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Ausgabe:

1981

Spalte:

399-401

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Bandt, Hellmut

Titel/Untertitel:

Zuversicht und Verantwortung 1981

Rezensent:

Kreck, Walter

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399

Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 6

400

40 Zur Frage, wie wenig dogmatische Sätze historisierend verstanden
sind, wie wenig die historische Darstellung den dogmatischen
Satz anfechten kann, vgl. den berühmten Midrasch bMen 29b: Gott
zeigt Mose, als dieser in den Himmel steigt, die Thora zu holen, das
Lehrhaus des R. Aqiba, damit er zuhören kann: „Er (Mose) verstand
aber ihre Unterhaltung nicht und war darüber bestürzt. Als (Aqiba)
zu einem (bestimmten) Problem Stellung nahm, fragten ihn seine
Schüler: Woher weißt du dies?, und (Aqiba) antwortete ihnen: Dies
ist eine Lehre des Moses vom Sinai! Da wurde (Mose) beruhigt" (nach
P. Schäfer, Die Thora der messianischen Zeit, ZNW 65, 1974, 29;
auch A. Nissen, Gott und der Nächste im antiken Judentum [=WUNT 15]
Tübingen 1974, 352 A. 0).

41 Nissen, a. Anm. 6o a. O., 5o A. 0.

62 Nissen, a. Anm. 6oa. O., 49.

63 Pesiq 74/4ob u. ö., vgl. Nissen, a. Anm. 6o a. O., 172 A. 344.

" Vgl. auch NumR 19,1 zu 19,2 (78a) und Pesiq 54f/29b-30a (Nissen
, a. Anm. 60 a. O., 171 A. 338) über Widersprüchlichkeit einiger
Reinheitsvorschriften: „Wer tat dies, wer befahl dies, wer verfügte
dies? Nicht der Einzige der Welt?"; und abschließend: „Ich habe eine
Satzung festgesetzt, eine Verfügung verfügt; du bist nicht berechtigt,
meine Verfügung zu übertreten."

65 Für das Judentum hat diesen Glauben nachgewiesen P. Schäfer,
a. Anm. 60 a. O., 27^t2; vgl. auch 1QS 4,19ff („Und dann wird die
Wahrheit der Welt für immer hervorkommen .. ." ).

" bBMes 59b (Text bei Schäfer, a. Anm. 60 a. O., 290-

Allgemeines

Bandt, Hellmut: Zuversicht und Verantwortung. Theologie im Gespräch
mit fragenden Zeitgenossen (Vorträge, Predigten, Vorlesungsausschnitte
). In Zusammenarb. m. U. Brandt u. H. Schulz
hrsg. von F. Mahlburg. Berlin: Evang. Verlagsanstalt 1980. 156 S.
8". M 7,40 (Ausland 9,80).

Der früh verstorbene Greifswalder Systematiker Hellmut Bandt
„war ein Theologe eigener Prägung", der vielen „durch seinen kritischen
Umgang mit der theologischen Tradition und durch seine
Sprachbemühungen zu selbständigem Artikulieren ihres Glaubens"
half- so der Herausgeber (7). Durch die hier vorgelegte Auswahl aus
seinem Nachlaß soll auf charakteristische Intentionen dieses Theologen
hingewiesen werden, der vor allem „biblische Sachgemäßheit"
mit „existentieller und gesellschaftlicher Bewährung des Gedachten"
zu verbinden bemüht war.

In den drei Abschnitten dieser Schrift geht es um folgende Problemkreise
:

1. Die Aufgabe von Theologie und Kirche in der veränderten Situation
des neuzeitlichen Menschen.

2. Die Frage nach einem Neuansatz der Christologie.

3. Probleme der Ethik.

Ad 1) In dem Vortrag „Kontinuität und Veränderlichkeit" wird der
tiefgreifende Umbruch der modernen Gesellschaft in wissenschaftlicher
, technischer und sozialer Hinsicht untersucht und die Möglichkeit
bzw. Notwendigkeit einer eigenen Gestaltung der Geschichte
durch den Menschen, d.h. seine Mündigkeit (mit Bonhoeffer zu reden
), hervorgehoben. Dieser veränderten Lage müssen sich Theologie
und Kirche gerade um der Identität ihres Auftrages willen stellen, indem
sie nach einer neuen Sprache und damit zugleich nach einem
neuen Verständnis ihrer „Sache" suchen. In der anschließenden Vorlesung
(„Religion und Religionslosigkeit als theologisches Problem")
wird Bonhoeffers These von der Religionslosigkeit des heutigen Menschen
aufgenommen und davor gewarnt, das gesetzesfreie Evangelium
an eine religiöse Voraussetzung oder Bedingung des Heils zu
binden.

