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Ausgabe:

1981

Spalte:

489-492

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Egger, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Nachfolge als Weg zum Leben 1981

Rezensent:

Lindemann, Andreas

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 7

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derungen dagegen gemeinsam erkannt und angenommen. Denn es
geht „in der Gegenwart - wie zur Zeit des Römerbriefes - darum, in
gemeinsamem Rückgang auf den durch die Kanonisierung für alle
Konfessionskirchen zur normativen Traditionsgrundlage gewordenen
Paulustext die darin ausgesprochene Einheit des Evangeliums
aktuell wiederzufinden und sie über kontroverstheologisch verfestigten
Aussagen der beiderseitigen kirchlichen Rechtfertigungslehre
hinaus in gemeinsamem Diskurs neu zu bewähren" (I, S. 73). Indem
der Vf. die Paulusexegese auf diese Weise für den ökumenischen Dialog
fruchtbar macht und zum gemeinsamen Hören auf das paulini-
sche Evangelium anhält, kommt seinem Kommentar ein hoher Rang
in der gegenwärtigen Theologie und der Begegnung der Kirchen in
der einen Christenheit zu.

Hannover Eduard Lohse

Egger, Wilhelm: Nachfolge als Weg zum Leben. Chancen neuerer
exegetischer Methoden, dargelegt an Mk 10,17-31. Klosterneuburg
: Verlag Österreichisches Katholisches Bibel werk 1979.
V, 319 S. 8' = Österreichische Biblische Studien, 1. Kart. ÖS 276.-.

Mit dieser Innsbrucker Habilitationsschrift des als Neutestamentier
am Brixener Priesterseminar lehrenden Kapuzinerpaters wird die
Reihe der „Österreichischen Biblischen Studien" (ÖBS) eröffnet. E.
will in der Auslegung von M k 10,17-31 zeigen, in welcher Weise die
.weithin vorherrschende historisch-kritische Methode" durch die
Anwendung von „Verfahren, die von der modernen Textanalyse, besonders
der Analyse von Erzähltexten entwickelt worden sind",
ergänzt werden kann (1). Im ersten Kap. gibt E. ein Referat neuerer
Erzähltheorien (6-48), wobei er auch Probleme und „offene Fragen"
markiert (48-54). Im zweiten Kap. (60-236) folgt die eigentliche Exegese
der Perikope. Im dritten Kap. schließlich (237-284) behandelt E.
'-'in signifikantes Beispiel für die Wirkungsgeschichte des Textes
'Franz v. Assisi). Ein knapper Schlußteil (285-288) bezeichnet den
Gewinn, den die Exegese durch die Verknüpfung der genannten Methoden
nach Meinung von E. erfahren hat.

Das erste Kap. bereitet dem Nicht-Fachmann naturgemäß gewisse
Verstehensschwierigkeiten, obwohl E. ausdrücklich „die übertriebene
Vorliebe für Fremdwörter, die von vielen Vertretern neuerer
Textanalyseverfahren gehegt wird" kritisiert und meint, er selbst
habe „die Fremdwörter nach Möglichkeit vermieden" (4). Aber es
leuchtet ein, daß eine Darstellung der Erzähltheorien von V. Propp
und den ihm folgenden Theoretikern sowie von R. Barthes und anderen
kaum ohne die Übernahme von deren Terminologien möglich
'st. E. meint, es komme nicht darauf an, vorgegebene Theorien zu
übernehmen; vielmehr müsse eine „biblische Erzähltheorie" erstellt
werden (40). Als „offene Frage" (48f) notiert E. vor allem: „Der konkrete
Text findet bei vielen Vertretern neuerer Analyseverfahren
wenig Aufmerksamkeit"; „es werden kaum Regeln angegeben, wie
Strukturen von Erzähltexten erhoben werden können"; es gebe keine
Integration verschiedener Methoden, insbesondere fehle die Berücksichtigung
der diachronen Analyse, wie sie für die hist.-krit. Methode
charakteristisch sei. E. will nun zeigen, daß eine Verbindung
synchroner und diachroner Methoden der Textanalyse „möglich und
sogar notwendig" ist (51); er besteht in diesem Zusammenhang darauf
, daß unbedingt der Urtext Ausgangspunkt jeder Analyse zu sein
habe (52).

Das zweite Kap. beginnt nach einer Vorbemerkung (61-63) über
die Unterscheidung von „Oberflächentext" (= dem vorliegenden konkreten
Text) und „Tiefentext" (= dem durch Abstraktion herausgearbeiteten
Plan eines Textes) mit Kontextanalyse und Textkritik. E.
^■acht sodann auf bestimmte sprachliche Phänomene aufmerksam
<z- B. auffallender Wechsel von Erzählung und direkter Rede) und auf
"•Stimmte stilistische FiKcnarten (unerwartete Übergänge, vor allem
•Spannungen" innerhalb de* Texte*) Von niei aus gewinnt fc. eine

Gliederung der Perikope nach dem Schema „Erzählung und Kommentar
": Es gehe in der Erzählung (V. 17-22) um die erfolglose Berufung
eines reichen Mannes, der Kommentar zeige dann, was dies für
den Reichen und für die Jünger bedeute (760- Damit hat sich E. freilich
schon darauf festgelegt, Mk 10,17-22 als Berufungserzählung anzusehen
(so früher ja schon Zimmerli), was von anderen Exegeten mit
guten Gründen, auf die E. nicht eingeht, bestritten wird.

