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Ausgabe:

1981

Spalte:

498-499

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Fuhrmann, Horst

Titel/Untertitel:

Deutsche Geschichte im hohen Mittelalter 1981

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 7

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zinierende Ungenauigkeit" der kyrillisierenden Theologie des 6. Jh. -
man könnte so fortfahren). Aber nicht nur stilistisch, auch inhaltlich
begegnet ein ebenso farbenreiches wie quellengesättigtes Panorama
mit immer wieder überraschenden Durchblicken. Als Paradestück
darf wohl Justinians „Zickzackkurs" und neben ihm Theodora,
die „große, vielgeschmähte Kaiserin" gelten (Kap, 2-4). Mit ganz
leichter Hand wird hier einer der kompliziertesten Abschnitte der
Kirchen- und Dogmengeschichte transparent gemacht, und der Vf.
findet dabei auch noch Gelegenheit, die kirchengeschichtliche „Einzelerscheinung
" Justinians (37) eigens zu profilieren. Ein Kabinettstück
meisterlicher Darstellung ist schließlich der auf eine einzige
Druckseite fixierte Schattenriß des vielumstrittenen Ps-Dionysios
(Petrus Fullo?) mit seinem Versuch, „ein traumhaftes Weltbild aufzubauen
", das mit seiner „Systematik der negativen Theologie" zeichenhaft
ist „für das notwendige Versagen alles Redens von Gott"
und das bei aller hierarchischen Stufung doch immer wieder „den
Gedanken der ,Nähe' Gottes betont, an der gemessen die Abstände
in seinen Hierarchien' irrelevant werden." Wie großzügig-frei
steht eine solche Perspektive über der konventionellen Ps-Dionysios-
Kritik!

Von Becks unbekümmert zupackender Wirklichkeitsfreude unterscheidet
sich der Beitrag von Ewig zur Merowingerzeit ganz erheblich
, u. zw. vor allem durch seine historische Distanz und seine Überfrachtung
mit Einzelheiten. Gewiß ist es keine leichte Aufgabe, einen
rein historischen Zeitüberblick im Rahmen eines Werkes zu geben,
das in geschichtlicher Hinsicht ebenso informieren wie referieren
Will, wobei obendrein alle „innerkirchlichen" Verhältnisse (s.
Baus/Vogt) zu übergehen sind. Dennoch, die Wiedergabe historischer
Wirklichkeit bleibt einfach schattenhaft, wenn etwa der Langobardeneinfall
in Italien von 568 lediglich wie eine friedliche .^Besetzung"
bestimmter Städte und Landstriche behandelt (1520 und nur aus
einer lateinischen Fußnote aus Paulus Diaconus (154, Anm. 4) ersichtlich
wird, wie es dabei tatsächlich zuging. Überhaupt beschränkt
sich der Darstellungshorizont allzu sehr auf die Ebene von Namen,
Beziehungen, Familienzusammenhängen, Verträgen, Klostergründungen
, Bistumsbesetzungen, d. h. auf das abstrakte politischgeographische
Kräftespiel, alles mit zahllosen Einzelheiten (auch die
Fußnoten beginnen anzuschwellen), ohne daß die doch wahrlich
grell-bunte Frühgeschichte des Christentums bei Franken und Angelsachsen
wirklich lebendig würde. Ewigs historische Leistung ist
sicher keinesfalls gering zu veranschlagen. Aber eine ertragreiche
Lektüre versprechen diese Kapitel eigentlich nur dem Fachmann, der
die übergreifenden Zusammenhänge kennt und beherrscht.

Mehr als die Hälfte des ganzen Bandes II/2 beansprucht schließlich
die Darstellung des „innerkirchlichen Lebens" (d. h. Papsttum,
kirchliche Organisation, Liturgie und Seelsorge, Mönchtum und
theologische Diskussionen) durch K. Baus (Kap. 17-18 und 21) und
H. J. Vogt (Kap. 19-20 und 22-23). Eindrucksvoll beginnt Baus mit
dem Vandaleneinfall in Nordafrika, wobei Victor von Vita und damit
die Wirklichkeit von Mord und Brand kräftig zur Sprache
kommen. Zu kurz gekommen ist dagegen die Darstellung Papst Gregors
des Großen, doch leidet auch dieser Papst darunter, daß sein Lebenswerk
nur in zerstückter Form (165ff Ewig, 207ff Baus, 317ff
Vogt) dargeboten wird. Gregors Amtsantritt zur Zeit der großen Pest
~ eine der eindrucksvollsten Szenen des Früh-Mittelalters - und überhaupt
der ganze tiefschwarze Horizont der damaligen Zeit entfallen
einfach. Einen wichtigen informativen Beitrag liefert Baus dagegen in
Kap. 21 (Lateinisches Mönchtum von der Mitte des 5. bis zum
Ende des 7. Jahrhunderts, 265ff), wo die ganze neuere Erforschung
der frühmittelalterlichen Mönchsregeln, voran die Entstehungsgeschichte
der Regula S. Benedicti, aufgearbeitet wird.

