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Ausgabe:

1981

Spalte:

340-341

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Klemm, Matthys

Titel/Untertitel:

Eir?n? im neutestamentlichen Sprachsystem 1981

Rezensent:

Schenk, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 5

340

gruppen, Verteilung von Handlung und Rede, usw. Dann folgt eine
Diskussion des Problems der literarischen Gattung. Der Vergleich
mit anderen Wundergeschichten ist besonders von G. Theissen inspiriert
und konzentriert sich auf die Paralleltexte in Lk 5, 12-16; Mk 1,
40-45; 4 Kon 5. Als Resultat ergibt sich eine eigenartige Nähe zur
Elischa-Naeman-Geschichte in 4 Kön 5. Auf Grund dieser Nähe versucht
Vf. dann die Gattung zu bestimmen; er hält Lk 17,11-19 für
eine „nachgeahmte prophetische Erzählung mit überbietendem Charakter
" (118), die prophetische Merkmale auf Jesus übertragen soll,
um ihn größer als Elischa erscheinen zu lassen. An dieser Stelle erheben
sich nun schwerwiegende Probleme: Kann eine Gattungsbezeichnung
, die mit W. Richter aus dem AT erhoben ist, ohne weiteres auf
das NT übertragen werden? Was bedeutet es, daß im Text Lk 17,
11-19 weder von Prophetischem noch von Elischa die Rede ist?

3. Die „redaktionskritische Untersuchung" dient dem Ziel, die
Frage zu entscheiden, ob Lukas oder seine Quelle als Verfasser von
17, 11-19 anzusehen ist. Unter diesem Gesichtspunkt wird der Text
zunächst auf lukanische Spracheigentümlichkeiten untersucht. Es
wird ermittelt, daß der Text vieles aufweist, was als typisch lukanisch
angesehen werden muß. So detailliert der Vf. dem Problem nachgeht,
das Material ist keineswegs so eindeutig wie er meint und wie es für
seine These der lukanischen Verfasserschaft wünschenswert wäre.
Nach Ansicht des Rez. ist zuviel als lukanisch ausgezeichnet, was
weiter verbreitet ist (z. B. LXX-Nachahmung, Interesse an Samaria).
Andererseits wird der Tatsache, daß 17, 11-19 Teil des lukanischen
Sondergutes ist, nicht genügend Beachtung geschenkt. „Lukanisch"
ist ja doch nur, was nicht auch für die Quelle des Sondergutes typisch
gewesen sein kann. Was immerauch für 17, 11-19 gilt, muß auch für
andere Teile des Sondergutes gelten; oder man muß erklären, warum
17,11-19 einen Spezialfall darstellt.

4. Da das Moment der „Überbietung" aus dem Text selbst nicht erhoben
werden kann, versucht Vf., es aus einer Kontextanalyse zu gewinnen
. Hier spielt die ausdrückliche Erwähnung der Elischa-
Naeman-Geschichte in Lk 4,25-27 eine Rolle. Diesen offenbar
sekundären Einschub deutet Vf. wiederum als Redaktion des Lukas,
der hiermit nicht nur sein Interesse an der Geschichte, sondern auch
an deren Überbietung durch Jesus bekundet. Aber daß alle Veränderungen
bei Lukas gegenüber den anderen Evangelisten der lukanischen
Redaktion zuzuschreiben sind, ist lange nicht bewiesen. Der
Überbietungsgedanke selbst fehlt eben auch in Lk 4, 25-27, in denen
die Gnome 4, 24 durch die atl. Beispiele des Elia und des Elischa erläutert
wird, wobei Jesus ihnen gleich- und nicht übergeordnet wird.
Naeman wird in 4, 27 auch als „Syrer" und nicht als Samaritaner bezeichnet
. Andererseits ist die christologische Aussage, Jesus sei mehr
als ein atl. Prophet gewesen, in verschiedenen Formen in der vorluka-
nischen Tradition vorgegeben gewesen. Hauptsächlich aus diesen
Gründen muß gesagt werden, daß die These von der Verfasserschaft
des Lukas, nicht bloß seiner Redaktionstätigkeit, hätte besser begründet
werden müssen.

5. Der letzte Teil ist der „theologischen Aussage" gewidmet. Durch
die vorhergehenden Analysen informiert, wird der Leser noch einmal
am Text entlanggeführt, um Einsicht in die theologische Aussage zu
erhalten. Kritisch soll bei aller Zustimmung angemerkt werden, daß
diesem Abschnitt die erforderliche scharfe Zuspitzung abgeht. Man
fragt sich, woran es liegt. Rez. meint, daß es daran liegt, daß Vf. sich
nicht auch der religionsgeschichtlichen Problematik in einem eigenen
Durchgang ausgesetzt hat. Auch die Textlinguistik, von anderem
nicht zu reden, macht den religionsgeschichtlichen Vergleich nicht
überflüssig.

Die hier vorgetragenen kritischen Bemerkungen sollen die eingangs
gemachte Feststellung nicht rückgängig machen. Aus der vorliegenden
Arbeit ist methodisch viel zu lernen, vor allem in kritischem Mitdenken
. Es ist dem Vf. zu danken, daß er sich viel Zeit für diesen so
interessanten Text genommen hat.

