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1981

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 6

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Zweig spätestens nach Bossuet vertrocknete, erhielt sich das chi-
liastische Hoffhungsgut. Es konnte dies freilich nur tun, weil es sich in
ständiger Metamorphose zeitbedingten Erwartungen öffnete bzw. als
Einkleidung für diese diente, wofür die relative Unbestimmtheit der
Voraussagen Joachims den Ermöglichungsgrund darstellte. Noch
heute - im Zeitalter der Revolutionen - ist nach Lubac Joachims enthusiastischer
Geist wirksamer als der Augustins, jedoch in „laisier-
ter" Form. Für ihn ist der Joachitismus überhaupt eine der wesentlichen
Stationen auf dem Wege der Säkularisierung und Rationalisierung
, und diese den Intentionen Joachims stracks zuwiderlaufende
Tendenz sei schon an der Wende zur Renaissance offenkundig geworden
. Damit ist die Problematik seiner Bibelauslegung, die ihn zu
häretischen Folgerungen führte, deutlich erkannt, wobei ich mit
Lubac meine, daß Joachims fundamentaler dogmatischer Irrtum
durch problematische Anwendung der Trinitätslehre auf die Geschichtsschau
christologischer Art war. Trotzdem scheint mir, daß
Joachims Glaube an die Perfektibilität von Kirche und Gesellschaft
auch positiv zu beurteilen ist, da er geeignet war, vorwärtsweisenden
geschichtlichen Kräften für ihren Dynamismus sowie ihre emanzipa-
tiven und humanisierenden Bestrebungen ein - wenn auch
beschränktes - geistiges Rüstzeug zu vermitteln. Diese Lubac weniger
interessierende Seite des Vermächtnisses Joachims ist in dem auch
von ihm oft zitierten Werk von Henry Mottu „La manifestation de
l'Esprit selon Joachim de Flore" (Paris-Neuchätel 1977; vgl. meine
Rez. in DLZ 100, 1979 Sp.782ff) kräftig hervorgehoben worden.
Doch ist Lubacs Interpretation der Aussagen Joachims sachlich und
verständnisvoll, und das Umstürzend-Revolutionäre seiner Erwartung
einer Geistkirche auf Erden tritt plastisch hervor. Dagegen
macht Lubac bei anderen Theologen, die Joachims Werk vorbereiteten
oder in gewissem Maße aufnahmen, darauf aufmerksam, daß sie
innerhalb der Grenzen der Rechtgläubigkeit blieben, weil Christus
zentrale Bedeutung in ihrem System behielt und der erhoffte Geist als
Geist Christi verstanden wurde. So betont er, ohne die betreffenden
Intentionen zu verfälschen, das Katholische bei Rupert von Deutz,
Honorius Augustodunensis und Anselm von Havelberg, aber auch
bei Franziskanern wie Olivi, Ubertin von Casale und Angelo Cla-
reno, erst recht natürlich bei Bonaventura, dessen vermittelnder
Standpunkt bestrebt war, einen extremen Joachitismus in seinem Orden
vollends zu entmachten. Zugleich wird aber deutlich, daß Bonaventura
sich erheblich vom letztlich ahistorischen Denken des Aqui-
naten mit seiner scharfen Abgrenzung von Joachim unterschied.

Im folgenden fragt Lubac immer wieder geduldig, ob und in welchem
Maße spätere christliche Einzelpersönlichkeiten und Bewegungen
wirklich als joachitisch anzusprechen sind, wie sie älteres chilia-
stisches Gedankengut joachitisch umprägten bzw. vertieften, wie sie
vor allem aber auch joachitische mit andersgearteten Gedankenströmen
verwoben. Unter letzterem Aspekt macht er sehr interessante
Ausführungen über mannigfache Verbindungen mit der freigeistigen
„Ideologie" sowie später mit Humanismus, Kabbala, Astrologie und
Alchemie. Auch die Indienstnahme des Joachitismus für gesellschaftskritische
Bestrebungen wird öfters wenigstens gestreift, so bei
Fra Dolcino, den Anfängen des Hussitismus, Teilen des „linken"
Flügels der Reformation des lö.Jh, utopischen Entwürfen des 16. und
17. Jh., radikalen Strömungen und Sekten der englischen Revolution
des 17. Jh. und den geistigen Wegbereitern der französischen Revolution
(Freimaurer!). Besonders ausführlich wendet er sich der Neuzeit
bis zur Mitte des 19. Jh. zu. Aufschlußreich gerade auch für den deutschen
Leser sind seine Hinweise auf einen originalen Neujoachitis-
mus unter franziskanischen Missionaren in Lateinamerika sowie auf
die ganz anders gefärbten joachitischen Einwirkungen auf kath. Mystiker
besonders im Frankreich des 17. Jh. Es wird der ganze Wirkungskreis
der „Rosenkreuzer" auf Geisterwartungen abgehorcht,
aber auch Frau von Guyon, Bossuet, Vico, nicht zuletzt aber der französische
Benediktiner Dom Deschamps, der in mancher Hinsicht Gedanken
der Hegeischen Linken vorwegnahm. Kabinettstücke der
Darstellung sind die umsichtig differenzierenden und wohlabwägenden
Erörterungen joachitischer Einflüsse auf Swedenborg, Lessing,
Herder, Karl von Eckartshausen, de Maistre, Ballanche, Baader,
Schleiermacher, Fichte, Hölderlin, Novalis, Friedrich Schlegel, Hegel
und Schelling und ihrer jeweiligen Umdeutung.

Rostock Gert Wendelborn

Dockhorn, Kurt: Ernst Friedr. Langhans „Pietismus und Christenthum
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Diese Untersuchung kommt keineswegs „zur Unzeit" (9), wie Vf.
angesichts der neuen „religiösen Welle" einschränkend bemerkt. Gerade
bei der Vertiefung kirchlichen Lebens durch religiöse Verinner-
lichung bleibt Barths warnende Stimme für alle Zukunft aktuell, denn
sein Urteil über die Religion entspringt - wie Vf. erneut eindringlich
darlegt - nicht einer mißmutigen Laune, sondern reiflicher theologischer
Überlegung.

Hauptfrage dieser Studie ist: Was kommt nach Barths Lehre von
der Religion in praxi (10.121)? Die einschlägige und so m. E. noch
nicht formulierte These des Vf. ist es, daß das, was mit dem Paragraphen
über die Religion (KD § 17) abzubrechen scheint, seine präzise
Fortsetzung in Barths Lehre vom Gebet habe (10), die von Barth zwar
explizit nirgends vorgelegt worden ist, die aber gelegentlich der Abhandlung
verschiedener loci immer wieder implizit mitgedacht
wird (67).

In einem ersten Teil wird die Lehre von der Religion erneut entfaltet
. Vf. bringt viele interessante Beobachtungen zum theologiegeschichtlichen
Hintergrund des Denkens Barths. Barths Religionskritik
sei gegen jedes Bindestrich-Christentum (21) gerichtet, vor
allem gegen jede oberflächliche Synthese von menschlichem An-