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Ausgabe:

1981

Spalte:

475-477

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Vaterbilder in Kulturen Asiens, Afrikas und Ozeaniens 1981

Rezensent:

Lohmann, Theodor

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 7

476

Tellenbach, Hubertus [Hrsg.]: Vaterbilder in Kulturen Asiens, Afrikas
und Ozeaniens. Religionswissenschaft - Ethnologie. Stuttgart-
Berlin-Köln-Mainz: Kohlhammer 1979. 180 S. 8°. Kart. DM
29,80.

Von dem auf vier Bände angelegten Sammelwerk - bisher: „Das
Vaterbild in Mythos und Geschichte" (Ägypten, Griechenland, AT
und NT), 1976 (vgl. Rezensionen von H.-J. Klimkeit, in: ZRGG
31,1979, 117f; Th. Lohmann, in: ThLZ 104, 1979 Sp. 247ff; „Das
Vaterbild im Abendland I" (Rom, Frühes Christentum, AT und NT),
1978 und „II" (Literatur und Dichtung Europas), 1978 - ist nunmehr
auch der letzte Band erschienen, der sich den Vaterbildern in

t

Hoch- und Primitivkulturen Asiens, Afrikas und Ozeaniens zuwendet
.

Das einleitende Referat hat wieder der Herausgeber des Gesamtwerkes
, Hubertus Tellenbach (Leiter der Abt. Klinische Psychopathologie
an der Psychiatrischen Klinik der Univ. Heidelberg),
übernommen. Unter dem Titel „Nähe und Ferne von Vaterbildern
fremder Kulturen" (7-17) abgefaßt, ist es im wesentlichen ein Resümee
der nachfolgenden Referate. Von besonderem Gewicht ist für
den Autor die im Schlußsatz getroffene Feststellung: „Vater-Sein ist
Transparenz auf den Ursprung hin" (17).

Der erste Aufsatz, der von Joachim Deppert (wiss. Assistent für
Indologie am Südasien-Institut der Univ. Heidelberg) unter der Überschrift
„Der Vater in der vedischen und seine Transformationen in
der westlichen Mythologie, oder: Devas und Asuras" (18-50) verfaßt
ist, will „den Unterschied Indiens, Irans, des Juden- und Christentums
aus dem Unterschied Vater/Mutter, Zeugung/Geburt herleiten"
(19) und kommt dabei zu dem Ergebnis, daß in den Veden der ungeborene
, mutterlose, nur zeugende Große Vater (z. B. Prajapati)
herrscht, während das „tiefe Innen des Westens" (!) hingegen von der
Großen Mutter bestimmt wird (19f. 50).

Einen ausgezeichneten Überblick über „Die Rolle des Vaters im
Hinduismus" (51-72) gibt Heinrich v. Stietencron (seit 1973
o. Prof. für Indologie und Vergleichende Religionswissenschaft an der
Univ. Tübingen). Er führt zunächst die Grundpositionen in den Beziehungen
zwischen Vater und Sohn vor, deren wesentlichstes Merkmal
der Wunsch nach Kontinuität des Lebens ist: a) Nur der Sohn
kann die Totenriten vollziehen und die Opfergaben darbringen,
b) Nur im Sohn lebt der Vater selbst weiter, so daß sich dessen Sorge
und Fürsorge um den Sohn als eine Frage nach der Sicherung seines
eigenen Fortlebens nach dem Tode erweist, während die Mutter lediglich
als Helferin bei diesem Mysterium erscheint. Diese Grundpositionen
waren im Laufe der Zeit unter der Einwirkung der Wiedergeburtslehre
, einer ausgeprägteren beruflichen Spezialisierung und
der mit der Großfamilie verbundenen Verschiebung in der Altersstruktur
zugunsten der Großväter beträchtlichen Wandlungen unterworfen
, die einen Substanzverlust des Vaters in seiner Rolle als Genitor
, Magister und Protektor zur Folge hatten.

Der nächste Beitrag von Günther D e b o n (o. Prof. für Sinologie an
der Univ. Heidelberg) trägt die einem Satz Voltaires, des großen Bewunderers
der Denk- und Regierungsart der Chinesen, entnommene
Überschrift: „Die väterliche Macht in China" (73-86). Der Ursprung
dieser Vater-Macht wird vom Autor im Ahnenkult gesehen, dessen
Existenz bereits im 4. Jt. v. Chr. vermutet wird. Zunächst werden aus
den verschiedenen Dynastien der chinesischen Geschichte und aus
den beiden Hauptreligionen des Landes, dem Konfuzianismus und
Taoismus, eine Reihe von Beispielen für die stark ausgeprägte Sohnespietät
und den Kindesgehorsam gegenüber dem Vater bzw. den
Eltern vorgeführt. Der zweite Abschnitt, der der Frage nachgeht, wie
sich der Vater selbst präsentiert, zeigt diesen als den strengen Herrscher
in allen Familienangelegenheiten. Fragt der dritte Abschnitt
nach der Wirkung, die die hohe Verehrung der Alten und des Altertums
auf die Entwicklung der chinesischen Gesellschaft und Kultur
ausgeübt hat (z. B. konservative politische Haltung, Hang zum Zitat
in Literatur und Kunst, übertriebener Geldaufwand beim Begräbnis

der Eltern u. a.), so gibt der letzte einen kurzen Ausblick auf die Gegenwart
, die vor allem durch die Bekämpfung des Ahnenkultes gekennzeichnet
ist, wodurch die altchinesische väterliche Macht stark
entwertet worden ist.