Ad 2) Die neue möglichst undogmatische Redeweise von Jesus
wird in der Predigt über Joh 6,66-69 demonstriert und in zwei Ausschnitten
aus der Christologie-Vorlesung B.s („Die Frage nach dem
Sinn des Lebens" und „Die Bedeutung Jesu für uns heute") reflektiert
. Auf die persönliche Stellungnahme zu Jesus, nicht auf Kenntnis
christologischer Begriffe wird in der Predigt der Akzent gelegt. Traditionelle
Auslegungen des Kreuzestodes sind nicht nur oft unsachgemäß
, sondern bilden heute eine Verstehensbarriere für viele.
Den Zugang zu Jesus erschließt in der Gegenwart eher die Frage nach
dem Sinn des Lebens, auf die Jesus mit seiner ganzen Existenz, d.h.
mit seinem einzigartigen Eintreten für den Mitmenschen, Antwort
gibt. Anstatt mit Sühne- und Stellvertretungstheorien ist Jesu Tod
besser als letzte Konsequenz seiner radikalen Nächstenliebe zu begreifen
. In dieser Liebe, die eindrucksvoll als freies, dienendes, leidendes
und der Versuchung ausgesetztes Verhalten beschrieben wird,
wirkt Jesus über seinen Tod hinaus als Vorbild wahrer Menschlichkeit
, wie ja auch sonst ein Toter durchaus lebendiges Vorbild sein
kann, ohne daß damit seiner Einmaligkeit und Einzigartigkeit Abbruch
getan wäre (87).

Ad 3) Im dritten Teil wird in einer Predigt über Lk 12,13-21 rechtes
Danken als „Leben vom andern her, aus Gnade" interpretiert und
in zwei Abschnitten aus der Ethik-Vorlesung das „Leben in Verantwortung
" und das „Leben mit dem anderen Geschlecht" behandelt
sowie in einem Vortrag die Frage: „Kann man immer die Wahrheit
sagen?" Grundsätzlich wird die Aufgabe der Ethik dahin bestimmt:
Sie „beobachtet und beschreibt die agape, die Liebe, zu der Jesus und
das gesamte neutestamentliche Zeugnis aufrufen und Mut machen,
bei ihrem Suchen nach dem Wirklichwerden neuer, heilsamer, sinnvoller
Lebensmöglichkeiten. Evangelische Ethik gibt Anleitung zum
Prüfen dessen, was in der gegebenen Situation den Mitmenschen,
dem einzelnen wie der Gesellschaft, zugute zu tun nötig wird. Ihre
Methode ist .Einübung im Prüfen'" (98). Als besonders gelungenes
Beispiel konkreter Ethik, die zu offenem, nüchternem und kritischem
Prüfen in hilfreicher Weise anleitet, erscheint mir der Abschnitt „Das
Leben mit dem anderen Geschlecht", der trotz seiner Kürze (ca. 15
Seiten) die wesentlichen Probleme anschneidet.

Im Vorwort wird von „Arbeitspapieren" gesprochen, aber sie geben
m. E. in dieser knappen, wohlbedachten Auswahl einen lebendigen
Eindruck von B.s Rede- und Lehrweise. Von Barth herkommend,
aber stärker an Bonhoeffer sich orientierend insistiert B. wie ein breiter
Strom evangelischer Theologie in den Nachkriegsjahren auf der
hermeneutischen Frage und ist gerade als Systematiker auf Klärung
des Sprachproblems bedacht. Aber charakteristisch für ihn ist dabei,
daß er auch bei seiner Hervorhebung der Sinnfrage eine individualistische
und idealistische Engführung zu vermeiden sucht und im
Ganzen der Geschichte die Erfüllung der Sinnerwartung erhofft. Entsprechend
lehnt er auch die Trennung von Individual- und Sozialethik
ab und nimmt die sozialpolitischen Faktoren in den Blick, wie
er auch die spezifischen Aufgaben und Chancen der Kirche in einem
sozialistischen Land vor anderen unbefangen und verantwortungsvoll
erkannt und anerkannt hat. Seine akademische Tätigkeit soll kein
„Glasperlenspiel" in einem Elfenbeinturm sein, sondern es geht ihm
um ein elementares Reden, das in einer säkularen und doch auf Humanismus
zielenden Gesellschaft auch von dem „Mann auf der
Straße" verstanden werden kann.

Mit dieser Intention mag es zusammenhängen, daß manches ungeschützt
gesagt ist. Dazu rechne ich etwa die Einschätzung der Sinnfrage
als Einstieg in die Christologie, bei der zumindest die Einschränkungen
gerade Bonhoeffers zu dieser Frage zu bedenken wären. Oder
ist es damit getan, einer Christologie „von oben" eine Christologie
„von unten" entgegenzustellen, anstatt zu zeigen, wie dies „Unten"
zugleich ein „oben" ist, so gewiß das Wort zwar Fleisch wurde, aber
sich nicht in Fleisch verwandelte? Kann der Begriff „Vorbild", der
gewiß auf Versäumnisse in der traditionellen Christologie hinweist,
das mit dem Begriff „Stellvertretung" Gemeinte hinreichend zum