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Ausgabe:

1981

Spalte:

501-502

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Lorz, Jürgen

Titel/Untertitel:

Das reformatorische Wirken Dr. Wenzeslaus Lincks in Altenburg und Nürnberg 1981

Rezensent:

Blaschke, Karlheinz

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 7

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meisten Fragen bleiben bei der Lektüre der Abschnitte über Luther
offen, der „den Gefahren seines zornmütigen Temperaments und seiner
polemischen Kraft allzuoft erlegen" sei (24), der, mit der bekannten
Formulierung von J. Lortz, erneut gefragt wird, ob er ein Hörer
des Wortes Gottes im „vollen Sinn" geworden sei (25.); dieser Frage
wird mit der zweifelhaften Methode, Luthers Urteile über den Jakobusbrief
in drei Zeilen zu resümieren, besondere Dringlichkeit verliehen
. S. 32 f wiederholt Iserloh seine bekannte und vieldiskutierte
These, daß ein Thesenanschlag nicht stattgefunden hat, woraus er erneut
die noch größere Verantwortung der Bischöfe folgert.

Sehr knapp orientiert der Vf. über die Heidelberger und die Leipziger
Disputation. Wenig aufschlußreich ist für einen nicht schon näher
mit diesen Schriften vertrauten Leser der Abschnitt über die reformatorischen
Schriften von 1520.

Die Entwicklungslinien der Reformationsgeschichte bis 1529 und
sodann die Fortsetzung seit dem Reichstag zu Augsburg sind zutreffend
erfaßt. Der § 13, „Luthers Kirchenbegriff und seine Zwei-
Reiche-Lehre" überschrieben, scheint mir für das erste Problem die
Tatsachen sehr zu vereinfachen; z. B. ist der Satz: „Die wahre Kirche
ist für ihn (L.) keine Kirche der Sünder, sondern der Heiligen" (73)
mehr als mißverständlich. Sehr gut, m. E. vielen protestantischen
Darstellungen des schwierigen Sachverhalts sogar überlegen, wird
Luthers Auffassung von den beiden Regimenten als den zweierlei Regierweisen
Gottes kurz verdeutlicht.

Einzelheiten der Reformationsgeschichte (Zwingli, die Täufer, der
Calvinismus) müssen hier nicht eigens diskutiert werden; sie sind jedenfalls
richtig proportioniert der Darstellung der großen Zusammenhänge
eingefügt.

Die Literaturliste weist unter den Überschriften „Gesamtdarstellungen
", Martin Luther (Biographien, Theologie) Lücken auf. Z. B.
fehlen Moellers Reformationsgeschichte und Ebelings Lutherbuch.
Dagegen erscheinen Autoren wie K. A. Meissinger und P. Hacker.
H. Asmussens Buch (197) heißt „Warum noch lutherische Kirche?"
(1949). Es fehlen ferner beispielsweise G. Müllers Buch „Die römische
Kurie und Politik während des Pontifikates Clemens VII.",
'969, oder K. Deppermanns neue Melchior-Hofmann-Biographie,
um von anderem nicht zu reden.

Wenn die Arbeit von R. Pietz zu Schwenckfeld genannt wird, so
dürfte die wichtigere von G. Maron nicht fehlen.

Sehr unbefriedigend sind die Literaturratschläge zum Thema „Wesen
und Wirkung der Reformation". Für § 23 vermißt man sogar alle
Literaturangaben, die gerade wegen der interessanten Darstellung im
Text mit Gewinn zur Kenntnis genommen würden. Diesen und anderen
derartigen Mängeln wird leicht abzuhelfen sein. Das Buch wird
s,ch mit Sicherheit wegen seiner leichten Lesbarkeit auch in der Neufassung
wieder im Lehrbetrieb und zur Einführung in die Probleme
sehneil durchsetzen.

Neuendettelsau Friedrich Wilhelm Kantzenbach

Lorz, Jürgen: Das reformatorische Wirken Dr. Wenzeslaus Lincks in
Altenburg und Nürnberg (1523-1547). Nürnberg: Stadtarchiv
1978. XXXIX, 320 S. 8° = Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und
Landesgeschichte, 25.