Claremont, Calif. Hans Dieter Betz

Klemm, Mattys: EIPHNH im neutestamentlichen Sprachsystem.

Eine Bestimmung von lexikalischen Bedeutungen durch Wortfeld-
Funktionen und deren Darstellung mittels EDV. Bonn: Linguistica
Biblica 1977. II, 294 S., 4 Falttabellen 8* = Forum Theologiae Lin-
guisticae, 8. Kart. DM 24,75.

„Ganz allgemein wäre zu sagen, daß die Erforschung des Wortschatzes
im Vergleich zu den Jahrtausende alten Traditionen der
Grammatik noch sehr weit zurückgeblieben ist" (H. Geckeier, Strukturelle
Semantik und Wortfeldtheorie, 1971, 178). Dieses Defizit
potenziert sich geradezu in der Theologie, obwohl der entscheidende
Impuls von J. Barr 1961 (deutsch 1965, vgl. ThLZ 87, 1962 Sp. 262ft)
doch gerade auf dem Feld der Semantik erfolgt war. Daß der Einfluß
der Linguistik auf die Exegese nicht länger auf die Fragen der Syntak-
tik konzentriert bleibt, zeichnet sich ab, wenn Klemm danach fragt,
welche präzisen, eventuell unterschiedlichen Inhalte sich hinter einer
Buchstabenfolge wie der Phonemkette EIPHNH in den Schriften des
Neuen Testaments verbergen. Der Überblick (16-74) über die bisher
erhobenen Bedeutungsbestimmungen und die dabei verwendeten
Verfahren zeigt von den relativ undifferenzierten Wörterbuchartikeln
(17) her bis hin zu den jüngsten monographischen Behandlungen eine
gewisse Allgemeinheit der Darstellung, die unbefriedigend ist: Wenn
es um die konkrete Zusammenfassung der Sinngehalte geht, dann ist
„von der relativ differenzierten Methode der Exegese und ihrer Argumentationsweise
.. . kaum mehr etwas zu spüren" (74). Diese Schwäche
exegetischer Such- und Vergleichsarbeit bedarf neuer, weiterführender
Verfahren im Bereich der Semantik. Klemm bedient sich dazu
in einsichtig begründeter Weise der Wortfeldtheorie, wie sie sich derzeit
auf dem Niveau der „Strukturellen Semantik" (Conseriu-Gecke-
ler) ausgeformt hat und vorteilhaft anbietet (75-152 nicht ohne Seitenblick
zur quantitativen Semantik und Augenmerk für die horizonterweiternden
Möglichkeiten der generativen Semantik): Um zunächst
die Wortfelder zu bestimmen, in denen ein Lexem wie
EIPHNH funktioniert, müssen die dazu in Opposition (privativ, graduell
oder äquipollent) stehenden Lexeme mit den entsprechenden
semantischen Merkmalen (Seme und deren Dimensionen) erfaßt werden
(125. 140f). Dieser so erschlossene Teilbereich der Wortsemantik
ist unumgängliche Voraussetzung für weitere Aspekte der Wortsemantik
wie für zur Satz- und Textsemantik weiterführende Analysen
. Doch bleibt das konkret abgesteckte Arbeitsziel hier zunächst
(llf, 149ff) auf die Darstellung der Bedeutungsstrukturen (Programm
: Wortfeld) begrenzt und dient vorerst zur Kategorisierung der
in den einzelnen Textstellen implizierten Bedeutungen (Programm:
Kommentar) und zum bündelnden Ordnen der neutestamentlichen
Verwendungen nach inhaltlichen Gesichtspunkten (Programm:
semantisches Lexikon - einem Ziel, dem schon meine Studie über
den „Segen im Neuen Testament", 1967, verpflichtet war).

Der dritte Teil der Untersuchung (154-256) führt umsichtig und
überzeugend mittels linguistischer Datenverarbeitung in algorithmisch
präzisierten Schritten die Wortfeldanalyse durch, um die
gewünschten Kommentar- und Lexikoneintragungen im Klartext
von Datenausgaben zu erreichen. Diese Pionierarbeit, erstmalig
semantische Bestimmungen auf der Basis der Wortfeldtheorie mittels
EDV erhoben zu haben, verdient größtmögliche Beachtung, weil hier
ein fälliger Weg zur Verobjektivierung der Bedeutungsanalyse
beschritten worden ist, der für weitere Arbeiten auf ein künftiges neu-
testamentliches Begriffslexikon hin wegweisend und wegeröffnend ist.
Während die bisherigen Wörterbücher kaum den paradigmatischen
Codes angenähert sind, sondern mit dem Übersetzungsvereinfachenden
Kunstgriff der Gleichsetzung von Termini arbeiten, kann nun auf
diese neue Weise ein Lexikon entstehen, das nicht nur präziser ist,
sondern das auch „flexibel bleibt, weil neue Forschungsergebnisse
unmittelbar nachgetragen werden können" (266). Man wünscht dem
Autor, der in bewundernswerter Weise auch die Technik der Programmierarbeit
hier erst entwickelt hat, daß er auf diesem notwendigen
und verheißungsvollen Feld weiterarbeiten und dazu Mittel und
Mitstreiter gewinnen kann.