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Ausgabe:

1981

Spalte:

13-17

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Gnosis 1981

Rezensent:

Tröger, Karl-Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 1

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andererseits geklärte wissenschaftliche Verfahren" berücksichtigen zu können.
Die in unserm Grundriß orgelegte ..eigenständige Konstruktion" soll zwar
auch ..die Problemlage im Bereich der Handlungswissenschaften im ganzen zu
erhellen" helfen; aber das wird nicht weiter expliziert. Sicher scheint nur. daß
der Begriff eine PrTh und Sozialwissenschaft umgreifende Wissenschaftsart
andeuten soll. Daiber verweist auf zwei Arbeiten, die 1965/66 die Nähe der
PrTh zu den Handlungswissenschaften hervorhoben, und auf vier spätere, die
„PrTh als Handlungswissenschaft" behandelten und damit ausdrücklich
die vom Rez. 1967 (in ZThK 64. Jg.. S. 484-494) m. W. erstmalig
geprägte und erörterte Formel ..PrTh als kirchliche Handlungswissenschaft
" meist modifizierend aufnahmen. Insofern muß sich Rez.
zum Schluß für die in die PrTh hineinwirkende Geschichte des Begriffs
in gewisser Weise mitverantwortlich bekennen, obwohl Daiber
diesen Aufsatz nicht erwähnt. Dennoch stelle ich gerne fest, daß
einige meiner damaligen Überlegungen Daibers freilich terminologisch und
systematisch anders vorgetragenen Gedanken nicht widersprechen. Das gilt

von der berufspraktischen Orientierung, der Abwehr von ..Anwendungswissenschaft
", der Notwendigkeit ertährungswissenschaftlicher Analysen und der
Begrenzung aufs konkret einzelne. Ebenso sei gesagt, weshalb Daiber diesen
Aufsatz, selbst wenn er ihn gekannt hätte, nicht ohne Widerlegungsversuche
hätte anführen können. Ich begründete die Rezeption des Begriffs Handlungswissenschaft
zur Kennzeichnung der PrTh damit, daß er Praxis
und Handlung nicht eindimensional festlege, sondern vielfältigen strukturellen
Unterschieden und damit auch den Eigentümlichkeiten kirchlichen Handelns
offen stehe. Zu ihnen zählte ich u. a. Urteilsvermögen. Entscheidungsvollmacht
. Verantwortung und Gewissen. Sie spielen in Daibers handlungsrelevanter
Theorie gar keine oder eine nur beiläufige Rolle. Das halte ich für einen
bedauernswerten Mangel.

Die beiden Schlußkapitel entfalten eine Fülle von Anwendungsmöglichkeiten
sozialempirischer Forschungsmethoden innerhalb der PrTh, tragen aber
zur Grundsatzkonzeption des Grundrisses nichts Neues bei.

Allgemeines, Festschriften

[Jonas, Hans:] Gnosis. Festschrift für Hans Jonas. In Verb,
m. Li. Bianchi. M. Krause, J. M. Robinson u. G. Widengren hrsg. v.
B. Aland. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1978. 544 S., 1
Porträt gr. 8*. Lw. DM 110.-.

..Mit Hans Jonas beginnt die moderne Gnosis-Forschung. Sie hat
in den letzten Jahrzehnten dank der neuen Funde und der neuen Fragestellungen
eine Reichweite und eine Lebendigkeit bekommen, die
früher niemand für möglich gehalten hätte. Jeder, der an ihr teilnimmt
, baut entweder auf den Resultaten von Hans Jonas auf oder
muß sich mindestens mit ihnen auseinandersetzen."

Diese Worte stellt B. Aland an den Anfang ihres Vorwortes zu der
von ihr herausgegebenen Festschrift für Hans Jonas. Dem ist nichts
hinzuzufügen. Man freut sich, daß dem angesehenen Philosophen
und Gnosisforscher zu seinem 75. Geburtstag die schon längst fällige
und seinem Wirken angemessene Würdigung zuteil geworden ist.
Und - das darf man vorwegnehmen - das Bestreben der Herausgeberin
, diese Festschrift als ..Handbuch" zu gestalten, ist durchaus gelungen
. 21 Beiträge von bekannten Forschern behandeln die wichtigsten
Problemkreise der Gnosisforschung (Teil I) oder sind Spezialfragen
bzw. bestimmten Texten gewidmet (Teil II). Am Beginn der 544 Seiten
umfassenden Festschrift - in vorzüglicher Aufmachung - steht die
Tabula gratulatoria mit 125 Namen von Gratulanten aus aller Welt
(davon leider nur zwei aus dem Bereich der sozialistischen Staaten. Es
fehlen selbst jene Forscher aus der DDR, die an diesem Buch mitgearbeitet
haben, und auch andere - warum?). Dem Vorwort folgt ein persönliches
Grußwort R. Bultmanns, geschrieben kurz vor seinem
Tode. Dankbar ist der Leser für die „Bibliographie Hans Jonas" (508
bis 514) mit 84 Positionen und für das von C. Uhlig bearbeitete
Namen- und umfangreiche Stcllenregisteram Schluß des Bandes.

Der erste stammt von F.. Jüngel, „Die Wirksamkeit des
Entzogenen. Zum Vorgang geschichtlichen Verstehens als Einführung
in die Christologie". Wie man einer Anmerkung entnehmen
kann, stammt der Artikel aus der Einleitung zu einer Tübinger Chri-
stologie-Vorlesung zur Frage „Wer ist Jesus Christus?". Zweifellos ist
die Christologie ein überaus wichtiges Thema auch der Gnosisforschung
. doch hat dieser geschliffen formulierte philosophisch-theologische
Aufsat/ als einziger in diesem Bande keinen direkten Bezug
zum Titel des „Handbuches". Gerade die Behandlung der „Christologie
in der Gnosis" wäre aber im Blick auf die Nag-Hamadi-Texte
von größtem Interesse gewesen.

