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Ausgabe:

1981

Spalte:

347-349

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Fähler, Jochen

Titel/Untertitel:

Der Ausbruch des 1. Weltkrieges in Karl Barths Predigten 1913 - 1915 1981

Rezensent:

Feurich, Walter

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 5

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wird über die „Grundsätze der Edition" berichtet. Aus der großen
Menge von Marginalmaterialien in den Hss. und Drucken bringt die
Ausgabe das nach begründeter Auflassung der Hrsgg. authentische
Material nach dem Wortlaut des Druckes 1522. Das übrige wird teils
in einem eigenen Apparat, teils im Quellenapparat angeführt. Ein eigenes
Problem bieten die Textteile, die im venezianischen Druck
1522 als .Additiones' bezeichnet werden. Als authentische Gregortexte
werden sie in der Edition aufgenommen, aber in jedem einzelnen
Fall deutlich als ,Additio' angezeigt. Mit einem Verzeichnis der
im Bd. 4 enthaltenen Additiones schließt die Einleitung.

Bevor wir zu Gregors Text kommen, folgt aber ein Aufsatz von
Manfred Schulze: Gregor von Rimini, Lectura super Secundum.
Themen und Probleme (XLI-LX1). Wie Oberman schon in seinem
Vorwort bemerkt, kann diese Arbeit „nicht den Anspruch auf Zeit-
losigkeit erheben, wie er dem edierten Text wohl zuzusprechen ist"
(IX). Auch wenn man es vielleicht auf den ersten Blick etwas befremdend
findet, einer großen textkritischen Ausgabe solche mehr allgemeine
Überlegungen voranzustellen, wird man m. E. nach der Lektüre
weniger abgeneigt gegen diese Verfahrensweise. Es wäre natürlich
formal und ästhetisch vielleicht naheliegender, einen solchen
Aufsatz gleichzeitig mit der Veröffentlichung dieses Bandes irgendwo
in einer Zeitschrift zu publizieren. Trotzdem ist es vielleicht nicht
ganz fehl am Platze, gerade in Verbindung mit Gregor von Rimini,
derartige Rücksichten beiseite zu schieben. Das Tübinger Institut ist
natürlich daran interessiert, daß die neue Ausgabe so früh und so
intensiv wie möglich studiert wird. Warum dann nicht die Diskussion
schon in der Ausgabe selbst eröffnen? Schulze plädiert für eine neue
Einschätzung Gregors als „eine nominalistische Alternative zu Wilhelm
von Ockham", wofür er auch Argumente zur Verfügung hat.
Man hat gewiß in der Forschung allzu sehr Ockham als den Führer
hervorgehoben, statt ihn als eine Möglichkeit unter mehreren innerhalb
einer umfassenden Bewegung zu betrachten. Man könnte es
auch so ausdrücken: man hat zu sehr naive genetische Überlegungen
angestellt, in denen man die geistliche Entwicklung „genealogisch"
von Individuum zu Individuum zeichnet, indem die übrigen Teilhaber
einfach als „Vorläufer", „Schüler" und dergleichen eingeordnet
werden. Dieser Einwand gilt auch einem Satz des Rez., den
Schulze als Zeugnis der unbefriedigenden Forschungslage, Gregor
betreffend, zitiert.

Die neue Ausgabe wird einer Differenzierung in der Bewertung des
Nominalismus große Hilfe leisten können. Sie wird auch sehr nützlich
sein, wenn es darum geht, die ganze Vorgeschichte der Reformation
, sofern sie auf der Theologie- und Philosophiegeschichte beruht,
besser verstehen zu können. Ob nun die Ergebnisse dem entsprechen
werden, was man allem Anschein nach in Tübingen erwartet, wird
sich noch zeigen. In jedem Fall ist Gregor von Rimini ein wichtiger
Zeuge, wenn man dem Einfluß Augustins nachgehen will. Deshalb ist
diese Ausgabe eine willkommene und großartige Leistung.

Der Druck ist ausgezeichnet, und die Einteilung des Textes macht
in typographischer Hinsicht die Lektüre leicht und bequem. Soweit es
sich beim ersten Anblick feststellen läßt - und das wird sich höchst
wahrscheinlich beim genaueren Studium bestätigen -, gibt der Apparat
alle nötigen Hinweise, um die Textgrundlagen der Überlegungen
Gregors zu verfolgen. Gleich wie die bald zu Ende geführte Biel-Ausgabe
verpflichtet uns auch dieses Unternehmen zu größter Dankbarkeit
.

Kopenhagen LeifGrane

Fähler, Jochen . Der Ausbruch des 1. Weltkrieges in Karl Barths Predigten
1913-1915. Bern - Frankfurt/M. - Las Vegas: Lang 1979.
188 S. 8° = Basler und Berner Studien zur historischen und systematischen
Theologie, 37. Kart, sfr 34.-.

