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Ausgabe:

1981

Spalte:

299-300

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Stock, Alex

Titel/Untertitel:

Textentfaltungen 1981

Rezensent:

Trilling, Wolfgang

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Seite 1

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299

Theologische Literaturzeitung 10(i. Jahrgang I9SI Nr. I

300

lichkeit christlicher Unterweisung nicht identisch ist mit der
häufig geforderten Allseitigkeit irgendeiner Persönlichkeitsbildung,
so eindeutig gewinnt sie ihre spezifische Signatur eben in der
Qualifikation zu einem Leben in den drei genannten Dimensionen;
deswegen müssen aber eben sie in den heutigen anthropologischen
Konkurrenzen kritisch ausgearbeitet werden.

Und hier nun dürfte die Chance der DDR-Katechetik vor dem
Hintergrund der ökumenischen Arbeiten des Bandes besonders
konturiert sichtbar werden. Die Chance heißt eben immer noch
oder denn heute erst recht ,,Gemeinde".

In dem interessanten, methodisch lehrreichen, wenngleich wissenschaftsgeschichtlich
und -theoretisch zu überprüfenden Berner
Beitrag von K. Wegen ast (7-32) „Praktische Theologie als Handlungstheorie
" kommt bezeichnenderweise die ,ganzheitliche' Erst
reckung der Realität Gemeinde nicht oder noch nicht in Blick;
„Planung" avanciert hier, im Unterschied zu den Arbeiten von
Gerhard und Kumpan (s. o.), zur „zentralen", ja zur „Grund-
kategorie" (13) sowohl der Praktischen Theologie wie der katechetischen
Arbeit . Daß es für die Katechetik eben um die wirkliche (!)
Orientierung an „Gemeinde" geht, daraufmacht H. B. Kaufmann
(86-93) aufmerksam. In seinem Diskurs mit R. Degen nimmt er
dazu die „Kritik an einem unzureichenden Kirehenverständnis"
(91) auf, die dem inzwischen schon fast berühmten „Rahmenplan
für die Arbeit mit Jugendlichen im Konfirmandenalter (Kurs V)"
zuteil geworden ist. Kaufmann spitzt diese Kritik zu auf die unzulängliche
Berücksichtigung der „Gemeinde als Erfahrungsraum,
als Voraussetzung, als Bedingung des Verstehens und des Vollzugs"
der Konfirmandenarbeit, kurz: als eine „Ebene, die dem Rahmen-
plan vorausliegt und ihn umgreift" (92; vgl. auch 89). Die Antwort
, die Degen (bes. 94f) hierauf gibt, kann auch da nicht befriedigen
, wo sie mit einem an den Ansatz des sog. Goßner-Plans
erinnernden Zitat des Fragestellers selbst von 1973 operiert ; für
eine wirklich produktive Aufnahme solcher Fragen durch ein „didaktisches
Denken in theologischer Verantwortung" (Schmut/.ler;
zit. 93) scheinen die unaufgearbeiteten Schübe, ja Abbrüche des
katechetischen Denkens und Handelns noch immer als zu schmerzhaft
und erschreckend empfunden zu werden, wie sie R. Degen in
seinem das Gespräch eröffnenden Aufsatz erneut demonstriert
(bes. 79-81. 83f). Hier mag der den Band abschließende Beitrag
des holländischen Präsidenten der Tntereuropean Commission on
Church and School (ICCS), H. van Ravenzwaai j (189-205) mit
seinem behutsamen Insistieren auf „Kenntnis und Erfahrung"
(197. 201f) hilfreich sein. Er mißt dem „Erzählen" eine neue
Wertigkeit bei und bezieht so eine Position, die der DDR-Katechetik
von je her nahelag.

Im ganzen gesehen ist die Hafa-Festschrift auf dem Wege der
Katechetik in der DDR ein wissenschaftlich wie kirchlich bedeutsames
Signal. Es fordert und verdient die Aufmerksamkeit auch
derjenigen, die in anderen Kontexten an den Fragen von „christ licher
Unterweisung und Gemeinde" arbeiten.

Berlin (West) Peter C. Bloth

Stock, Alex: Textentfaltungen. Semiotische Experimente mit einer
biblischen Geschichte. Mit Schaubildern von H. Lehmann-Sina-
pius. Düsseldorf: Patmos 1978. 174 S. m. 8 Taf. dav. 1 färb. 8r.
Kart. DM 25,-.

Alex Stock, katholischer Theologe und derzeit Professor für
Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Rheinland.
Abteilung Köln, ist in dieser Zeitschrift bislang noch nicht näher
vorgestellt worden. Es ist mir ein Vergnügen, dies hier tun zu
dürfen. Er hat nach seiner Innsbrucker Dissertation1 mehrere
Arbeiten vorgelegt, in denen sich vor allem seine intensive Beschäftigung
mit allen Formen derzeitiger Sprachwissenschaft, besonders
der Textlinguistik und der strukturalen Analyse niederschlägt
. Dies geschieht in unmittelbarem Praxisbezug, vor allem
zur Religionspädagogik, aber auch der Homiletik, Liturgik und
hinsichtlieh des pastoralcn Umgangs mit Texten überhaupt.2 Das
Büchlein ist ein neues Zeugnis dafür, doch in engerer Zielsetzung:
„Im vorliegenden Buch beschränken wir uns auf die strukturale
Text- und Bildanalyse" (10). Wer durch Stichworte wie „Textlinguistik
", „Strukturalismus" eher abgeschreckt als eingeladen
wird, der sei vor allem zum Lesen ermuntert. Er wird ein Beispiel
dafür antreffen, wie anregend einUmgang mitTexten werden kaiui,
wenn man die Methoden so souverän und mit leichter Hand benutzt
und „im Vollzug" erprobt, ohne Systemzwang, ohne sich
einer Methode mit Haut und Haar zu verschreiben („Methodenmonismus
"), ohne Panzerung mit schwerer Theorie.3

