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Ausgabe:

1981

Spalte:

506-507

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Weymann, Volker

Titel/Untertitel:

Glaube als Lebensvollzug und der Lebensbezug des Denkens 1981

Rezensent:

Birkner, Hans-Joachim

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 7

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Dübendorf Ernst Saxer

1920 sich immer mehr mit Calvins Kommentaren befassend, ist ja geln und Dämonen (St. spricht von «panenergisme divin»). Gegen W.

unterdessen seit den 50er Jahren auch zu einer eingehenderen Würdi- Niesei und T. F. Torrance belegt St., daß jeder Mensch, auch Heide

gung Calvins als Prediger vorgestoßen (Arbeiten von R. Stauffer, E. und Sünder, Träger der Gottebenbildlichkeit (imago Dei) ist (wie des

Mülhaupt, T. H. L. Parker, R. Peter u. a.). semen religionis, der Rez.), als «creature raisonnable» und somit(!)

St.s Gliederung des Stoffs entspricht dem Aufbau von Inst. I: Gott und dem Nächsten verpflichtet (201-205).

Kap. 1 (19-51) Die allgemeine Offenbarung = Inst. 1,1-5 Die Vorsehung (Kap. 6) wird von St. zunächst überraschend vom

Kap. 2 (53-104) Die spezielle Offenbarung = Inst. 1,6-9 Predigtgebrauch her als «negation de la fortune» (261) und von daher

Kap. 3 (105-150) Die Eigenschaften Gottes = Inst. 1,10-12 als Ausdruck der alles führenden Macht Gottes bestimmt. Daß tat-

Kap. 4 (151-176) DieTrinität = Inst. 1,13 sächlich hier alle Aussagen der Vorsehungslehre Calvins (Providentia

Kap. 5 (177-259) DieSchöpfung = Inst. 1,14—15 generalis und specialis) zusammenlaufen, kann der Rez. aufgrund ei-

Kap. 6 (261-302) Die Vorsehung = Inst. 1,16-18 gener Analysen (noch ungedruckte Habil.schrift) nur unterstützen

Die Unterscheidung von allgemeiner und spezieller Offenbarung und bestätigen. Auch dem Geheimnis des Bösen gegenüber bleibt der

(Kap. 1) begründet St. mit den Aussagen Calvins, wonach sich Gott Christ in der praktischen Frömmigkeit in Lob und Anbetung des

einerseits in der Natur des Menschen, dem Universum und - weniger Werks des verborgenen Gottes.

betont - in der Geschichte wie in einem Buche oder Spiegel zeigt (St. St.s Schlußfolgerungen unterstreichen die Wichtigkeit der Theolo-

spricht von manifestation de Dieu), andererseits speziell in Jesus gie des 1. Artikels bei Calvin, für welchen «tout ce qui est scriptuaire

Christus, bezeugt in der Schrift des Alten und Neuen Testamentes, of- est essentiel» (303). Calvin wird damit zu Recht wieder ein Stück von

fenbart. Damit soll nicht eine „natürliche Offenbarung (im Sinne des einer allzu barthianischen Interpretation befreit, seine humanisti-

Streits Barth-Brunner) behauptet werden. Gott kann nicht in seiner sehen Züge und seine frömmigkeitlich-praktische Ausrichtung treten

Majestät, sondern nur in seiner in der Offenbarung erfolgenden Ak- wieder stärker hervor.

kommodation an den Menschen erkannt werden (der Gedanke der Nebst einer Fülle von Material und wichtigen Einzelkorrekturen

aecommodatio stammt aus Origenes und Augustin und wurde Calvin am Bild der Theologie Calvins hat das Buch St.s vorzügliche Register,

durch Erasmus vermittelt). Fraglich scheint dem Rez. allerdings, ob themenspezifische Literaturzusammenstellungen und einen kurzen

die von St. so genannte „allgemeine Offenbarung" wirklich dem für Überblick über die wichtigsten bisherigen Arbeiten zu Calvins Pre-

die eigentliche Offenbarung zutreffenden Konzept der Akkommoda- digt anzubieten, vor allem eben auch Zitate aus den noch ungedruck-

tion untergeordnet werden kann (so 21.54). - St. stellt in Calvins Pre- ten Manuskripten. Für ein lebendiges Bild von Calvin ein unentbehr-

digten einen ausgedehnten Gebrauch der Vorstellung vom allen gege- liches Werk!
benen semen religionis fest, das dem Menschen nicht nur die Erkenntnis
Gottes als des Schöpfers und Erhalters, sondern auch als des
Erlösers vom Bösen vermitteln sollte (25). Die Sünde ändert nichts
an dieser Manifestation Gottes (31), aber wir werden durch sie dafür

„taub und blind" (32). Die sog. allgemeine Offenbarung dient also bei w7mann> v°'ker: Glaube als Lebensvollzug und der Lebensbezug

r„ ■ _ ,„ w . .Ml , . .. . , ... des Denkens. Eine Untersuchung zur Glaubenslehre Friedrich

Calvin dem Festhalten an Gottes Majestät und der Unentschuldbar- „ ,, . , ,,° . , , . _ .„

........ , . , „ , . „,.,, Schleiermachers. Gottingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1977.

keit der Sunde, die dann besteht, sich Gottes nach eigenem Willen zu 26, § gf g. = Studjen zm xheologie und Geistesgeschichte des

bemächtigen („assujett.r", 21). Neunzehnten Jahrhunderts, 25. Kart. DM 57,-.

