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Ausgabe:

1981

Spalte:

292-294

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Jetter, Werner

Titel/Untertitel:

Symbol und Ritual 1981

Rezensent:

Bieritz, Karl-Heinrich

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Theologisehe Literaturzeitung 106. .Jahrgang 1981 Nr. 4

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These der Allgemeinheit tler Erfahrung von Gnade löst, wie nun
deutlich zu sehen, die christologische Bestimmtheit der christlichen
Hede von Gnade in eine religiöse Anthropologie, und Kosmologie
hinein auf. Ganz, folgerichtig läuft jene Erfahrung, beschrieben
zunächst als Begegnung und wechselseitige Vereinigung, auf mystische
Indifferenz hinaus, auf die „vollkommene Identität zwischen
Mensch und Gott" (16; 265f, 306, :ill).

Sieht man von der Frage ab, was die These einer liebenden Begegnung
von „zwei freien Personen" (47) oder einer ontologischen
Differenz und „Polarität zwischen menschlicher Freiheit und Handeln
Gottes" (169; 16, 46, 171) jetzt noch bedeuten soll, so bleibt
doch, daß im Rahmen dieses massiv soteriologisch besetzten
Personalismus die einzelnen soteriologischen Aussagen, die für sich
eben nicht der modernen Konstitutions-, sondern der klassischen
Realisierungsproblematik zugehören, unweigerlich unigedeutet
werden. Der Synergismus, der im Konzept der perfectio naturae
seinen guten Sinn gehabt haben mochte, wird in einem Konzept
der „Personalisierung" (272) eben fatal. Natürlich verwahrt sich
B. gegen semipelagianisches Mißverständnis (205, lQOff); aber
noch der optimistische Aktionismus eines Pelagius, für den B. im
übrigen votiert (220 A. 6), ist harmlos gegenüber einer Interpretation
der Rechtfertigung als Befreiung, die menschlich sei, „weil
sie vom Menschen in seiner Freiheit in die Tat umgesetzt wird",
so daß menschliche Befreiungen „sakramentale Funktion" gewinnen
(223). Hier läuft die „praxistische" Forderung, sich sl Bebend
„zu bemühen" (99, 168, 205, 314: fast wörtlich erasmisohe
Formulierungen!), weil die angebotene Gnade ebenso innerer, subjektiver
, „ständiger Besitz und permanente Qualität" (188), ja
„erobertes Gut des Menschen (192) werden müsse, ziemlich genau
auf das hinaus, was in der reformatorischen Tradition kurz und
bündig „Selbstrechtfertigung durch die Werke" heißt. Dann zumal
, wenn jenes universale Angebot, wohl eben wegen seiner un-
unterscheidbaren Universalität, als solches für die Wirksamkeit der
Gnade nicht „ausreicht" (182), wenn es in gleichbleibender Freundlichkeit
dem Menschen überläßt, die Gnade anzunehmen oder aber
abzulehnen (92, 202, 317; trotz „Veränderlichkeit" Gottes 32, 43,
173f), wenn die Antwort des Menschen ebenso ungeschuldet ist
wie der Anruf Gottes (194), wenn daher, anstatt daß ihre Schwäche
diffamiert werden müßte, die menschliche Natur in ihren neu gewonnenen
und verwirklichten Fähigkeiten „gerühmt" werden darf
(37). Besagt doch die Zweideutigkeit der menschlichen Situation:
„Un-Gnade und Gnade sind Chancen der Freiheit" (17; mit
Augustin: Omnis homo Adam, omnis homo Christus).

Ohne Zweifel, der Glaube an den Triumph der Gnade ist das
Motiv des B.sehen Entwurfs. Seine theologische Explikation in
der These von der Universalität der Gnade läßt „Gnade" bestimmt
erscheinen nur noch als Forderung und Werk des menschlichen
„Projekts" - B. hat sich von dem in religiös kaschierter Gestalt
auftretenden neuzeitlichen „Geist der Geometrie", den zu überwinden
die Aufgabe seiner Gnadenlehre war, überlisten lassen.

Göttingen Walter Sjiiirn

Bartz, Wilhelm: Verantworteter Glaube. Aschaffenburg: Pattloeh
1980. 65 S. 8°.

Greisch, Jean: L'enonciation philosophique et l'enonciation theo-

logique de Dien (RSR 67, 1979 S. 547-564).
Lafont, Ghislain: L'exces du malheur et la reconnaissance de Dien

(NRTh 101, 1979 S. 724-739).
Müller, Alois: Glaubensrede über die Mutter Jesu. Versuch einer

Mariologie in heutiger Perspektive. Mainz: Matthias-Grüne wald-

Verlag 1980. 150 S. 8° = Grünewald Reihe. Kart. DM 18,80.
OH vier, Paul: Le probleme de Dieu. Analyses et essais theoriques

recents (RSR 67, 1979 S. 447-480).
Rotter, Hans: Wort Gottes und Stimme des Gewissens (ZKTh 1(12,

1980 S. 1-13).

Virgoulay, Rene: Pensee de la difference et ideologie de l'incamn-
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Welte, Paul H.: Jesus Christ us - Mittler des Heils und Offenbarer
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Ziegenaus, Anton: „Als Mann und Krau erschuf er sie" (Gen 1,27).
Zum sakramentalen Verständnis der geschlechtlichen Differenzierung
des Mensehen (MThZ 31. 1980 S. 210 -222).