In der Umkreisung eines bedeutenden Textes in der biblischen
Erzähltradition und christlichen Glaubensgeschichte, dem Gleichnis
Lk 15,11-32, wird das einfallsreich, gescheit, sympathisch
locker, mit überall aufblitzenden Bezügen zur Literatur, Geschichte
, zu konfessionellen Anwendungen (vgl. das Fastnachtsspiel
von Burkhard Waldis, aufgeführt am 17. Februar 1527 in der
Petrikirche zu Riga, S. 92-107!), mit kritischen Seitenhieben auf
modernistische Textparaphrasen in heutigen Religionsbüchern, in
z. T. scharfsinnigen Analysen, aber immer mit Respekt vor der
Größe dieses Textes, demonstriert. Theorie wird mehr nebenbei,
manchmal recht gedrängt, serviert. Der Text zeigt sich in vielfältiger
Modulation und Transformation, bis zu dem erschütternden
Gedicht von Eichendorff „Zwei Gesellen", der autobiographischen
Erzählung A. Gides „Die Rückkehr des verlorenen Sohnes"
(in der Übersetzung von R. M. Rilke breiter bekanntgeworden)
und einer Kalendergesehichte von J. P. Hebel, die der Autor nicht
(mehr) analysiert.4

Für den Exegeten speziell ist Teil I. „Erzählstrukturen" lein
reich. Teil II. „Transformationen" bringt drei Anwendungsbereiche
: Gebet, Drama und Erzählung. Im III. Teil werden „Bildstrukturen
" besprochen, mit dem Hauptbeispiel des Rembrandt-
schen „Verlorenen Sohnes" und in der Absicht, die „noch wenig"
entwickelte „wissenschaftliche Bilddidaktik in der Religions-
pädagogik" (119) zu fördern. Hier ist weithin Neuland, manches
wird als „Versuch" gestartet. Teil IV. „Anschlüsse" zeigt Beziehungen
auf, die sich von einem Text aus zu anderen Texten
(„Intertextualität") und Erfahrungen ergeben. „Versteht in;»•*
literaturwissenscliaftlich die gesamte Kultur als riesiges Buch. *"
meint Intertextualität die konkrete Weise, wie ein einzelner Text
auf dieses Buch verweist" (154).

Die Lektüre war mir eine reine Erquickung. Stock sagt zu Beginn
, es sei „von einer mikrologischen Aufmerksamkeit die Rede,
die den Gegenstand um und um wendet", fügt dann ein Wort von
Simone Weil an: „Obwohl man dies heutzutage nicht zu wissen
scheint, ist die Ausbildung unseres Vermögens zur Aufmerksamkeit
dennoch das wahre Ziel des Studiums und beinahe das Einzigewas
den Unterricht sinnvoll macht"6, und bemerkt dazu: „W*
verstehe die strukturale Methode als Umweg zu dieser Aufmerksamkeit
" (13).

Leipzig Wollgarn; TruUM

1 Einheit des Neuen Testament«. Erörterung hermeneutisiher (irund Positionen
der heutigen Theologie, Einsledeln 19BS).

' Von den früheren Veröffentlichungen vgl. besonders: Überlegungen «J*
Methode eines theologischen Kommentars, In: EKK Vorarbeiten 4, Einsiedel"
1972. 75-96; Umgang mit theologischen Texten. Methoden - Analysen - Vorschlüge
. Einsiedeln 1974; ft. Sauter/A. Stock. Arbeitsweisen systematischer
Theologie, München 1976 (vgl. ThUZ 103, 1978 Sp. .121-382)- Beitrage in: »•
Stachel (Hrsg.). Die ltellgionsstunde - beobachtet und analysiert, Einsied«11"
1976; llibelunterricht - dokumentiert und analysiert, Einsiedeln 1976; Sozi»1'
ethischer Unterricht - dokumentiert und analysiert. Einsiedeln 1H7«; diverse
Beitrage in den „Katechetischen Blättern".

' Vgl. „Umgang mit theologischen Texten" S. 14 zur theoretischen Begrfl»'.
dungseiner Position, und zum Eintreten',,!ür ein offenes Ensemble vonMethoden -
auch hier 155: „Die wiederholte Lektüre, die den Text kontaktfreudig erluW;
bewahrt ihn davor, schnell konsumiert und weggeworfen zu werden ... oder H"
Würgegriff einer Empfangsvorschrift langsam zu erstarren, wozu nicht Mg
lehramtliche Wahrheitsverwaltungen Hand anlegen können, sondern »»"
Wissenschaften, wenn sie erst einmal In den Vollbesitz akademischer Macht V
langt sind."

• J. P. Hebel, Kalendergesi bichten. Auswahl und Nachwort von E. BW"
l'rankfurt 1965. 69-72.

' 8. Weil. Das Unglück und die (lottesliebe. München "1901, 95.