Kap. 2 behandelt die Schrift als unserem Verständnis angepaßte
Offenbarung Gottes. Mit dem Begriff der Akkommodation geht Cal- Die Schrift bietet die überarbeitete Fassung einer bei G. Ebeling an-
vin Probleme wie das antropomorphe Reden von Gott oder das Ver- gefertigten Dissertation, die bereits 1973 der Theologischen Fakultät
hältnis Gen 1 - Naturwissenschaft an. Er tut dies allerdings nicht in Zürich eingereicht worden ist. In den Stichworten des Haupttitels
konsequent - St. kann belegen, wie Calvin das kopernikanische Welt- sind die theologischen Motive dieser Untersuchung zur Glaubensbild
um 1556 verurteilt hat (55.187f). Die Schrift offenbart alles für lehre genannt. Sie verhandelt ausgewählte Texte und Themen unter
uns Notwendige, liefert uns aber das Geheimnis Gottes nicht aus (56). dem Gesichtspunkt, „daß dem Denken Schleiermachers, was das
St. zeigt, daß das Ziel von Calvins Schriftauslegung nicht einfach chri- Verständnis des Glaubens als Lebensvollzug und den Lebensbezug
stologische Interpretation, sondern «la vraye et droite religion» (60) des Denkens anbelangt, Einsichten und Anregungen zu entnehmen
'st, womit Calvin von Luther abgegrenzt und in die Nähe Zwingiis ge- sind, die man schwerlich als überholt wird betrachten können" (12).
nickt wird. Für die wörtliche Inspiration der Schrift finden sich keine Vf. bezieht sich primär auf die 2,Auflage des Werkes (1830/31), beBelege
in den Predigten (65), auch nicht für die bekannte dogmatische rücksichtigt jedoch auch die Erstfassung von 1821 /22, daneben an-
Wendung des testimonium Spiritus saneti internum, dessen Werk vor dere Schriften und Zeugnisse. Von den fünf Kapiteln, in die sich seine
allem als Erleuchtung («illuminer») beschrieben wird, als freie Gabe Arbeit gliedert, sind die beiden ersten dem Themenbereich der EinGottes
, notwendig zum Erfassen der biblischen Botschaft, leitung (und Grundlegung) der Glaubenslehre zugewandt. Schleier-

ln der Lehre von Gottes Eigenschaften kann St. zeigen, wie der Ge- machers Theorie der Religion (der „Frömmigkeit") wird erörtert un-
danke einer absoluten potentia Dei von Calvin ausdrücklich abge- ter der Überschrift „Ausrichtung des theologischen Denkens auf das
lehnt wird (die Macht Gottes ist von seiner Güte und Gerechtigkeit Leben - dargestellt an Paragraph 3 bis 6 der Glaubenslehre" (1.
bestimmt, 115) und wie Calvin auf die Frage nach der Gerechtigkeit Kap.). Die Theorie dogmatischer Sätze und der Aufriß des Werkes
Gottes u. a. mit der nicht in der Inst, enthaltenen These einer «double werden erörtert unter dem Titel „Sprache und Leben: Die Bildung
iustice» in Gott antwortet - eine als Regel für das menschliche Han- dogmatischer Aussagen und der Aufbau der Glaubenslehre in ihrer
dein offenbar, die andere als verborgene Regel von Gottes Handeln Orientierung am Lebenszusammenhang von Frömmigkeit" (2. Kap.).
(womit freilich die Frage nach der potentia absoluta von neuem auf- Im weiteren stehen Grundthemen der materialen Dogmatik zur Detaucht
, der Rez.). batte: „Sünde und Gnade als Hemmung und Förderung des Lebens"

Über die Trinitätslehre (Kap. 4) schweigt Calvin fast völlig in sei- (3. Kap.), „Gott als Grund des Lebens" (4. Kap.). Das abschließende

nen Predigten, auch in den Jahren 1553-1558 während der Ausein- 5. Kap. „Denken und Leben: Zum Verhältnis von Theologie und

andersetzungen mit Servet, Sozzini, Valentin Gentiiis und anderen. Philosophie" nimmt eine vieldiskutierte Frage auf, die über die Glau-

Zur Schöpfungslehre bringt Kap. 5 reiches Material, das die er- benslehre hinausgreift,

staunlich knappen Ausführungen der Inst, aus den Predigten ergänzt. Der Begriff „Leben" ist so aspektreich, daß er den Fragestellungen

Calvin vertrat ein biblisch-geozentrisches Weltbild, mit dem Glauben aller fünf Kapitel als Leitvokabel zu dienen vermag. In der ausgiebi-

an einen allgegenwärtig wirkenden Gott, in Naturerscheinungen, En- gen Handhabung des Begriffs gehen zitierender und interpretierender