Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1981

Spalte:

447-448

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Eichinger, Werner

Titel/Untertitel:

Erbsündentheologie 1981

Rezensent:

Bertinetti, Ilse

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

447

Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 6

448

Eichinger, Werner: Erbsündentheologie. Rekonstruktionen neuerer
Modelle und eine politisch orientierte Skizze. Frankfurt am Main-
Bern-Cirencester/U. K.: Lang 1980. 285 S. 8°. = Europäische
Hochschulschriften Reihe 23: Theologie, 138. Kart. sfr. 46,-.

Der Vf. geht einleitend davon aus, daß die nach dem Zweiten Vatikanischen
Konzil aufgekommene Diskussion um die Erbsündenlehre
zwar abgeklungen, ein aggiornamento jedoch nicht zustandegekommen
sei. Zur zentralen These der Studie erhebt Eichinger die Behauptung
, alle neueren Versuche einer Interpretation des Erbsündendogmas
seien „bei den meisten Christen nicht ,angekommen"', und dies
sei im wesentlichen durch die „lebenspraktische(n) Belanglosigkeit
und theoretische(n) Unschärfe der vorliegenden Modelle" verursacht
(1).

Der Vf. will die Problematik wissenschaftstheoretisch und sprachanalytisch
angehen, um Möglichkeiten einer überzeugenden Artikulation
zu erschließen. Um „Theologie als Theorie" (3-18) transparent
zu machen, werden eine Reihe methodologischer Konzeptionen
im Hinblick auf ihre Brauchbarkeit für die Erklärung theologischer
Axiome und Theoreme kritisch untersucht. Die vorf Wittgenstein
vorgestellte Isomorphie von Sprache und Welt schließt nach Eichinger
ein Sinnlosigkeitsverdikt gegen jede metaphysische Aussage ein,
das aber bedeute: „Der Theologie sind in diesem Sprachverständnis
alle Ausdrucksmöglichkeiten genommen", da die Sprache nur die
faktisch vorhandene Welt beschreiben könne (5). Es verbleibe lediglich
ein .„Mystisches"', das unaussagbar sei (ebd.).

Es sei ferner nicht möglich, mit Hilfe von Wittgenstein den für die
Theologie bedeutsamen „diachronischen (eschatologischen) wie
synchronisch-universalen (für alle Bedeutsamkeit behauptenden) Relevanzanspruch
des Glaubens" zu rechtfertigen (7). Die von Austin
und Searle entwickelte Sprechakttheorie dagegen berücksichtige ansatzweise
die diachronische Dimension des Sprachgeschehens, eigne
sich aber dennoch nicht zur Analyse theologischer Texte, denn:
„Diese müßten zur Untersuchung in einzelne Sprechakte aufgelöst
werden", wodurch sich „der Zusammenhang der Äußerungen, ihre
Systematik" verflüchtigen würden (8).

Die Bemühungen von Carnap, philosophische Probleme, die über
die syntaktischen Beziehungen zwischen Zeichen hinausgehen, zu negieren
oder Poppers Forderung nach empirischer Verifizierbarkeit als
Kriterium werden ebenfalls als unzureichend gewertet. Als hilfreich
erweise sich jedoch de.r semiotische Ansatz von Ch. W. Morris, dessen
Modell einen Rahmen für „Rekonstruktionen" (19-182) abgebe.
Der besonderen Schwierigkeiten, die theologischen Texten anhaften,
ist sich Eichinger bewußt. „Die Theologie ist keine mathematischlogische
Wissenschaft, sie ist deutlich praktisch veranlaßt und hat
praktische Konsequenzen. Ihre Axiomatisierung kann nicht mehr als
ein Versuch sein, die immanenten Relationen modellhaft darzustellen
" (23).

Verfahrensmäßig will der Vf. jeweils Extension (Untersuchung,
wem Erbsünde bzw. ein entsprechender Begriff zuzuschreiben sei)
und Intension (Merkmale, Ursache, Übertragung, Inhalt und
Folgeerscheinungen von Schuld) sowie semantische Konsistenz und
empirischen Gehalt überprüfen. Sodann sollen außertheologischer
Kontext (sofern vorhanden) und Entdeckungszusammenhang in Betracht
gezogen und schließlich nach der Handlungsrelevanz und den
zwischen der Erbsündentheologie und der Kirche bestehenden Relationen
gefragt werden. Der Handlungsrelevanz wird dabei vorrangige
Bedeutung beigemessen. „Denn wenn der - theologisch thematisierte
- Glaube nicht einfach Welt-.Anschauung', sondern lebensbestimmende
Orientierung ist, dann muß auf die Handlungsrelevanz auch
als Indiz für die Glaubwürdigkeit des Glaubens reflektiert werden"
(32).