Jochen Fähler, der gemeinsam mit seiner Frau Ursula die Edition
der Predigten Karl Barths 1913 vor dessen Gemeinde Safenwil besorgt
hat, legt mit dieser Studie seine kenntnisreiche Dissertation aus
dem Jahre 1975 vor. Er benutzt dafür die inzwischen erschienenen
Predigtbände 1913 und 1914 aus den Nachlaßbänden Barths, die zur
Zeit noch nicht gedruckt vorliegenden „Sozialistischen Reden 1915"
und die in demselben Jahr gehaltenen Predigten. Auf das Erscheinen
der von Friedrich-Wilhelm Marquardt, Berlin (West), bearbeiteten
„Sozialistischen Reden" warten alle, die Karl Barth verstehen und
von ihm lernen wollen, sehr begierig. Fähler geht dem Sozialismusverständnis
Barths auch in den Predigten 1913-1915 nach. Er stellt
nicht nur die Auseinandersetzungen Barths mit dem 1. Weltkrieg,
sondern auch mit internationalem und nationalem Sozialismus dar.
1913 setzt Barth noch stärkere Hoffnungen auf Friedenssicherung vor
allem durch den Sozialismus, weniger durch kirchliche Kräfte. „Daß
das fehlende Friedensengagement der Kirchen mit ihrer falschen
Theologie innerlich zusammenhängt, wird Barth erst mit Ausbruch
des Weltkrieges bewußt. 1913 geht es ihm noch nicht um eine neue
Theologie, sondern um eine Aktivierung der Kirche für die Politik"
(45). In einem kritischen Bericht über eine Tagung der Aargauer
Synode wirft er ihr Anpassungstheologie vor. Die Predigt soll nicht
die bestehenden Verhältnisse sanktionieren, sondern danach fragen,
was im Ursprung war und vor allem nach dem, was sein muß. Für die
Kirche gilt, daß sie das Wort Gottes rücksichtslos geltend macht. Dies
in völliger Freiheit vom Menschen (50). Entscheidend beginnt er
beim Anfertigen seiner Predigten neu theologisch zu denken, nachdem
das Manifest vieler deutscher Gelernter mit positiver Stellungnahme
zum ersten Weltkrieg, trotz des räuberischen deutschen Einfalls
in Belgien, auch von fast allen seinen deutschen theologischen
Lehrern unterschrieben worden ist. Martin Rade war die rühmliche
Ausnahme.

Fähler wagt angesichts der ersten programmatischen Kriegspredigten
Barths die These, daß Barth hier die entscheidende Wendung zur
Theologie vollziehe und zugleich den roten Faden seiner ganzen
Theologie aufnehme, „indem er einen allerersten Entwurf seines
Zeugnisses von der Erwählung, vom ,Triumph der Gnade' predigt
. . ." Fähler untermauert diese These nach verschiedenen Seiten,
was hier aber nicht im einzelnen ausgeführt werden kann. Fähler findet
für diese These meine Zustimmung. Auch der, der dies nicht ohne
weiteres vermag, sollte Fählers Behauptung nachgehen. Er referiert
die Beziehungen Barths zu Ragaz und Kutter und stellt für die damalige
Zeit zu Recht eine gewisse Abhängigkeit Barths von den beiden
fest. Entscheidend ist es aber für den Prediger von Safenwil in der
ersten Kriegszeit, die notwendige Neutralität der Schweiz zu
untermauern. Zur Neutralität gehört für ihn zugleich die Solidarität.
„Es geht ihm um die Gewinnung der Neutralität als eines inneren geistigen
Standpunktes, bei dem Vaterland und Glauben auf dem Spiel
stehen. In der Neutralität findet der Schweizer und der Christ die der
Providentia dei antwortende Haltung, die von der Parteinahme gleich
weit entfernt ist wie von unbeteiligter Gleichgültigkeit" (81). Zunächst
hält er sich in seinen Predigten den aktuellen Tagesereignissen
gegenüber, um dieser Neutralität willen, mehr zurück. „Diesen neutralen
Standpunkt will Barth über das Biographische, Zufällige hinausgehoben
wissen, er qualifiziert ihn unmittelbar theologisch als den
einzig möglichen Standpunkt des Christen zum Krieg" (89). Der
Krieg als Gerichtszeit, der Mammonismus und der Egoismus, die
durch ihn stärker als Grundeigenschaften des Menschen zutage treten
, werden yon Barth in seinen Predigten immer mehr angegriffen.
„Der Krieg bringt an den Tag, daß der Mammon der Götze des
menschlichen Wesens ist" (97). 1915 fuhrt er in einer Predigt aus:
„Oder haben wir schon nichts gemerkt von dem Ende der bisherigen
Welt und der bisherigen Menschen? Was war ihre Art? Da war der
Mammon, vor dem wir Alle auf den Knien lagen. Die Grundlage und
die Seele unseres Lebens war das Rechnen und das Geschäftemachen.
Wir konnten nicht anders, es war uns selbstverständlich geworden,
den Wert unseres Lebens in Franken und Rappen aufzuzählen. Hunderttausende
, Millionen, Reiche und Arme seufzten unter dem Joch,
das sie sich selber aufgelegt. .. Wir hörten predigen von der Freiheit