Anton Schall (o. Prof. für Semitistik und Islam Wissenschaft an
der Univ. Heidelberg) war zunächst bestrebt, die Vaterkonzeption in
der islamischen Welt zu behandeln, hat sich dann jedoch auf das
überschaubare Thema „Das Vaterbild des Korans" (87-91) beschränkt
. Diese Beschränkung wirkt sich freilich im Hinblick auf das
Gesamtwerk negativ aus, einmal weil dadurch eine größere Lücke zurückbleibt
, andermal weil der Koran selbst über dieses Thema nur
wenige und noch dazu recht blasse Aussagen macht, die über das allgemeine
Gebot der Elternliebe und Elternverehrung praktisch nicht
hinauskommen. So muß das Resultat zwangsläufig negativ sein: „Die
geringe Häufigkeit der Bezeichnungen für,Vater' könnte auf eine entsprechend
geringe Bedeutung des Vatergedankens schließen lassen
... Der Vatergedanke tritt im Koran aber schon aus dem Gegensatz
zum Christentum zurück. Allah ist nicht der gütige Vater, sondern
höchstens oder allenfalls der gnädige Herr. Daß Gott gezeugt
habe, ist dem Koran unvorstellbar" (91).

„Der Vater in Afrika" (92-107), so lautet das Thema des nächsten
Beitrages, der von Ernst Wilhelm Müller (vormals Heidelberg, jetzt
Ordinarius für Ethnologie und Afrika-Studien an der Univ. Mainz)
abgefaßt ist. Der Autor geht zunächst allgemeinen Fragen der Verwandtschaft
nach, die dem besseren Verständnis des speziellen
Vaterthemas dienen und wendet sich dann an Hand der getroffenen
Unterscheidung zwischen pater (Person, die „Vaterrechte" über
einen anderen Menschen hat), vermeintlichem genitor (Person, die in
einer Gesellschaft als Erzeuger angesehen wird) und genitor (Person,
von der das Spermium für die Entstehung des anderen stammt) (93)
dem Vaterbild bei einigen patrilinearen Gesellschaften (insbesondere
bei den Tallensi) zu. Dabei kommt als Ergebnis deutlich zum Ausdruck
: „Vater sein ist in Afrika ganz anders als in Europa" (92).

Im folgenden religionsphilosophischen Beitrag stellt H.A. Fisch
er-Barn icol „Fragen nach dem Vater" (108-133) als solchem.
Er führt über die blutmäßige Abkunft des Sohnes vom Vater hinaus
und weist auf die geheimnisvolle metaphysische Herkunft der Vaterschaft
und die ursprüngliche Verbundenheit aller Menschen hin. Der
Mensch stammt im wesentlichen nicht von seinem natürlichen Vater
und seiner leiblichen Mutter ab, sondern ist letztlich Kind, das von
Vater Himmel gezeugt und aus Mutter Erde geboren ist. Das eigentliche
Problem ist damit nicht der Vater, sondern der Mensch selber.

Der Aufsatz von Karl Jettmar (o. Prof. für Ethnologie am Südasien
-Institut der Univ. Heidelberg) „Das Vaterbild als Thema der
Ethnologie" gibt dem Leser einen guten Einblick in die „raffiniert
ausgesponnenen Verwandtschaftsbeziehungen" einiger Naturvölker
Ozeaniens, informiert über die vielfältigen Funktionen des Vaters in
diesen Verwandtschaftsverbänden, ferner über eine Reihe von Zeugungstheorien
und über Couvade, das Männerkindbett, das er als
„eine Art vermännlichter Mütterlichkeit" deutet (146), und schließt
mit einer Darlegung von „Erbe und Zukunft des Abendlandes" ab, in
welcher sich der interessante Passus findet: „Der heutige Vater möge
sich daran gewöhnen, nicht mehr in einer ,postfigurativen' Kultur zu
leben. Er sei eben in eine präfigurative Phase geraten, in der Eltern
auch von ihren Kindern lernen müssen. Das heißt auf gut Deutsch,
das Erfahrene kann man in Paperbacks kaufen - die Erfahrung ist
wertlos geworden! Und was wird nun als Abhilfe empfohlen? Die Eltern
mögen den Nachkommen völlige Entscheidungsfreiheit gewähren
, eigene Lösungen in einer pluralistischen Gesellschaft zu wäh-„
len, allerdings ohne Außenstehende zu belästigen" (151).

Der letzte Beitrag von H. Tellenbach unter der Überschrift
„Konturen künftigen Vaterseins" (153-165) stellt auf Grund des in
den „Vaterseminaren" erarbeiteten umfangreichen Materials abschließend
fest, „daß die Vater-Konstellation unseres Äons sich von
Grund auf geändert hat" (157) und weist auf ein neues Vaterbild von
letzter Verantwortung hin, das durch das geistige Vater-Sohn-Ver-