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Ausgabe:

1981

Spalte:

455-457

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Wie Christen in Asien denken 1981

Rezensent:

Brück, Michael

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 6

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der DDR hinaus seinen notwendigen, wertvollen Dienst tun: Interessierte
in und außerhalb der Kirche in die so vielfaltige ökumenische
Problematik unserer Zeit einzurühren.

Budapest Gyula Nagy

Elwood, Douglas J. [Hrsg.]: Wie Christen in Asien denken. Ein theologisches
Quellenbuch. Aus dem Engl. v. R. Stolze. Frankfurt/M.:
Lembeck 1979.VIII, 317 S. 8°. Kart. DM 28,-.

Nicht nur bezüglich der Mitgliederzahlen könnte sich das Gewicht
der Weltchristenheit von der Nord- auf die Südhalbkugel der Erde
verlagern: Die 22 sehr unterschiedlichen Aufsätze dieses Bandes künden
von Intensität und Lebhaftigkeit theologischen Denkens, die ihresgleichen
sucht. Der Versuch der thematischen Ordnung der einzelnen
Beiträge des zuerst 1976 auf den Philippinen erschienenen Buches
in sieben Teilen erscheint nicht immer ganz gelungen, denn das
Material ist zu umfassend, und Christen denken „in Asien" durchaus
sehr unterschiedlich; zwischen Indien und Japan etwa bestehen große
Unterschiede im kulturellen und religiösen Gepräge.

Einleitende Bemerkungen von H. Nörenberg weisen auf die in
diesem Zusammenhang sofort auftauchenden Probleme von „Kon-
textualisierung" und „Synkretismus" hin, m. a. W.: Was ist das Proprium
der christlichen Botschaft und kann sie in neuen Dimensionen
erscheinen, wenn sie etwa im Kontext des chinesischen Yin-Yang-
Denkens ausgesagt wird?

Der erste Teil umreißt in groben Zügen die „Neuorientierung der
christlichen Theologie in Asien". Eine Erklärung der Konferenz
Asiatischer Kirchen von 1965 formuliert: „Die asiatischen Christen
haben die ,große Tradition' des Evangeliums von jenen geerbt, die es
nach Asien gebracht haben, aber sie glauben, daß Christus ihnen
mehr von seiner Wahrheit offenbart, wenn sie sein Wirken unter den
Menschen in ihren jeweiligen asiatischen Kulturen, ihren verschiedenen
Religionen und ihrer Verstrickung in der gegenwärtigen asiatischen
Revolution zu verstehen suchen" (9). Es geht also keineswegs
nur um organisatorische oder finanzielle Loslösung von den Kirchen
bzw. Missionsgesellschaften des Westens, sondern um geistige Emanzipation
, die im Dialog der Religionen begründet und verwirklicht
wird.

Der zweite Teil, „Der Mensch in Natur und Geschichte", bringt
auffällig nur Aufsätze, die aus der Erfahrung mit dem birmanischen,
singhalesischen und japanischen Buddhismus erwachsen sind. Die
breite Diskussion, die zu dem Thema in Indien geführt wird, fehlt.
Allerdings enthält dieser Abschnitt gleich zwei hervorragende Arbeiten
von Khin Maung Din (Birma) und Lynn A. de Silva (Sri
Lanka), die zu den herausragenden Leistungen des Bandes zählen.
Für die birmanische Perspektive gilt: „Aufrichtige Theologie sollte
meiner Meinung nach nicht nur versuchen, die gegenwärtigen Grenzen
der christlichen Theologie zu erweitern, sondern auch versuchen,
neue Dimensionen für Theologie mit Hilfe der spirituellen Erfahrung
und den Vorstellungen von Andersgläubigen zu entdecken" (51). Es
geht nicht um äußere Anpassung des Evangeliums an die kulturelle
und politische Situation, sondern um innere Integration (52). Gott
kann sowohl personal als auch impersonal erfahren werden (5 5 ff),
und auf Grund dieser Erkenntnis kann im Dialog mit dem Buddhismus
Christus wahrhaft universal interpretiert werden (59f). Der Personbegriff
wird ebenso erörtert wie die buddhistische anatta-Theo-
rie. Fazit: „Kommt es wirklich auf die Konversion an? Ist nicht die
Verpflichtung auf den lebendigen Christus wichtiger, als sich auf herkömmliche
Weise zu bekehren? Und ist diese Verpflichtung zu Christus
nicht universell genug, um auch jene zu umfassen, die, ohne ihn
anzuerkennen, sich schon längst für seine Sache verpflichtet haben?"
(64). Wir sollten hier weder vorschnell bejahend noch verneinend
antworten. Es gilt, lange zu hören und zu prüfen, was hinter den noch
vagen Begriffen einer sich andeutenden theologischen Umwälzung
verborgen sein könnte. Wie hilfreich eine dialogische Theologie für

das christliche Selbstverständnis sein kann, zeigt de Silva, der das
pneuma mittels des buddhistischen Nicht-Selbst-Begriffes (anatta)
brillant interpretiert (bes. 73 ff).

