Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1981

Spalte:

362-365

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Villiers, Dawid Etienne de

Titel/Untertitel:

Die eiesoortigheid van die Christelike moraal 1981

Rezensent:

Roscam Abbing, Pieter J.

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

361

Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 5

362

tischen Literatur" (46-78) wendet sich über P. Althaus vor allem in Tiefe reichenden psychischen Beschädigungen, welche solche mora-

zunehmend kritischer Abgrenzung K. Barth zu, verhandelt sodann tischen Fixierungen anrichten, überzeugt. Nur kommt Thilo damit ja

(leider nicht anhand der letzten, umgearbeiteten Aufl. meiner Ethik) von seinem Begriff der „Normen" nicht herunter, im Gegenteil, er

mein Konzept zur Sache, um zuletzt mit Thielicke ins Gespräch zu ersetzt ihn durch eine Variante, deren Sinn man zwar gefühlsmäßig

kommen. Immer nobel und auch bei kritischen Einwänden sachlich fassen kann, der aber in der wissenschaftlichen Ethik ungebräuchlich

und oft überzeugend, führt der sichtende Durchgang dann zu einer ist und sich jeder Analyse entzieht. Es ist der Begriff der „dynami-

Zusammenfassung über „dynamische oder statische Normativität", sehen Normen" bzw. der „dynamischen Ethik". Was ist das eigent-

zu dem Kernproblem des Buches in seinem theoretischen Grundan- lieh? Gemeint sind natürlich wandelbare Normen. Aber hat dann der

liegen. Davon soll zum Schluß dieser Besprechung noch die Rede Wandel selbst Normcharakter? Und auf welchen Wandel außerhalb

sein. Jedenfalls ist „die Wandlung der Normen" (4. Kap., 79-131) der Ethik reagiert der Wandel der Normen? Welche Autorität steht

eines, wenn nicht das therapeutische Hauptanliegen des Buches, die hinter diesen dynamischen Normen? Denn wenn sie nicht Autorität

Voraussetzung der hierauf folgenden fünf Kapitel, welche allerdings ausstrahlen, sind sie doch keine Normen? Was unterscheidet über-

nun ganz in die Praxis, in das volle Leben einführen, Realitäten sieht- haupt ethische Normen von Normen anderer Art, oder sind sie etwa

bar machen. Hilfe für die Eheberatung bieten und ganz abgesehen mit diesen anderen, etwa gesellschaftlichen, identisch? Aber die

von der theoretischen Problematik für sich selbst sprechen. Hauptfrage lautet schließlich: Ist es überhaupt das Wesen der Ethik,

Ich will mich hier auf kurze Inhaltsangaben beschränken. Kap. 5 sich in Normen auszusprechen? Ehe wie Familie sind darum und

(132-162) gilt der „Erwartungshaltung der Partner vor der Ehe". Th. insoweit hohe, unverzichtbare „Güter", daß sie von der Realisierung

beginnt mit einem theologischen Plädoyer für das „Glück", um von sittlicher Grundwerte leben. Diese Werte nehmen an jedem Wandel

Wer aus den Erwartungen auf die Spur zu kommen, welche, weithin unserer Kulturgeschichte, unserer sozialen Systeme und auch der

sehr unterschiedlich von beiden Geschlechtern, und auch weithin persönlichen Entwicklung teil. Ihr Erscheinungsbild ist ebenso in ste-

ebenso emanzipatorisch wie verblüffend unmodern unter der Fassade ter Veränderung begriffen, wie sie sich wohl auch untereinander von

des Offiziellen gehegt werden. Die „Probleme der Partnerwahl", Generation zu Generation den Vortritt überlassen müssen. Die Treue

denen das 6. Kap. gewidmet ist, sind damit nicht ohne weiteres iden- und die Zuverlässigkeit, Wahrhaftigkeit und Vertrauen, das Schamge-

t'sch. Hier (163-201) kommen die Motive der Anziehung, kommt die fühl, die „Dezenz", auch unser Gewissen befinden sich in einem

T>pik der dabei sichtbar werdenden Konflikte und Abwehrmecha- geschichtlichen Wandel, wenn sie lebendig sind, und bleiben doch in

nismen zur Sprache; vor allem: in welchem Sinne können wir über- allem Wandel identisch. Sie bleiben, wenn ich mich so ausdrücken

haupt von „Wahl" sprechen? Kap. 7 (202-226) beschäftigt sich dann darf, unwandelbare Sterne am Firmament der Ethik. Aber es ist dafür

mit dem ..Sexualverhalten vor und in der Ehe", theologisch insofern gesorgt, daß die moralische Welt unterhalb dieses Firmaments nicht

überzeugend, als nicht von der Ursünde, sondern vom Schöpfungs- statisch zementiert ist. Und die therapeutischen Notwendigkeiten

glauben her argumentiert wird. Das Verhältnis von Sexualität und und Hilfen leben von der ethischen Freiheit. Aber so eng sich auf dem

Entfremdung und die hier uns begegnenden Ängste kommen zur Felde der Eheberatung die therapeutische Erfahrung mit der Ethik

