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Ausgabe:

1981

Spalte:

471-473

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Kirchliche Hochschule Bethel, 1905-1980 1981

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 7

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tesanschauung bedeutet die Einführung des Erziehungsgedankens:
„... Gott (hat) bei seiner Offenbarung eine gewisse Ordnung, ein gewisses
Maß halten müssen" (VIII,592). Um die Entwicklung zur Vielgötterei
aufzuhalten, hat sich Gott zu „seiner besonderen Erziehung"
ein einzelnes Volk gewählt („da er einem jeden einzelnen Menschen
sich nicht mehr offenbaren konnte, noch wollte"). Er gewöhnte dieses
Volk allmählich an den Begriff des „Einigen" Gottes (593). Gott
erzog in diesem Volk die „künftigen Erzieher des Menschengeschlechts
" (594). Für die weitere Geschichte Israels wird (etwa für das
6. vorchristliche Jahrhundert) die Formel aufgestellt: „Die Offenbarung
hatte seine Vernunft geleitet, und nun erhellte die Vernunft auf
einmal seine Offenbarung" (600).

Der entscheidende Einschnitt ist aber das Kommen Christi, des „er-
ste(n) zuverlässige(n), praktische(n) Lehrer(s) der Unsterblichkeit der
Seele" (605). Doch Lessing denkt die Entwicklung noch weiter - bis
zur höchsten Stufe der Aufklärung und „Reinigkeit". Diese höchste
Stufe ist die dritte (das AT war die erste, Christus die zweite Stufe),
die kommende, die noch ausstehende (611). Gott wird angerufen
gegen den Pessimismus, als käme jene dritte Stufe nie: „Nie? - Laß
mich diese Lästerung nicht denken, Allgütiger!" (611). Gelegentlich
wird dann die Gottesanschauung blasser; göttliche Erziehung und
Natur werden auch einmal identifiziert. Dann findet sich wieder die
Anrede: „Geh deinen unmerklichen Schritt, ewige Vorsehung! Nur
laß mich dieser Unmerklichkeit wegen an dir nicht verzweifeln
, ... wenn selbst deine Schritte mir scheinen sollten, zurück zu
gehen" (614). Am Schluß der Schrift steht sowohl das Bekenntnis zu
einer Art Seelenwanderung als auch die ergreifende Schlußformel:
„Was habe ich denn zu versäumen? Ist nicht die ganze Ewigkeit
mein?" (615).

Lessings Gottesanschauung: hier befindet sie sich selbst in einer
Entwicklung. Man könnte fragen, ob für die „Erziehung des Menschengeschlechts
" (noch) gilt, was Lessing so formuliert hat:
„... man kann einem Nationalgott wohl untreu werden, aber nie
Gott, so bald man ihn einmal erkannt hat" (602) - wenn eben nicht
dieser Grundsatz selbst in der „Erziehung des Menschengeschlechts"
stünde! Doch wie steht es in dieser Frage mit dem letzten Text, der
uns beschäftigen soll: den Spinoza-Gesprächen Lessings mit Jacobi
(freilich kein authentischer Lessing-Text)?

Lessing versichert hier seinem Gesprächspartner: „Die orthodoxen
Begriffe von der Gottheit sind nichts mehr für mich; ich kann sie
nicht genießen, ev xai näv Ich weiß nichts anders." Die Entgegnung
Jacobis, dann sei er ja mit Spinoza einverstanden, bejaht Lessing ausdrücklich
und fragt zurück: „Wissen Sie etwas Besseres?" (VIII,618).
Auf Jacobis spätere Versicherung, e r glaube eine „verständige persönliche
Ursache der Welt" (621), antwortet Lessing: „O, desto besser
! Da muß ich etwas ganz Neues zu hören bekommen." Dann fragt
er genau nach, woher Jacobi seine Vorstellungen von der persönlichen
extramundanen Gottheit habe, etwa von Leibniz? Diesen aber
hält Lessing jetzt selbst für einen heimlichen Spinozisten. Im weiteren
Verlauf des Gesprächs soll Lessing dann einmal ,,mit halbem
Lächeln" gesagt haben, er selbst wäre vielleicht das höchste Wesen
(629). Wichtiger erscheint aber seine Forderung, er wolle sich „alles
natürlich ausgebeten haben" (629). Jacobi berichtet auch Widersprüchliches
; einmal beschreibt er, wie Lessing sich eine persönliche
Gottheit vorstellte (Seele des Alls), dann wieder versichert er, Lessing
konnte sich mit der Idee eines persönlichen unendlichen Wesens
nicht vertragen (630). Einhellig sind aber seine Urteile über Lessings
Spinozismus seit diesem Gespräch; vorher hatte er ihn für einen
„rechtgläubigen Deisten" gehalten (633).