Grundsätzliche und ausführliche Erwägungen zu Ursprung und
Wesen der Gnosis bzw. des Gnostizismus findet man bei U. Bianchi
. «Le Gnosticisme: Concept. Terminologie. Origines, Delimitation
» (33 - 64). Anschließend behandelt W. C. van Unnik das
wichtige Thema „Gnosis und Judentum" mit dem Ergebnis, daß man
den Ursprung der Gnosis bzw. das. was für die Gnosis typisch ist -
den „Weltpessimismus" - im Judentum nicht linden kann (86). weder
in den sog. Weisheitsschulen (deren Existenz v. U. bezweifelt)
noch in der Apokalyptik (85). Nach v. U. kann die Gnosis auch nicht
als Revolte gegen das Judentum (so Jonas) verstanden werden (85).
Obwohl dieser Artikel nicht das letzte Wort über das Verhältnis der
Gnosis /um Judentum sein kann, muß man dem Autor darin Recht
geben, daß sich die Gnosis einer einseitigen „Ableitung** aus dem
Judentum immer wieder entzieht. Um so wichtiger ist eine komplexe
Betrachtung der gnostischen Bewegung in ihrer Vielfalt und mannigfachen
Verflechtung mit anderen religiösen und philosophischen Erscheinungen
, mit dem Judentum so gut wie mit dem Christentum,
dem Hellenismus und dem spätantiken Synkretismus. Einem solchen
Blick von oben auf das weit verzweigte Netzwerk der Gnosis sind die
folgenden Beiträge förderlich. A. H. Armstrong, "Gnosis and
Greek Philosophy", geht möglichen Einflüssen der griechischen Philosophie
auf die Gnosis und dieser auf die griechische Philosophie
nach (87-124) und kommt zu sehr zurückhaltenden Urteilen. Über
die Rolle Plotins schreibt A.: ". . . in the third Century a strong reac-
tion against Gnosticism becomes clearly apparent. led by Plotinus,
whose influence. reinforcing the anti-Gnostic elements in orthodox
Christianity. was decisive in ensuring the ultimate defeat in our cultu-
re of the Gnostic way of thinking and feeling about this world*"
(123 0.

Zwei Aufsätze behandeln die Beziehungen zwischen Gnosis und
Neuem Testament: J. M. Robinson, "Gnosticism and the New
Testament" (125-143). beschäftigt sich insbesondere mit dem Verhältnis
des Johannes- und des Markusevangeliums zur Gnosis und
hebt die Bedeutung der Spruchsammlung - wie sie im Thomasevangelium
vorliegt - als „genre" hervor. Auch G. W. MacRae, "Nag
Hammadi and the New Testament" (144-157), geht auf die große Bedeutung
des Thomasevangeliums für die neutestamentliche Logien-
frage ein. Die Beziehung zwischen dem Neuen Testament bzw.
Christentum und der Gnosis versteht der Autor als Wechselwirkung.
Eine Reihe von Nag-Hammadi-Texten erlauben nach MacRae die
Annahme, daß "authentic Christian Gnosticism is the result of a pro-
cess of assimilating an established non-Christian Gnosticism, not a
process of heresy originating in a Christian orthodoxy" (149). Die sog.
christliche Gnosis ist hiernach ein sekundäres Phänomen - sekundär
nicht nur gegenüber dem Christentum, sondern auch gegenüber der
Gnosis selbst (147). Die Gnosis als solche, deren Ursprung MacRae
in hellenisierten jüdischen Weisheits- und apokalyptischen Kreisen
vermutet (I 50), ist somit nicht ein "heretical offshoot from Christianity
" (149). Daher kann MacRae sagen: "It (sc. Gnosticism) beca-
me a rival of Christianity not only in the second Century when the
ecciesiastical writers such eus identified Gnostic leaders and sects, but
from the very beginnings of Christian reflection on the significance
and message of Jesus" (150). M. E. kann man sich die Eigenständigkeit
der gnostischen Bewegung am besten so vorstellen,
daß sie auf nichtchristliche wie christliche Kreise gleichermaßen eingewirkt
hat - wie ein Funke, der in verschiedene Richtungen fliegt
und zündet.

Um die christliche Gnosis geht es auch in einem der anregendsten Aufsätze
dieser Festschrift: „Gnosis und Kirchenväter. Ihre Auseinandersetzung
um die Interpretation des Evangeliums" (158) von B. Aland. Die
Autorin hält es für sachlich geboten, die christliche Gnosis „aus dem
Meer des .Gnostischen' herauszugreifen und für sich zu betrachten".
Denn: „Die unausgesprochene Voraussetzung der meisten Gnosisun-
tersuchungen, daß die Gnosis ein zwar außerordentlich vielfältiges
Phänomen, aber doch im letzten ein Phänomen sei. halte ich noch
nicht für bewiesen." Das „konstitutive Merkmal" der christlichen
Gnosis ist nach B. A„ daß sie „Evangeliumsinterpretation" ist (159).
Indem die Vfn. dem „Gespräch zwischen der Gnosis und den Vätern
" nachgeht (161). wendet sie sich zuerst Irenäus und Tertullian
und sodann ausführlich Klemens von Alexandrien zu. Der Gesprächsgang
kann hier leider nicht wiedergegeben werden. Hervorzuheben
ist aber die Ansicht B. A.s, daß der „sachliche Grund der Gnosis
- zumindest der christlichen Gnosis" - nicht der „Wcltpessimis-
mus" ist (dieser ist nur ein „Nebenprodukt**), sondern die Er7