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Ausgabe:

1981

Spalte:

451-453

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Zippert, Christian

Titel/Untertitel:

Leben mit Gebeten 1981

Rezensent:

Bieritz, Karl-Heinrich

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 6

452

Konsensus gleichsam verschlungen. Es ist hier nicht darüber zu urteilen
, inwiefern ein solches Ergebnis die tatsächliche Situation des
Katholizismus in der BRD erfaßt. Fraglich muß es aber erscheinen
angesichts der geschichtlichen Situation, besonders unter ökumenischen
Gesichtspunkten. Diesbezüglich müßte schärfer analysiert
und in aller Klarheit theologisch durchdacht werden, ob und wie Pluralismus
in der Kirche möglich ist, ohne daß Kirche als Kirche zu
existieren aufhört. Dazu wäre es u. E. insbesondere notwendig, die
Normativitätsfrage eindeutiger und auch widerspruchsfreier aufzugreifen
als in der vorliegenden Untersuchung.

Münster (Westf.) Eckhard Lessing

Zippert, Christian: Leben mit Gebeten. Erfahrungen und Anregungen
. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1978. 127 S.
8- = GTB Siebenstern 266. Kart. DM 5,80.

Greshake, Gisbert, u. Gerhard Lohfink [Hrsg.]: Bittgebet - Testfall
des Glaubens. Mit Beiträgen von G. Greshake, A. Hertz, G. Lohfink
, T. Pröpper, H. Schaller. Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag
1978. 104 S. 8° = Grünewald Reihe. Kart. DM 14,50.

Zwei Bücher über das Gebet von sehr unterschiedlicher Gestalt
und Absicht: Chr. Zippert erzählt in schlichter Weise über eigene
und fremde Erfahrungen mit Gebeten. Er beginnt mit „Erinnerungen
an Kindergebete", verschweigt die Schwierigkeiten nicht, die manche
mit der Bewältigung frühester religiöser Erfahrungen haben, erweckt
aber für sich selber durchaus angenehme Erinnerungen: „Mein Gott
war freundlicher, und er ist es geblieben ..." (16). Erfahrungen mit
dem Vaterunser, mit den Psalmen, mit dem Gesangbuch, mit liturgischen
Texten schließen sich an. Dabei wird jeweils ein weiter Bogen
geschlagen von den Gebeten der Väter zu neuen und neuesten Texten
; so stehen im Abschnitt über das Vaterunser Luthers Auslegungen
im Kleinen Katechismus und der Hinweis auf seine Vater-unser-
Paraphrase neben dem entsprechenden Text von Dorothee Solle aus
dem „Politischen Nachtgebet" und neuen, das Gebet karikierenden
und verfremdenden Texten. Auch im Abschnitt über die Psalmen
kommt zunächst Luther zu Wort, bevor Neuübersetzungen, Transformationen
und Nachdichtungen (Cardenal, Buber, Zink u. a.) vorgestellt
und besprochen werden. Der Abschnitt über das Gesangbuch
gerät zu einer Huldigung an Paul Gerhardt; hier fehlen Hinweise auf
neue Liedtexte. Im Abschnitt über das gottesdienstliche Gebet dagegen
wird auch über neue Formen des Glaubensbekenntnisses und
des Fürbittgebetes berichtet. Im ganzen gilt: Liebevoll geht Z. mit
den Texten der Tradition um, auch da, wo er sie hier und da in ihrer
Sprachgestalt oder Aussage kritisiert; den neueren Texten - auch denen
, die er nicht akzeptieren kann - erweist er Achtung und Toleranz
; nur weniges verwirft er ganz. Aufschlußreich ist hier der letzte
Abschnitt des Buches („Aufgelesene Gebete"): Hier bekennt er sich
(wenn auch nicht unkritisch) zu den Gebeten von Karl Bernhard Ritter
und Huub Oosterhuis als zu Texten, die seine eigene Gebetserfahrung
am stärksten prägten und prägen.

„Erfahrungen mit Gebeten" wollte Z. erzählen, „nicht eine Theorie
über das Beten aufstellen" (125). Das letztere wird aber nun in
dem zweiten hier zu besprechenden Buch versucht, das auf eine in der
„Theologischen Quartalschrift" geführte Diskussion zurückgeht und
diese in überarbeiteter und um einige Beiträge erweiterter Form
dokumentiert. A. Hertz beginnt mit Überlegungen „Zur Problematik
des Bittgebets" (10-18); am Paradigma der Bitte um den Sieg
im Kriege macht er den „Zusammenhang zwischen der jeweiligen
Vorstellung von Gott und den Problemen des Bittgebets" (16) deutlich
: Schwierigkeiten, die wir heute mit dem Bittgebe haben, verweisen
zurück auf einen Wandel des Gottesbildes - genauer: auf die
Krise einer unter stoischen und neuplatonischen Einflüssen zustandegekommenen
Vorstellung, „in der Gott primär oder ausschließlich
als Gesetzgeber und Hüter einer sittlichen Weltordnung aufgefaßt

wird" (15), „als eine Art Schicksal oder als reines Willenssubjekt"
(18). Dem stellt H. das „von Jesus verkündete Gottesbild von Gott als
dem Vater der Menschen, dem der Mensch sich voll Vertrauen zuwenden
darf und soll" (18), gegenüber.