Sprache, wie vor allem die Analyse der verschiedenen Störungsfak- berühren muß, ich vermute: die Einsicht in ihre Verwandtschaft muß

'oren und die Typik der Sexualstörungen eine hilfreiche und in sich mit der Wahrnehmung ihrer Verschiedenheit Hand in Hand gehen,
vorzügliche Partie des Buches darstellen. In den beiden letzten Kapi- Literaturverzeichnis, Personen- und Sachregister unterstützen die

teln kommen dann die grundlegenden Probleme der Eheberatung, Brauchbarkeit des reichhaltigen und anregenden Buches.
v°r allem aber auch Fragen der Methodik, einfühlsamer Praxis zur Göttingen Wolfgang Trillhaas

Sprache. Dies geschieht grundlegend in dem Kap. 8 „Eheberatung als
Teil kirchlicher Seelsorge" (227-258), wo die eigentliche „Beratung"

von der Psychotherapie sorgfältig unterschieden wird. Die Warnung Villiers, Dawid Etienne de: Die Eiesoortigheid van die christelike
v°r den naheliegenden und doch so oft verborgenen Fehlformen der Moraal. Amsterdam: Rodopi 1978. II, 229 S. 8". hfl 26.-.
Therapie wie der Beratung fehlt nicht, wie auch die auftretenden

Schwierigkeiten insgemein und die besonderen Probleme der Fami- Dieses Buch ist eine durch einen südafrikanischen Studenten vor

Üenberatung zur Verhandlung kommen. Das 9. Kap. (259-285) ist der theologischen Fakultät der Freien Universität Amsterdam vertei-

dann den seelsorgerischen Problemen der Ehescheidung gewidmet, digte Dissertation. Besprochen wird die Frage nach dem Proprium

Hier fiel mir der gute Satz auf: „Eheberatungsstellen ... keine Repa- der christlichen Ethik. Besteht dieses Proprium ausschließlich darin,

raturwerkstätten zur unbedingten Aufrechterhaltung der Ehe". Ich daß die christliche Ethik bzw. Moral in den Kontext christlichen

stimme der hier vertretenen Freiheit vom Gesetz völlig zu, die sich Glaubens integriert ist und dadurch einen neuen Sinn, neue Motivie-

freilich dann um so überzeugender auch zugunsten der Bewahrung rung bekommt, - oder auch darin, daß von einem eigenständigen In-

bestehender Ehen und der Konfliktüberwindung auszuwirken ver- halt und Ursprung, die auf eine eigenständige Weise gerechtfertigt

mag. Die inneren Spannungen innerhalb bestehender Ehen und das werden, die Rede sein kann?

Problem der Kinder bei Ehescheidungen kommen in vernünf- Auf dem Weg zur Antwort werden zwei Etappen zurückgelegt. Im
t'ger und hilfreicher Weise zur Sprache. - ersten Teil geht es um die philosophischen Bedingungen für eine
Aber warum nennt Thilo das ganze Buch nun eigentlich eine eigenständige Moral, während - nachdem sich herausgestellt hat, daß
• Ethik"? Und in welchem Sinne ist das Wort gemeint? Ich vermute, philosophisch in der Tat von einem Proprium gesprochen werden
daß der Titel des Buches die Antwort enthält: Der Inbegriff von Ethik kann - in dem zweiten Teil die spezielle Rechtfertigung und der spe-
scheint für Thilo der Begriff der „Norm" zu sein, und das führt dann zielle Inhalt der christlichen Moral besprochen werden,
immer wieder zu der Formel, daß die Eheethik nicht auf „statische", Zuerst wird also die These von der Autonomie der Moral hinsichtsondern
auf „dynamische Normen" gegründet sein solle. Ich hoffe lieh der Religion besprochen. Wie sich herausstellt, hat die These drei
dem Vf. nicht unrecht zu tun, wenn ich es als seine immer wieder her- Varianten. Die erste Variante wird dort gefunden, wo Menschen darvortretende
Überzeugung meine wahrnehmen zu müssen, daß in den legen, daß auch Christen nur in einem selbständigen Prozeß der Ur-
Eragen der Ethik und insonderheit der Eheethik das „Stabilitäts- teilsbildung zu moralischen Einsichten kommen können, die nur auf
denken", die ..statische Moral" der Gegenstand der leidenschaft- eine selbständige und vernünftige Weise gerechtfertigt werden kön-
üchen Abwehr ist. wobei es natürlich nicht ausbleiben kann, daß die nen. Vorausgesetzt wird dann, daß das moralisch Richtige aus sich
neulutherische Ethik und die dort vielfach dogmatisierten „Schöp- selbst heraus evident ist. Als Anwälte dieser Meinung werden einer-
fungsordnungen" zu festumrissenen Zielscheiben werden. Ich weiß seits Thomas von Aquin und andererseits G. E. Moore besprochen,
mich mit dieser Kritik im Einverständnis und bin von den in die Folgerung aus dieser Besprechung ist, daß wohl viele Werte und