythisierte Wassergott: Ps
77; 106; die Jordanüberschreitung: Ps 66; 114; die ägyptischen Plagen
: Ps 78; 105; Auszug ohne Mythos: Ps 80; 81; 136; und schließlich
Psalmen mit nur geringfügiger Anspielung auf die Auszugstradition
: Ps 18; 29; 33; 111; 118; 124; 135; Nah 1,2-9; Hab 3, während
der von Mowinckel und H.-J. Kraus in die Exodusüberlieferung verwiesene
Ps 68 durch Norin der Sinaitradition mit ihren Theophanie-
schilderungen zugeordnet wird. Anhand der aus den überlieferungsgeschichtlichen
Untersuchungen der Prosatexte und von Ex 15 her
gewonnenen Ergebnisse werden die durchgenommenen Psalmen jetzt
zeitlich, thematisch und strukturell geordnet. Es ist schon instruktiv
und interpretabel, welche Topoi der Auszugsüberlieferungen in den
einzelnen Psalmen aufgenommen worden sind. Nach des Vf. Überzeugung
erlebt die Exoduspoesie im 7. Jh. v. Chr. ihre Blütezeit, in
welcher das Mythologische zurücktritt und das Historische stark
betont wird. Mit anderen nordisraelitischen Überlieferungsmaterialien
gewinnt in dieser Zeit auch die Auszugstradition Eingang in den
Jerusalemer Kult. Die mythologische Ausprägung zeigt sich dann
wieder stärker in den exilisch-nachexilischen Adaptionen der Exodusthematik
. Norin vermag bei seinen Studien auch deuteronomisti-
schen von priesterschriftlichem Einfluß zu unterscheiden. P und D
stehen nach seinem Dafürhalten in einem starken Gegensatz zueinander
. In einem letzten Kapitel wendet sich die Arbeit des schwedischen
Wissenschaftlers der ,Auszugsfeier' in Israel zu, für die er
jeweils Elemente schon in der Wüstenzeit, im kanaanäischen Kulturland
, dann aber auch in der Königszeit, in der exilischen wie nachexi-
lischen Epoche namhaft zu machen bemüht ist. Für dieses Vornehmen
ist es notwendig, zur Problematik des Passahfestes sowie des
Festes der ungesäuerten Brote Stellung zu nehmen und das Aufeinan-
derbezogensein dieser ursprünglich selbständigen kultischen Begehungen
historisch und inhaltlich zu bestimmen. Für die älteste Kultfeier
in der Wüste werden Ex 15,20 und Ex 32 herangezogen, bei der
offenbar Aaron eine zentrale Rolle spielte (vgl. Ex 32,4; Ri 20,26ff; 1
Kön 12,28), während eine Kombination mit Passah und Mazzot-Fest

noch nicht erkennbar ist. Norin glaubt feststellen zu können, daß das
jahwistische und priesterschriftliche Erzählgut eine Verbindung der
Auszugsfeier mit den passah- und massot- Kulten nicht vornimmt,
die deuteronomistische Redaktion dagegen sehr wohl. Sie ist es auch,
die eine starke anti-aaronitische Haltung einnimmt. Die Dinge stellen
sich nach dieser Untersuchung sehr viel differenzierter dar, als es auf
den ersten Blick den Anschein hatte, und das wird richtig sein.

Die von Norin vorgelegte Arbeit macht einen guten Eindruck. Sie
stellt einen wissenschaftlich möglichen und ernsthaft zu erwägenden
und künftig auch zu berücksichtigenden Beitrag zur Lösung der komplizierten
Exodus-Problematik des Alten Testaments dar. Manchen
Kombinationen und Zuversichtlichkeiten in der Quellenbeurteilung
vermag man nicht so schnell zu folgen und wünschte, daß es so sein
möchte, wie es der Vf. zu sehen imstande ist. Die forschungsgeschichtlichen
Beiträge sind etwas zu knapp ausgefallen. Für die religionsgeschichtlichen
, historischen und geographischen Fragen des
Themas erfährt O. Eißfeldt eine starke Aufwertung. Insgesamt kann
man es schon so empfinden, wie der Autor es in seiner Einleitung selber
formuliert: die Abhandlung gewinnt zuweilen „den Charakter
eines Puzzlespiels, bei dem es gilt, die richtigen Teilstücke zu finden,
wohl auch das eine oder andere selbst zuzuschneiden, und schließlich
das Ganze so zusammenzufügen, daß sich das fertige Bild erkennen
läßt" (2). Ob das methodisch immer so ohne weiteres möglich ist,
mag die Frage an diese Monographie sein. Aber vielleicht kann man
bei der gegenwärtigen Forschungssituation zum Gegenstand nicht
anders verfahren.

Leipzig Siegfried Wagner

Valentin, Heinrich: Aaron. Eine Studie zur vorpriesterschriftlichen
Aaron-Überlieferung. Freiburg/Schweiz: Universitätsverlag; Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht 1978. VIII, 441 S. gr. 8* = Orbis
Biblicus et Orientalis, 18.

Die moderne Drucktechnik (Photodruck) macht das Erscheinen
umfangreicher Bücher möglich, die in dieser Form früher nicht zum
Druck gelangt wären. Auch das, nach Auskunft des Vf. (Vorwort,
VII; vgl. auch 269-270. 287), um über ein Drittel gekürzte Manuskript
der Münsteraner Kath.-Theol. Dissertation hat einen Band von
einem Umfang ergeben, der (wie der Vf. selbst weiß, 216) den Leser
auf eine harte Geduldsprobe stellt.

Nicht zuletzt liegt der Umfang daran, daß wir erneut eine von der
Richterschen Methodik geprägte Untersuchung vor uns haben (wobei
allerdings - gegen Richter - die Formkritik nicht grundsätzlich der
Literarkritik nachgeschaltet werden soll, 28), die zum größten Teil
aus langatmigen Einzelexegesen besteht. Für den Vf. ist „eine mit
möglichst großer Sorgfalt betriebene Literarkritik" (30) - die, wie wir
belehrt werden (120), Motive, Einzelworte und Wendungen auf ihr
sonstiges Vorkommen hin untersucht - entscheidend und erst die
Grundlage für überlieferungsgeschichtliche Überlegungen, und in'der
Tat zeichnet großer Fleiß und das Bestreben, auch nicht die kleinste
Beobachtung unerwähnt zu lassen, die gesamte Arbeit aus.

Gegen methodische Sorgfalt ist selbstverständlich nichts einzuwenden
, auch wenn der Tenor mancher Bemerkungen nicht selten den
kaum abzuschüttelnden Eindruck einer Schularbeit hervorruft.
Irgendwie ist es aber wohl kein Zufall, daß diese Bedachtsamkeit
jeweils an den entscheidenden Stellen meist einer kühnen Hypothesenfreudigkeit
Platz macht - einer Hypothesenfreudigkeit, die an die
klassischen Zeiten der Literarkritik alter Schule zurückerinnert, wo
man in ganz ähnlicher Weise den Glauben an die Folgerichtigkeit
einer bestimmten analytischen Methodik mit scheinbar evidenten
Vorstellungen vom Gang der israelitischen Literaturgeschichte verband
, die dann in überraschender Weise von den Ergebnissen der
Textanalysen bestätigt wurden. Das Problem ist nur, daß diese Vorstellungen
heute so gar nicht mehr einleuchten wollen!