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Ausgabe:

1981

Spalte:

28-30

Kategorie:

Judaistik

Titel/Untertitel:

De specialibus legibus, I et II 1981

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 1

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Esther ist ein einheitliches literarisches Werk, eine Diasporaerzählung
, darauf angelegt, als Festlegende der Purimfeier zu dienen. Eine
befriedigende Lösung des Datierungsproblems ist nicht möglich. Daß
gewisse Überlieferungen zweifellos in der Perserzeit wurzeln, schließt
eine Herkunft aus griechischer Zeit nicht aus.

Ein besonderes Problem gilt den Beziehungen zwischen Esther und
anderen vergleichbaren Erzählungen, vor allem der Josephsgeschichte
. Wie diese enthält Esther Themen, die für die Diasporasituation
bedeutsam waren. Nach Vfn. hat die Josephsgeschichte irgendwie
als literarisches Modell der Esthererzählung gedient. Hier wie
dort wird mit einer den Geschehnissen innewohnenden Kausalität gerechnet
. Eine göttliche Aktiv ität wird in Esther keineswegs verneint,
aber die göttliche Hilfe ist eine bedingte. Der Mensch teilt mit Gott
die Verantwortung für den glücklichen Gang des Geschehens und
spielt somit eine Rolle in der Heilsgeschichte.

Das Hauptgewicht der Abhandlung liegt in der stilistischen Analyse
. Vfn. unterscheidet zwischen „Motiven" und „Themen". Motive
sind wiederholt erscheinende und aufeinander Bezug nehmende
Situationen oder Ideen, die zur Einheitlichkeit der Erzählung beitragen
. Die Motive weisen auf bestimmte Themen hin, d. h. Vorstellungen
, die für den Erzähler wesentlich waren und für das Verstehen der
Erzählung aufschlußreich sind. Als Motive kommen in Betracht
„Festmahl/Fasten", „Königtum", „Gehorsam/Ungehorsam". Die
dazugehörenden Themen sind „Macht", „Treue", „Unverletzlichkeit
", „Umkehrung". Die Darstellung hätte ohne Zweifel an Klarheit
und Durchsichtigkeit gewonnen, wenn der Begriffsapparat einfacher
gewesen wäre. Die Unterscheidung von „Motiven" und „Themen"
will nicht überall einleuchten. Warum wird „obedience" Motiv genannt
, während „loyalty" als Thema gilt?

Die Argumentation ist scharfsinnig und die Begrenzung auf textimmanente
Beziehungen hat ohne Zweifel zur Schärfe und Konzentration
der Strukturanalyse beigetragen. Gleichzeitig hat der Leser bisweilen
den Eindruck, daß Vfn. den Text gewaltsam in ein bereitstehendes
Schema hineinzwängt. Bei Herausarbeitung des Festmahlmotivs
werden Zusammenhänge und Übereinstimmungen entdeckt,
die in den Texten keine genügende Stütze finden. Die Beobachtung,
daß die Festmahle zu zweit erscheinen, ist richtig. Den beiden königlichen
Banketten im Anfang des Buches entspricht die zweifache Purimfeier
in Kap. 9 am 14. und 15. Adar. In beiden Fällen erscheinen
zwei Gruppen von Gästen. Am ersten Fest des Königs nehmen die
Provinzleute, am zweiten die Bewohner Susas teil. Ahnliches ereignet
sich bei den beiden Purimfesten: zuerst die Provinzjuden, dann die
Hauptstädter. Ob diese Zweiheit ein bewußter Stilzug ist, scheint mir
keinesfalls sicher. Noch größere Bedenken erregt die Interpretation
der Festmahlsschilderungen von Kap. 5 und 7. Auch in diesen beiden
Festmahlen, die Esther für Ahasverus und Haman gibt, will Vfn. das
gleiche Schema erkennen. In 5,4ff soll es um ein Fest für Ahasverus
gehen, der als König die Provinzen repräsentiert und somit "a guest
from the provinces" sein soll! Das zweite Fest Esthers in Kap. 7 sei
dagegen zu Ehren Hamans gemeint, wobei Haman merkwürdigerweise
als Vertreter Susas, "a specific Susa guest", verstanden werden
soll.

Diese kritischen Anmerkungen sollen den Wert dieser Arbeit nicht
herabsetzen. Auch wenn Vfn. die Muster, die der Erzählung und der
Personenschilderung zugrunde liegen, bisweilen überschätzt, hat sie
durch ihre entschlossene und zielstrebige Analyse viele interessante
Zusammenhänge aufgewiesen und einen erheblichen Beitrag zum
besseren Verständnis des Estherbuches geleistet.

Lund GillisGerleman

Berlin, Adele: Grammatical Aspects of Biblical Parallelism (HUCA

50, 1979 S. 17-43).
Hanner, Reuven: Section 38 of Sifre Deuteronomy: An Example ot

the Use of Independent Sources to Create a Literary Unit (HUCA

50, 1979 S. 165-178).
Haran, Menahem : The Law Code of Ezekiel XL-XLVII1 and its

Relation to the Priestly School (HUCA 50, 1979 S. 45-71).
Klein, Michael L.: Nine Fragments of Palestinian Targum to the Pen-

tateuch from the Cairo Genizah (Additions to MS A) (HUCA 50.