Bedeutet dies nun zugleich: „Wenn Menschen Gott dennoch mit
ihren Bitten bedrängen, dann deshalb, weil sie sich vor ihm fürchten
und sich seiner Macht ausgeliefert fühlen und ihn deshalb durch Gebet
und Opfer günstig stimmen wollen" (18)? Lohfink und Greshake
reagieren in ihren Beiträgen recht allergisch auf solcherart Folgerungen
: Lohfink („Die Grundstruktur des biblischen Bittgebets",
19-31) verweist auf die biblisch bezeugte „Geschichtsmächtigkeit
Gottes" als grundlegende Voraussetzung für das Phänomen Bittgebet;
der Glaube daran, daß Gott in der Geschichte handelt und alle Geschichte
ein „unauflösbare(s) und undurchschaubare(s) Ineinander
göttlicher und menschlicher Freiheit" ist (21), wird gerade im Bittgebet
konkret, das „einer der elementarsten Ausdrücke für das dialogische
Gegenüber zwischen Gott und Menschen und für die lebendige
Geschichte zwischen beiden" ist (30). Freilich: Wenn dann - im Zusammenhang
der Frage nach der Gebetserhörung - darauf verwiesen
wird, „daß schon der Akt des Bittgebets selbst zur befreienden, sinnstiftenden
Veränderung werden kann, weil der Bittende selbst sich im
Gebet verändert hat und weil eben damit auch die Welt für ihn anders
geworden ist" (30), wird der Beter letztlich doch auf sein Selbstverständnis
zurückgeworfen und ein Zirkel gestiftet, der aus den mit dem
Stichwort „Gebetserhörung" verbundenen Aporien nicht herausführt
.

Gelingt G. Greshake („Grundlagen einer Theologie des Bittgebets
", 32-53) ein solcher Ausbruch? In Auseinandersetzung mit
dem „Gottesbild der klassischen Metaphysik" (37), aber auch mit allen
Versuchen, das Bittgebet als Weise menschlicher Selbstreflexion
zu verstehen und damit umzuinterpretieren (35), baut er zunächst
den schon bei Lohfink angelegten personal-dialogischen Ansatz weiter
aus: Gott ist Allmacht, die sich selber zurücknimmt (Kierkegaard
), die das Geschöpf freisetzt, sich von ihm im „personalen
Wechselspiel" ansprechen und bewegen läßt; somit gilt: „Alles Geschehen
ist Ergebnis des Wechselspiels, des Dialogs, der sich zwischen
Gott und dem Geschöpf abspielt" (380; im Bittgebet (als einer
„Form geschöpflicher Ursächlichkeit", 42) wirkt der Mensch an der
Geschichte und an seinem eigenen Geschick mit. Solche Mitwirkung
ist freilich auch nach G. nur innerhalb des „Glaubenszirkels" (52) erfahrbar
und erfaßbar; nur der Glaube kann Ereignisse der Individual-
oder Gesamtgeschichte als Gebetserhörungen (als auch punktuell erfahrbare
, antizipatorische Zeichen „ungeminderten Lebens", 46)
qualifizieren. Der Rückverweis auf das Selbstverständnis des Betenden
als Angebot eines Auswegs aus den Aporien fehlt darum auch bei
G. nicht: „Somit verändert das Gebet des Glaubens den Erfahrungshorizont
, in dem die konkrete Not des Menschen steht; sie wird in
einen total neuen Zusammenhang eingeordnet, auch da, wo die Not
,in sich' nach dem Bittgebet noch unverändert fortbesteht" (47).

Die damit aufgeworfenen Fragen werden von H. Schaller („Das
Bittgebet und der Lauf der Welt", 54-70) noch einmal ausdrücklich
thematisiert. Ausbaufähig (wenn auch in den Überlegungen von Lohfink
und Greshake bereits angelegt) scheint mir der Versuch, das Gebet
als einen Akt der Deutung, der Sinnstiftung zu verstehen, durch
den Sinnwelten aufgebaut bzw. umstrukturiert und damit Wirklichkeiten
allererst geschaffen werden; denn Wirklichkeit begegnet uns
nie „an sich", sondern immer nur als gedeutete Wirklichkeit, als
Sinnwelt, die den Dingen in ihr erst Bedeutung, Wirkung und damit
Anteil an Wirklichkeit verleiht: „Es gibt nicht den objektiven Sinn
eines Ereignisses. Immer ist ein Geschehen eingefugt in einen
menschlichen Sinnzusammenhang, immer steht es in Korrelation
zum eigenen Sinn-Haben und Sinn-Verstehen" (63). Dies kann heißen
, daß die Dinge - über jede Interpretation hinaus - sich wandeln
(in ihrer Wirklichkeit für uns), daß sie „gut werden", daß Situationen
sich von Grund auf umkehren, wo derart Sinn und damit Wirklichkeit
gestiftet wird. Was dies für die Praxis des Bittgebets bedeuten