Ein dritter Teil „Gott und Offenbarung" zeigt, daß unser Unterscheiden
von Transzendenz und Immanenz für asiatische Vorstellungen
keineswegs selbstverständlich ist. Mittels der Yin-Yang-
Komplementarität oder des Nicht-Dualismus indischer Philosophie
ließe sich integral denken. Metropolit Gregorios weist die Aporien
der Gott-ist-tot-Theologie nach und führt sie auf augustinische Tradition
zurück, während bei den Kappadoziern ein Ansatz zu finden
wäre, der asiatischem integralem Denken viel näher liegt (115 ff). Er
spricht mit Gregor von Nyssa von einer Geistigkeit der Materie (122)
und deutet damit Überwindung unheilvoller Gegensätzlichkeit an.

Im vierten Teil befaßt sich Choan-Seng Song unter der Überschrift
„Christus und christliches Leben" mit der Maßgeblichkeit
Christi. Die Christuswirklichkeit solle nicht exklusiv, sondern inklu-
siv verstanden werden, denn alle Menschen stehen in seinem
Wirkbereich (157fl).

Der fünfte Teil fragt nach einer „Theologie der Mission", wobei
auch hier wieder der Chinese Choan-Seng Song Tiefes zu sagen weiß.
Die christliche Mission sollte „in den nichtwestlichen Ländern, besonders
in Asien, nicht den trotzigen Geist der gotischen Architektur
mit der Betonung auf Widerspruch und Unvereinbarkeit nachahmen.
Sie sollte mehr der asiatischen Architektur gleichen, die bestrebt ist.
die geistige Sehnsucht nach Harmonie inmitten von Qualen und
Schmerzen auszudrücken. Jahrhundertelang haben asiatische Völker
ständig große Geschichtswirren erfahren, und ihr Schicksal war nicht
leicht. Unordnung in der Gesellschaft, Zerbrechen des Familienlebens
, Völkerwanderungen durch Krieg und Naturkatastrophen waren
und sind noch eher an der Tagesordnung, als eine Ausnahme. Inmitten
all dessen hat aber der asiatische kulturelle und religiöse Genius
nie aufgehört, nach innerer Ruhe und Harmonie der Natur zu
suchen. Diese Situation muß die christliche Mission ansprechen"
(198). Jedoch, trifft dies allein auf Asien zu? Und ist unsere Geschichte
nicht ganz ähnlich deutbar? Hat nicht z. B. die gotische Architektur
eine Dimension, die der „Bewegung in Ruhe" des japanischen
Pagodenturms korrespondiert? Hätte vielleicht unser Bemühen
um „missionarische Gemeinde" doch sehr viel mit der Frage zu tun,
was Mission in Asien sein kann? Es geht gewiß auch, aber nicht nur
um das Bewußtsein von Harmonie in einer zerrissenen Welt. Die andere
Seite spricht M. M. Thomas an: Mission ist Partnerschaft von
Menschen, die in verschiedenen Religionen und Ideologien beheimatet
sind, beim weltweiten Kampf um Menschenwürde, Liebe und Gerechtigkeit
(176).

Der sechste Teil trägt die mehrdeutige Überschrift „Theologie des
religiösen Pluralismus". Er enthält eine offizielle Erklärung der Ostasiatischen
Christlichen Konferenz von 1964 zur christlichen Begegnung
mit Menschen anderer Religionen. Diese Begegnung „könnte
das Aufgeben von viel Vertrautem mit sich bringen - eine Art der
Selbstentäußerung, die schmerzlich und gefährlich sein wird. Aber
nur so wird der Heilige Geist zeigen, wie der Glaube im Idiom der in-
digenen Kulturen, in Formen von Gemeinschaftsleben, wo er
Leuchtkraft gewinnt, und in für die Nöte der zeitgenössischen Gesellschaft
relevanten Aktionen, neu formuliert werden kann" (221). R.
Panikkar erörtert in seinem bedeutenden Beitrag „Christen und sogenannte
,Nichtchristen"', daß es keinen Bereich geben kann, der
dem Wirken Christi entzogen wäre (2240 und daß darum der Begriff
des Gegensatzes von „Christen" und „Nichtchristen" falsch sei. Darum
könnte die Christusbotschaft für Indien bedeuten, daß ein bekehrter
Hinduismus und nicht die Stiftung einer vom indischen Leben relativ
abgesonderten Kirche das Resultat sei (242).

Der siebente und letzte Teil möchte die „Theologie der Entwicklung
und Befreiung" auf asiatischem Hintergrund entfalten. Man
richtet sich vor allem gegen den Werte-Imperialismus des europäischamerikanischen
Lebensstils (270ff) und möchte dadurch die Freude
des Evangeliums neu entdecken und beleben und damit zu einer tiefer