1979 S. 149-164).

Safren, Jonathan D.: New Evidence for the Title of the Provincial

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Steingrimsson, Sigurdur Öm: Vom Zeichen zur Geschichte. Eine lite-

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Wächter, Ludwig: Apokalyptik im Alten Testament (ZdZ 1979
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Wagner, Siegfried: „Schöpfung" im Buche Hiob (ZdZ 1980 S. 93-96).
Zimmerli, Walther: Der Mensch im Rahmen der Natur nach den

Aussagen des ersten biblischen Schöpfungsberichtes (ZdZ 1980

S. 81-92).

Judaica

[Philon d'Alexandrie:] Les Oeuvres de Philon d'Alexandrie. Publiees
sous le patronage de l'Universite de Lyon par R. Arnaldez, J.
Pouilloux, C. Mondesert. 4: De Sacrificiis Abelis et Caini. Intro-
duction. Traduction et Notes par A. Measson.211 S. 1966. 11-12:
De Kbrietate. De Sobrietate. Traduit par J. Gorez. 161 S. 1962. 19:
De Somniis I—II. Introduction, Traduction et Notes par P. Savinol.
245 S. 1962. 24: De Specialibus Legibus I et II. Introduction, Traduction
et Notes parS. Daniel. 397 S. 1975. 25: De Specialibus Legibus
III et IV. Introduction, Traduction et Notes par A. Moses.
363 S. 1970. 33: Qaeestiones in Genesim et in Exodum, fragmenta
graeca. Introduction, Texte critique et Notes par F. Petit. 314
S. 1978. Paris: Editions du Cerf 8'.

Die Nachlese zur französischen Philonausgabe1, die sich auf eine
Reihe von Bänden erstreckt, deren Erscheinungsjahre insgesamt um
mehr als ein Jahrzehnt auseinander liegen, zeigt uns nicht nur die
Vielfalt der Möglichkeiten bei der Edition und Kommentierung eines
klassischen Autors, sondern auch ein bei aller Unterschiedenheit im
letzten einheitliches Bild. Die Ausgabe ist das Werk der Schule von
Lyon; das geistige Patronat durch deren hervorragende Repräsentanten
, besonders durch den inzwischen verstorbenen Kardinal Danie-
lou, ist unverkennbar. Seine Zusammenschau von jüdischem, platonischem
und patristischem Erbe wird immer wieder sichtbar. Philo
erscheint als Bindeglied zwischen Piatonismus und Altem Testament
einerseits und zwischen diesem und den griechischen Vätern andererseits
.

Der Band 4: De sacrificiis Abelis et Caini, bereits 1966 vorgelegt,
gehört zur Gruppe jener Editionen, die zugleich als these zur Graduierung
an der Universität Lyon dienten. Wie früher bei ähnlich zustande
gekommenen Teilen der Ausgabe, stellt sich die Arbeit der
Herausgeberin Anita Measson neben der Übersetzung in einer ausführlichen
Einleitung (S. 13-56), einem umfangreichen kommentierenden
Anmerkungsapparat und abschließenden Exkursen (notes
complementaires) dar. Der in den Gesamtzusammenhang von Philos
Allegorischem Kommentar gehörende Traktat schließt sich an De
Cherubim (Auslegung von Gen 3,24^,1) an und behandelt die drei
Verse Gen 4,2-4. Seine Fortsetzung findet er in Quod deterius potiori
insidiari soleat (der Deutung von Gen 4,8-15). Noch klarer als sonst
markieren die Schriftzitationen die Abschnitte des Traktats, dessen
diskursiv-meditative Gedankenentwicklung sich, vom Schriftwort
ausgehend, in immer größere Weite und Tiefe bewegt. Die Herausgeberin
tat gut daran, in der Einleitung Philos Verhältnis zu seiner
Bibel, der LXX. zu umreißen. Sie skizziert die großen Themen philo-
nischen Denkens, das sie nicht als Produkt intellektueller Konstruktion
verstehen möchte, sondern als das Werk einer religiösen Seele,
die den Menschen als zusammengesetztes Sein erfahren hat: einer
Seele, der sich spirituelle Wege als Formen der göttlichen paideia,
w ie sie sich in Abraham. Jakob und Joseph repräsentieren, erschlossen
haben; die sich im Aufstieg zu Gott weiß, der nur via negationis
erreichbar ist. Daß sich für Philo in Kain und Abel zwei entgegengesetzte
Konzeptionen des Menschseins darstellen, die schon in ihren
Namen ausgedrückt sind, ordnet sich in den großen Zusammenhang
seiner Etymologia Sacra ein. Die Denkfigur des Scheideweges fordert
einen Vergleich der in §20-44 breit ausgeführten Konfrontation
von Tugend und Laster mit dem analogen klassischen Exempel