In Abschnitt 2 des zweiten Kap. (2.2) fragt E. mit Hilfe des Verfahrens
der „Inventarisierung" (Barthes) nach den „Sinnlinien" des Textes
. So geht es z. B. beim Begriff „Nachfolge" um die Vorentscheidungen
und das Vorwissen des Lesers: Nachfolge sei vom Dt her zu verstehen
als Entfaltung des ersten Gebots und Jesu Ruf in die Nachfolge
zeige mithin, daß der historische Jesus die Jünger nicht an die Tora,
sondern an seine Person gebunden habe (88). Hinter V. 18b stehe das
,Schema Israel' - keinesfalls wolle Jesus die Anrede „gut" zurückweisen
; vielmehr werde der Mann aufgefordert, diese Anrede
„mit dem Glaubensbekenntnis Israels zu konfrontieren" (115), das
zur Zeit Jesu traditionell mit der Rezitierung der Gebote verbunden
worden sei (94). Als weitere „Sinnlinien" nennt E. Elemente mit gemeinsamen
semantischen Merkmalen („handelnde Personen", „Tun
und Leiden", „Weg, Bewegung" und vor allem „Jesusbewegung";
98-107). E. nimmt im Anschluß an Theißen an, es habe zwei Gruppen
von Anhängern Jesu gegeben: Charismatiker, die sein Wanderleben
geteilt hätten, und andere, die als Freunde und Sympathisanten
seßhaft geblieben seien; von dieser Annahme hänge die Auslegung
der Perikope ab (119). E. erklärt einerseits, für beide Gruppen hätten
unterschiedliche Normen Geltung gehabt (103), doch er erklärt andererseits
, „Sitz im Leben" von Mk 10,17-31 sei „eine Gemeinde, in
der es seßhafte und wandernde Anhänger Jesu gibt"; die Wandercha-
rismatiker hätten mit solchen Erzählungen für ihre Lebensform geworben
und „den seßhaften Anhängern Jesu die Nachfolge als mögliche
Lebensweise" angeboten: „Ob sie damit eine Auflösung der Gemeinden
bewirken wollen, ist nicht ersichtlich" (104). Vielmehr solle
den Seßhaften gegenüber die Erinnerung an die charismatischen Anfänge
der Jesusbewegung wachgehalten werden (106 f).

In 2.3 zeigt E. mit Hilfe des Verfahrens der „Minimalpaarbildung",
daß V. 17b als „Basis-Satz" der Perikope anzusehen ist - alle Sätze
in direkter Rede seien als dessen Abwandlungen zu verstehen.

In 2.4 wird die Handlungsstruktur der Perikope („Sequenz .Nachfolge
'") dargestellt (137-171), wobei E. vor allem auf diejenigen
Punkte achtet, wo sich für den Fortgang der Handlung Alternativen
bieten. Das Ergebnis lautet (149): „Jesus eröffnet durch seinen Ruf
den Weg zum Leben. Für den, dem dieses Angebot gemacht wird, ist
eine Entscheidung unausweichlich und ein Aufschub nicht möglich.
Die Sequenz .Nachfolge' gibt Antwort auf die Frage: Wie wird Leben
gewonnen? Leben wird gewonnen, indem Gott/Jesus den Weg weisen
und Hilfe anbieten und der Mensch sich für die Nachfolge entscheidet
." Bedurfte es für dieses Ergebnis eines so langen Anmarschweges?

Sodann wendet E. das „Programme narratif von A. J. Greimas auf
den Text an - ob korrekt oder nicht, vermag ich nicht zu beurteilen.
Jedenfalls weist E. die Perikope den Nachfolgetexten zu und gibt als
Thema an: „Jesus möchte den reichen Mann zur Nachfolge führen"
(151) - in Mk 10,17-31 liege die nach Greimas' Kategorien einzige
„ideale" Nachfolgeerzählung vor (153), alle anderen berichteten
demgegenüber nur einen Ausschnitt aus der großen Sequenz „Nachfolge
", nämlich die Wahl (158). E. berücksichtigt hier nicht, daß im
Unterschied zu allen Nachfolgeerzählungen in Mk 10,17ff die Initiative
nicht von Jesus, sondern von dem reichen Mann ausgeht.

In 2.6 kommt E. schließlich auf die Entstehung des Textes zu sprechen
(178-194). Nach einem Referat der gängigen Thesen, die vor
allem die Spannungen innerhalb der Perikope betonen und diese erklären
wollen, stellt er fest, der Text lasse sich ohne weiteres unter
Annahme seiner Einheitlichkeit verstehen; auch der Verfasser habe
„sinnstörende Spannungen" ja offensichtlich nicht gesehen (184f).
Kern des Textes sei „die historische Überlieferung von der erfolglosen
Berufung eines reichen Mannes durch Jesus und or. dorn über