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1981

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 6

444

Metatheologie reduzieren und damit nicht dem Absolutheits-
anspruch des Christentums gerecht werden (98).

Um solche Konsequenzen zu vermeiden, geht Vf. den oben angedeuteten
Weg der Interpretation "from without". Im Grunde, so
meint er, haben Heidegger und Wittgenstein die gleichen Einsichten.
Sprache ist bei beiden nicht nur ein System von Zeichen, sondern
"the bearer of meaning" (77). Man macht mit der Sprache die richtigen
Erfahrungen, indem man auf sie hört und sich ihrem Anspruch
fügt. Wittgenstein vertritt allerdings diese Einsicht nur in einem praktischen
Sinne. Indem er immer wieder die einzelnen Sprachspiele
analysiert, weist er stets erneut auf die Sprache als "dwellingplace-of
meaning" hin (78). Von hier aus, so meint Vf., müßte man genauso
wie im Tip eine Mystik im Spätwerk Wittgensteins feststellen. Obgleich
Wittgenstein in den PU stets auf die "giveness of meaning" in
allen einzelnen Sprachspielen anspielt, ist sie selbst unaussprechbar.
Denn sie ist etwas, was jenseits des einzelnen Sprachspiels liegt. Der
Sprechende ist aber stets an ein einzelnes Sprachspiel gebunden. Aus
diesem Grund gibt es nur die schweigende Anerkennung des Mysteriums
der Gegebenheit von Sinn (meaning).

Es ist klar, daß hier nicht nur eine ex-silentio-Argumentation, für
die es bei Wittgenstein keinen Hinweis gibt, ins Spiel kommt, sondern
daß auch als Konsequenz der ungenauen Darstellung der Wittgen-
steinschen Bedeutungstheorie ein völlig neuer Bedeutungsbegriff
unterstellt wird. PU 43 spielt keine Rolle mehr. Stattdessen greift Vf.
zu einer Definition von C. Ernst: Meaning ist "that praxis, that pro-
cess and activity, by which the world to which man belongs becomes
the world which belongs to man" (117). Es liegt auf der Hand, daß
solch ein Verfahren trotz mancher Bezüge zu PU 217 und anderen
Stellen auch für eine Interpretation "from without" fragwürdig ist.

Nachdem Vf. Wittgenstein im 1. Teil dargestellt und interpretiert
hat, versucht er diese Interpretation im 2. Teil theologisch nutzbar zu
machen. In der Art der praeambula fidei, wie sie von Vatikanum I
vorgezeichnet wurden, bemüht er sich, von Wittgensteins Philosophie
zur Theologie zu kommen. Hierbei ersetzt er den traditionellen
Naturbegriff durch den meaning-Begriff: "... it looks as though
meaning may aptly function as a basis on which the knowability of
God outside revelation can be asserted, because it can play a role si-
milar to the one played by nature" (119). Nachdem Wittgensteins
"openess to God" auf diese Weise festgestellt wurde, konfrontiert Vf.
Wittgenstein mit Thomas von Aquino, um des letzteren sprachliche
und ontologische Ansichten zu ergänzen. Die Begriffe „Glaube" und
„Liebe" werden untersucht. Glaube und Liebe haben nach Thomas
ihre Vollendung in der unio ad deum, „in quo solo beatitudo hominis
consistit" (vgl. 138). Diese unio muß aber in schweigender Kontemplation
vollzogen werden. Die Sprache des Glaubens bereitet dieses
Schweigen vor und weist auf es hin. Wittgenstein hat diese besondere
Beziehung zwischen Sprache und Schweigen, so meint Vf.,
über Thomas hinaus explizit bewußt gemacht. Indem er die „Leiterfunktion
" der Sprache erhellte, erhellte er gleichzeitig auch die von
Thomas postulierte besondere Beziehung zwischen Sprache des
Glaubens und unio ad deum.

Der vom Vf. inaugurierte Dialog zwischen Thomas und Wittgenstein
wird im folgenden auf ontologischem Gebiet fortgesetzt. Der
grundlegende ontologische Begriff ist beim frühen Thomas „substan-
tia", beim späteren Thomas „esse" (Being). Auch bei Wittgenstein
gibt es beim näheren Hinsehen ontologische Konturen. Sein grundlegender
Begriff ist der des Sprachspiels. Die Menschen können die verschiedensten
Sprachspiele spielen. Aber sie können es nicht unbegrenzt
tun. Die prinzipielle Übersetzbarkeit von einer Sprache in die
andere weist auf eine die Zahl von Sprachspielen begrenzende Einheit
, weist auf eine Norm und ein Telos hin. Diese Einheit, diese
Norm, dieses Telos ist die Liebe als grundlegende Sympathie, die
Übersetzen, Verstehen, Kommunikation als notwendige Bedingung
überhaupt erst möglich macht.