Für die Rekonstruktion neuscholastischer Erbsündentheologie
wählt der Vf. Ludwig Ott, Grundriß der Dogmatik, 4. Auflage 1959,
als Paradigma aus. Otts Erbsündenlehre wird „als weitgehend in sich
stringente, widerspruchsfreie und systematisch kohärente Theorie"

(43) vom Vf. beurteilt. Obwohl das Theorieinventar (45) auch den
häufigen Gebrauch nichttheologischer (biologischer) Begriffe ausweist
, fehlt der außertheologische Kontext. Tradiert wird nach
Eichinger hier lediglich „ein theoretisches System fern jeder Hand-
lungsbezogenheit" (51), in welchem historische Zusammenhänge
(theoretische Auseinandersetzungen, die das Erbsündendogma provoziert
hatten) präsent sind.

Der Vf. stellt weiterhin eine Reihe von Versuchen dar, die eine Revision
der Erbsündenlehre intendieren (Piet Schoonenberg, Karl-
Heinz Weger, K. Schmitz-Moormann, Urs Baumann), um schließlich
sämtliche Neuansätze in seiner „Skizze einer politisch orientierten
Erbsündentheologie" (183-228) quasi von links zu überholen. In
der (u. E. entscheidenden) Frage, ob Erbsünde erfahrbar oder Gegenstand
des Glaubens sei, entscheidet sich Eichinger gegen Luther, dessen
„Erfahrungsdistanz ... typisch für die protestantische Sündentheologie
" sei (188).

Der Vf. will erfahrungsbezogen argumentieren, denn: „Erfahrbar
ist ... die Schuldverstrickung der Menschheit" (189), und als ihr
(zeitgemäßer) Typos habe die (politische) West-Süd-Relation zu gelten
. Die in der westlichen Hemisphäre üblichen Ost-West- und Nord-
Süd-Konfrontationen lehnt Eichinger als historisch falsch ab. Dem
Vf. ist zuzustimmen, wenn er sagt: „Politische Unterdrückung, ökonomische
Ausbeutung, kulturelle Entfremdung sind keine naturgegebenen
Größen, sondern Resultate menschlichen Handelns" (197).

Schwerlich kann man ihm aber folgen, wenn er aufweisbare
Schuldzusammenhänge (kollektive Schuld) nicht nur theologischethisch
reflektiert, sondern das Vorhandensein „strukturgewordener
Sünde" (198ff) behauptet. U. E. kann man in diesem Zusammenhang
nur von Sündenfolge oder, wie das von Eichinger zitierte II. Vatika-
num formulierte, von .„Auswirkungen der Sünde'" (199) sprechen.
Die strukturgewordene Sünde der West-Süd-Relation hat nach
Eichinger, da sie die Kontraposition zu der sich in der Nächstenliebe
(vom Vf. gleichgesetzt mit der Solidarität mit den „Armen") konkretisierenden
Gottesliebe ist, sogar „heilsentscheidende Relevanz"
(244).

In einem Schlußkapitel „Strukturgewordene Sünde, Gnadenlosig-
keit und Taufe" (224-228) reflektiert der Vf. über die Notwendigkeit
der Taufe, d. h. zugespitzt über die Frage, ob die Taufe durch die politische
Aktion ersetzt werden könne. Damit ist die erfahrungsbezo-
gene Theorie allerdings in eine Sackgasse geraten. Der Vf. schließt
mit dem Postulat: „Daß die Taufe für die Überwindung der in der
West-Süd-Relation strukturgewordenen Sünde nicht nur Relevanz
haben kann, sondern hat, läßt sich argumentativ nur behaupten; bewahrheitet
werden muß es in der Praxis" (228).

Potsdam-Babelsberg Ilse Bcrtinetti

Coste,R.:L'hommefraternel (NRTh 112, 1980 S. 641-671).
Cott, Jeremy: The problem of Christian messianism (JES 16, 1979
S. 496-514).

Fastenrath, Elmar: Die Auseinandersetzung um das christologische
Dogma im Zeitalter des Modernismus im Werke G. Essers
(MThZ31, 1980 S. 161-187).

Ippoliti, Alessandra: Parola e elezione in Barth (Protest. 35, 1980
S. 159-164).

Lacoste, Jean-Yves: Ontologie et mystere chretien (NRTh 112, 1980
S. 707-715).

Marie, Rene: Gerhard Ebeling. Une dogmatique de la foi chretienne

(RSR68, 1980 S. 481-518).
Renwart, Leon: «Un signe en butte ä la contradiction» (Lc 2,34). La

Christologie dans quelques ouvrages recents (NRTh 112, 1980

S. 716-755).

Sasse, Hermann: Creio no Espirito Santo (IgLu IV, 1979 S. 5-23).
Schneider, Gerhard: Christologische Aussagen des «Credo» im

Lichte des Neuen Testaments (TThZ 89,1980 S. 282-292).
Subilia, Vittorio: Lo statuto dello Spirito (Protest. -35, 1980

S. 151-159).