Diese Erlanger theologische Dissertation von 1975 setzt die unvollendet
gebliebene, von Wilhelm Reindell (Marburg 1892) verfaßte
Biographie eines Mannes aus der 2. bis 3. Garnitur reformationsgeschichtlicher
Persönlichkeiten bis zu ihrem Ende fort. Sie nimmt die
Lebensgeschichte des aus Colditz in Sachsen stammenden Linck, Generalvikars
des Augustiner-Ordens, dort auf, wo er im Juli 1522 als
Nachfolger von Didymus-Zwilling in das Predigtamt an der Alten-
hurger Bartholomäus-Kirche berufen wurde. Dort erwartete man von
'hm, daß er die in der Stadt entstandene „große Bewegung" dämpfte,
die tumultuarisch verlaufenden Ansätze der Reformation in geordnete
Bahnen lenkte und mit den durch die mächtige Stellung des Augustiner
-Chorherrenstifts (Bergerkloster) hervorgerufenen schwierigen
Problemen fertig wurde. Linck schaffte mit Beginn des Jahres
1523 die jährliche Rathausmesse ab, spendete in der darauf folgenden
Fastenzeit das Abendmahl zum ersten Male in Altenburg sub utra-
que, legte Ende Februar das Generalvikariat nieder, um „dem Papsttum
den Laufpaß zu geben" und verheiratete sich im April. Man erlebt
also an seiner Person die Durchsetzung der Reformation in einem
konkreten Fall mit dem ganzen Spiel der fördernden und widerstrebenden
Kräfte: dem Widerstand des Bergerklosters, des Stadtklerus
und der Franziskaner, dem Willen des Rates zur reformatorischen
Neuordnung und der hinhaltend-duldenden und darum letztlich förderlichen
Haltung des sächsischen Kurfürsten. Der sehr eng mit Luther
vertraute, dem „verehrten Vater" tief ergebene Linck erwies sich
in Altenburg als ein tüchtiger Praktiker, dessen sehr von Luther abhängige
reformatorische Schriften jener Jahre wenig theologische
Eigenständigkeit zeigen.

Im August 1525 folgte er einem Ruf nach Nürnberg, wo er im Auftrag
des Rates als Prediger am Hl. Geist-Spital zunächst die Nonnen
des Clarissenklosters mit ihrer klugen Äbtissin Charitas Pirkheimer
regelrecht „bearbeitete", um die Auflösung des Klosters herbeizuführen
. Die Bemühungen mußten als ergebnislos eingestellt werden.
Linck hat dann mehr als 20 Jahre lang in der Reichsstadt als Prediger
und Seelsorger gewirkt, worin seine eigentliche Stärke lag. Der Rat
zog ihn mehrfach zu Ratschlägen und Gutachten in kirchenpolitischen
Fragen heran, doch stand er hier in seiner zurückhaltenden, toleranten
Art im Schatten von Osiander. Gegen die Täufer wollte er
lieber mit geduldiger Unterweisung als, wie jener, mit der Todesstrafe
vorgehen. Als echter Lutheraner lehnte er in gefährlicher Zeit nach
dem 2. Speyrer Reichstag den Widerstand gegen den Kaiser ab. Er
wirkte an der neuen Nürnberger Kirchenordnung mit, verfaßte ein
Gutachten über den Augsburger Reichstag von 1530 und nahm an
den Religionsgesprächen in Hagenau und Worms 1540/41 teil. Die
exegetischen Schriften seiner Nürnberger Zeit über die Psalmen und
das Alte Testament waren bald vergessen, Predigten, Trost- und Erbauungsschriften
waren Früchte seiner seelsorgerlichen Tätigkeit.
Seine Schrift „Pabsts Gepräng" wollte die übertriebene Prachtentfal*
tung an der Kurie bloßstellen. Der ständig von Luthers Rat abhängige
Linck lehnte 1539 eine Berufung als Superintendent nach Leipzig ab,
auch seine Theologie drehte sich ganz um Luthers Rechtfertigungslehre
, ein selbständiger Systematiker war er nicht. Am 12. März 1547
ist er gestorben.

Ein chronologisches Verzeichnis weist von 1515 bis 1546 rund 250
von Linck abgesandte und empfangene Briefe nach. Sein Gutachten
zum Bedenken der Nürnberger Juristen von 1531 über die Kirchenordnung
wird im Originaltext abgedruckt, desgleichen 18 bisher unbekannte
Briefe Lincks vor allem an Spalatin, seinen Nachfolger in
Altenburg. Die bisherige Zuschreibung von zwei Schriften eines Ni-
codemus Noricus an Linck wird aus inneren Gründen abgelehnt. -
Insgesamt gewährt die Arbeit einen Einblick in das reformatorische
Geschehen an der Basis, wo in zwei bedeutenden Städten ein geistig
vollkommen von Luther abhängiger Theologe jedesmal im Auftrag
des Rates als der weltlichen Obrigkeit zu deren Werkzeug gemacht
wurde. So findet man hier ein lehrreiches Beispiel dafür, wie die Reformation
als eine geistliche Bewegung doch recht bald in den Interessenbereich
der politischen Kräfte hineingezogen worden ist.

Friedewald/b. Dresden Karlheinz Blaschke