5. Ergebnis

5.1. Lessing hat nicht auf die theologische Arbeit verzichtet; er hat
sich an ihr beteiligt. Der Liebhaber der Theologie ist auch ihr Teilhaber
.

Die Theologie heute wird - nicht zuletzt von daher - auf Lessing
nicht verzichten können.

5.2. Die Theologie hat Lessing nicht genügt. Sie war nicht sein großes
Glück, aber manchmal eine Art Trost.

Die Theologie heute wird sich nicht auf das Erbe Lessings beschränken
können - auch, was das 18. Jahrhundert angeht.

5.3. Die Gottesanschauung Lessings ist (mit Ausnahme des Spinoza
-Gesprächs) gekennzeichnet durch die Anrede, die Anrufung
Gottes.

Die Theologie heute wird zur Kenntnis zu nehmen haben, daß Elemente
einer Gottesanschauung erkennbar werden können, wenn man
so redet wie Lessing.

5.4. Die Gottesanschauung Lessings ist gekennzeichnet durch eine
zumeist ethisch orientierte Gottesbeziehung, die sich z. T. artikuliert
in dem Anreden und Anrufen Gottes.

Die Theologie heute wird anzuerkennen haben, daß eine Gottesbeziehung
vorliegen kann, wenn man sich so verhält wie Lessing.

5.5. Die Gottesanschauung Lessings ist vor allem gekennzeichnet
durch den Primat des Denkens, ohne daß biblisch-theologische Elemente
in diesem Zusammenhang völlig fehlen.

Die Theologie heute wird zu lernen haben, daß eine Gottesanschauung
vorliegen kann, wenn man so denkt wie Lessing.

5.6. Lessing spricht, lebt, denkt allerdings im Blick auf die Gottesanschauung
, ohne den Primat der Offenbarung und des Glaubens anzuerkennen
(stattdessen Denken und Handeln).

Hier (und nicht im Geschichtsverständnis) liegt der Differenzpunkt
zwischen Lessing und der Theologie heute.

5.7. Im Gespräch mit Jacobi über Spinoza (vereinzelt schon vorher)
redet und denkt Lessing anders, als wir es dargestellt haben (Thesen
5.3-5). Das ist auch anzuerkennen. Ob es das Ende seiner Gottesanschauung
war oder ob er nur experimentiert hat, muß offenbleiben.

Es muß aber dieses Spinoza-Gespräch nicht das Ende der theologischen
Beschäftigung mit Lessing heute bedeuten. Das Gesamtwerk
führt weder mit innerer Logik dorthin noch ist dieses damit aufgehoben
. Als Interpretament ist das Spinozagespräch nicht unbedingt
geeignet (kein authentischer Lessing-Text). Vielleicht ist es angemessener
, immer wieder den Bezug zu jenem Lessing-Wort herzustellen,
das wir schon zitierten und von dem wir Lessing nicht ausnehmen
möchten: Man kann nie Gott untreu werden, „so bald man ihn einmal
erkannt hat".

Allgemeines, Festschriften

Ruhbach, Gerhard [Hrsg.]: Kirchliche Hochschule Bethel 1905-1980.

Bielefeld: Kirchliche Hochschule Bethel 1980. 280 S. m. 33
Abb. auf Taf. 8 Lw. DM 15,-.

Das vorliegende Buch will nicht als Selbstdarstellung verstanden
werden; es will aber Erinnerungen festhalten an die Anfänge der

Kirchlichen Hochschule Bethel, es will auch Rechenschaft ablegen
über das, was die Hochschule gegenwärtig ist, will und tut (G. Ruhbach
im Vorwort). Den Anfang macht der holländische Kirchenhistoriker
Jelle van der Kooi: „Die Entstehung der Theologischen
Schule" (11-57). Theodor Kuessner bietet „Erinnerungen an
Bethel 1921-30" (58-67). Theodor Schlatter berichtet „Aus der
Geschichte der Theologischen Schule in ihren ersten 25 Jahren"
(68-88). Heinrich Bödeker erinnert an „Das Sommersemester 1933