Diese Liebe ist nun aber in Christus als "the Meaning... determin-
ing the structure of all human meaning" offenbart worden (154).

Und indem Christus dies offenbarte, offenbarte er Gott. Denn "God
is the Meaning of meaning. God is love" (176). - Mit einem so verstandenen
meaning-Begriff ist es möglich, des späteren Thomas'
Ontologie, die durch die Elimination des Naturbegriffs schon verändert
wurde, in weitreichender Weise zu ergänzen: "... instead of
trying to conceive of being in terms of nature . . . we tried to conceive
of being in terms of meaning" (184). Vom so verstandenen being
(ens)-Begriff gelangt Vf. zu einer modifizierten Auffassung vom Being
(esse): "Meaning ... can be called the process through which beings
reveal (their) Being" (159).

Nach diesen ontologischen Ausführungen folgen einige Überlegungen
zur Christologie und Eucharistie im Spannungsfeld zwischen tho-
mistischen und Wittgensteinschen Positionen. Charakteristisch ist
hier, daß die von Thomas repräsentierte Ontologie durch die vom Vf.
herausgearbeitete "ontology of meaning" modifiziert bzw. ersetzt
wird.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß Vf. durch seine Methode
, seine Wittgenstein-Interpretation interpretativ auf Anschauungen
des Thomas zu beziehen, zu manchen erhellenden Einsichten
innerhalb der natürlichen Theologie, der Philosophie der religiösen
Sprache, der Ontologie, der Christologie und der Abendmahlslehre
gelangt. Hierüber im einzelnen zu befinden, überstiege allerdings
den Rahmen des Möglichen. An einer entscheidenden Stelle
aber irrt Vf.: Der meaning-Begriff, so wie er ihn definiert, kann nicht
von Wittgenstein hergeleitet werden. Da von ihm die ganze "inter-
pretation from without" abhängt, ist sie als Wittgenstein-
Interpretation gegenstandslos, ihre Relevanz für die Theologie nicht
Wittgensteins Relevanz für diesen Bereich religiöser Sprache. U. E.
bleibt als Möglichkeit nur der Weg der "interpretation from within"
(vgl. oben), wie ihn z. B. D. Z. Phillips beschreitet. Dem Einwand,
daß damit der Relativierung des Christentums und der Aufgabe des
Absolutheitsanspruchs Vorschub geleistet würde, kann mit dem Hinweis
begegnet werden, daß erst einmal die Natur dieses Anspruchs geprüft
werden müsse. Dies ist auf alle Fälle eine Aufgabe der "interpretation
from within". Wird nun aber die Prüfung vollzogen, kann
leicht gezeigt werden, daß richtig verstandener Absolutheitsanspruch
und richtig verstandene "interpretation from within" keine Widersprüche
sind und zu keinen Widersprüchen führen. (Vgl. D. Z. Phillips
, Religiöse Glauhensansichten und Sprachspiele. A. a. O.,
S. 258 ff).

Formal ist zu beanstanden, daß zahlreiche orthographische Fehle»
die Lektüre gerade für einen deutschen Leser schwierig machen.
PU23 wird in der Fußnote 30 (p. 201) statt als auf p. 44 als auf
p. 52-3 zitiert angegeben. Wiederholungen von Zitaten und Gedankengängen
(z. B. über die Mystik bei Wittgenstein p. 31 ff. 55. 82f.
138ff) erleichtern nicht das Lesen des Buches, sondern erschweren es,
weil es hierdurch an Übersichtlichkeit verliert.

Jänickendorf Wilfried Flach

Alexy, Metropolit: In der Kraft des Heiligen Geistes - frei für die
Welt(ZdZ 1980 S. 41-52).

Arbeit und Religion (Themaheft Concilium 16,1980, Heft 1):
Remy, Jean: Arbeit und Bewußtseinsbildung(S. 2-7)
Maduro, Otto: Arbeit und Religion nach Karl Marx (S. 7-12)
Freund, Julien: Arbeit und Religion Yiach Max Weber (S.
12-17)

Houtart, Francois, u. Genevieve Lemercinier: Religion und
Reproduktion sozialer Strukturen. Katholizismus und Kastenstruktur
in einer Gegend Südindiens (S. 17-22)
Rolim, Francisco: Religion und Armut in Brasilien (S. 23-28)
Simpson, John: Arbeit, Kirchenbesuch und Glückempfinden
in den USA (S. 28-32)