Demgegenüber verraten die von H. J. Vogt ausgearbeiteten Kapitel
e'ne in einem Handbuch nicht statthafte Neigung zur Spezialistendiskussion
, wobei der Vf. vor allem seine ausgebreitete Kenntnis kirchlicher
Synodalkanones heranzieht. Abschnitte wie der über die Liturgien
des 5. und 6. Jh. sind eigentlich nur für besondere Fachleute

interessant (und verstehbar). Davon abgesehen beginnt auch hier die
Einzelheit, ja die Kleinigkeit den Zusammenhang des Ganzen zu
überwuchern. Beachtenswert bei Vogt ist sein zuweilen hervortretendes
kritisches Engagement, z. B. in der theol. Beurteilung des Gne-
sioaugustiners Fulgentius von Rüspe (297ff). Hie und da verwechselt
der Vf. das gegenwärtige theologische Interesse mit der tatsächlichen
Bedeutung einer geschichtlichen Erscheinung, so z. B. wenn er die
dem griechischen Osten anstößige christologische Formulierung des
„tomus Leonis" von 449 (451) durch den Diakon Rusticus (!) für
„stillschweigend . .. korrigiert" erklärt (306). Störend im Handbuchzusammenhang
wirken die manchmal etwas schulmeisterlichen
Interjektionen, etwa wenn der Vf. es bei Facundus von Hermiane
„vielleicht heute noch hilfreich findet", daß die Kirchenväter wie die
Himmelslichter manchmal Verfinsterungen erleiden, wenn sie in
Streitigkeiten untereinander geraten, „die wir nicht,verstehen (!) und
nicht gutheißen können" (304).

Desiderata: S. 11 u. 30: Der Terminus „Diptychen" bleibt unerklärt,
fehlt im Register, desgleichen „Scrutinien"' S. 252; Euagrios Pontikos (Beck)
wird in Bd. II/l (Baus) Evagrius geschrieben. König Thrasamund (Register)
wird S. 280 u. 299 nur Trasamund geschrieben. Leontius von Byzanz S. 29,
Anm. 9 müßte im Register erscheinen. S. 292 f: Wer ist Fabian? Schade ist, daß
in dem ganzen Bd. II die altkirchliche Mystik immer nur am Rande auftaucht.

Erlangen Karlmann Beyschlag

Kirchengeschichte: Mittelalter

Fuhrmann, Horst: Deutsche Geschichte im hohen Mittelalter von der

Mitte des 11. bis zum Ende des 12. Jahrhunderts. Göttingen: Van-
denhoeck & Ruprecht 1978. 245 S. 8" = Deutsche Geschichte,
2. Kart. DM 15,80.

Der Autor ist durch sein 3-bändiges Werk über die Wirkungsgeschichte
der pseudoisidorischen Dekretalen den Lesern der ThLZ bekannt
(102, 1977 Sp. 404^109). Der hier vorgelegte Band wendet sich
an breitere Kreise. Erbietet einen gut lesbaren Text, der die Dramatik
der mittelalterlichen Geschichte ausgezeichnet vermittelt. Er bringt
häufig direkte Zitate aus den Quellen, auch wichtige Urteile aus dem
19. und 20. Jh. werden eingestreut. Das Thema ist so weit gefaßt worden
, daß ständig auch außerdeutsche Erscheinungen in den Blick
kommen, - was ebenso erfreulich wie notwendig ist. Das gilt in starkem
Maße auch für die Kirche, die jene Jahrhunderte wesentlich mit
geprägt hat. Nach einer Einführung „Deutsche Geschichte im hohen
Mittelalter - Begriffe, Erklärungen, Daten" beginnt Fuhrmann im
Teil I mit einer Schilderung des deutschen Reiches um die Mitte des
11. Jh. Darin formuliert erfolgende Überschriften: Kap. 2 „Rex et sa-
cerdos - Priesterliches Königtum Heinrichs III. (1039-56)"; Kap. 4
„Heinrich III. als römischer Patricius und die deutschen Päpste";
Kap. 5 „Ziele und Anfänge der Kirchenreform". Die Bedeutung der
kirchlichen Gesichtspunkte wird noch deutlicher in der Überschrift
für Teil II: „Vom Christus Domini zum Antichrist: Das deutsche Königtum
und der Investiturstreit" (S. 65-110). Gemeint ist der Tatbestand
, daß der deutsche König als der Gesalbte des Herrn (Christus
Domini) bezeichnet wurde, bis das Urteil umschlug und man in ihm
ein Werkzeug des Antichrist sah. „Der Umbruch der Werte ging ungewöhnlich
schnell vor sich; das herausragende Ereignis war die Absetzung
des deutschen Königs Heinrichs IV. 1076" (S. 65). Die Vorgänge
werden zunächst stark biographisch von den beiden Hauptakteuren
her gesehen: Gregor VII. und Heinrich IV. Die sich abzeichnende
Entwicklungslinie wird dann verallgemeinert in der zugespitzten
Überschrift „Der Weg zum säkularisierten Staat und zur Priesterkirche
" (S. 96-110). Die Bedeutung des Wormser Konkordats 1122
wird unterstrichen: „Nun sollten Kirche und Staat getrennt sein;
ohne Zugriff auf das Amt verlieh der König den geistlichen Reichsfürsten
nur die Regalien. Heinrich V. dürfte manche' kaum mehr verstanden
haben, nicht die Scholastik und nicht den neuen Stil der