Praktische Theologie: Allgemeines

Jetter, Werner: Symbol und Ritual. Anthropologische Elemente im
Gottesdienst. Göttingen: Vandenhoeek & Ruprecht 1978. 334 S.
gr. 8". Kart. DM 38,-.

Am Anfang stehen die Ergebnisse zweier Umfragen: Synoden-
Umfrage der katholischen Bistümer in der BRD und Gottesdienst-
Umfrage der VELKD entdecken den „unwahrscheinlichen Kirchgänger
" - Gottesdienstbesucher vor allem im jugendlichen Alter,
die trotz kognitiver Dissonanzen zum Normen- und Wertesystem
der beiden großen Kirchen sich an deren gottesdienstlichem Leben
beteiligen. W. Jetter erhält den Auftrag, für einen Kommentarband
zur VELKD-Umfrage einen Beitrag zum Phänomen eines
solchen „Ritualismus" (m. E. eine ebenso unglückliche wie unzutreffende
Bezeichnung) zu schreiben; er scheitert jedoch an der
Fülle der hier zu bedenkenden Zusammenhänge und Problembereiche
. Solchem Scheitern verdanken wir das vorliegende Buch.

Am Anfang steht jedoch auch die Öffnung insbesondere der
Praktischen Theologie für Verhaltens- und sozialwissenschaftliehe
Fragestellungen, Verfahren und Einsichten. Auf diesem Wege (und
nicht auf dem Wege systematisch-theologischer Spekulation!) gewinnen
Phänomene wie „Symbol" und „Ritual" ein neues Gewicht
für eine Theorie der kirchlichen Praxis. Ausgangspunkt ist
dabei ausnahmslos die ebenso alltägliche wie allgegenwärtige Wirklichkeit
der benannten Phänomene und nicht eine spekulativ äffl
gewinnende (und zu legitimierende) Begrifflichkeit. Das verdient
festgehalten zu werden: Alltagsrituale, symbolische Kommunikation
als Grundgestalt zwischenmenschlicher Gemeinschaft
schlechthin werden zum Schlüssel, um religiöse Rituale und gottes-
dienstliche Kommunikationsvorgänge zu verstehen und zu beschreiben
. In der Konsequenz bedeutet dies zunächst eine radikale
Vermenschlichung (auch Entsakralisierung) kultischer Phänomene
und nicht - wie von den einen erhofft, den anderen befürchtet -
die Rückkehr in ein Reich erneuerter Sakralität.

Damit steht Praktische Theologie vor der Aufgabe, solche humanen
und sozialen Erfahrungen mit ihrem theologischen Thema /"
vermitteln. Die Frage lautet: Eignet symbolischer Kommunikation
als darstellendem, expressivem, sinngerichtetem Handeln (142)
an sich eine religiöse bzw. theologische Dimension, in der Weise,
daß das „Mehr an Sinn", das „Mehr an Hoffnung" (70), wie e*
präsentative Symbolik gegenwärtig setzt, von sich aus auf ein
„Land der unbegrenzten Möglichkeiten" (67), auf das Reich Gottes
verweist? Oder anders: Läßt sich in der Fähigkeit des Mensehe"
zu symbolischem Weltverstehen und „symbolgeleitetem Verhalten
" zugleich „das Phänomen der Religion im Menschsein" (82)
verorten? Wird damit doch - entgegen dem oben skizzierten Befund
- symbolische Kommunikation und rituelles Verhalten zun1
„Brückenkopf des Sakralen" (101) in dieser Welt? Wie verhält
sich solche mehrsinnige (und darin mehrdeutige) Wirklichkeit»-
erfahrung aber dann zur historischen, einmalig-eindeutigen (und
darin eben nicht symbolischen!) Herkunft des christlichen Gla"-
bens (77)? „Der Vorgang der Symbolisierung führt auf eine ebenso
reizvolle wie komplizierte Art in die Probleme der .natürlichen
Theologie' hinein" (79): J. weiß, in welche Spannungen christlich«'
Theologie gerät, wenn sie sich ohne systematische Sperren den
Phänomenen symbolischer und ritueller Kommunikation stell**
Sein Buch führt uns in der Tat „in die Probleme" hinein. Führt e"
uns aber auch wieder heraus?

Einen Überblick über den Inhalt deB Buches zu geben, ist nich*
leicht. Die gelegentlich in die Breite wuchernde Darstellung weis*
auf die Entstehungsgeschichte des Büches zurück: Der ursprünglich
geplante Knrzbeitrag wächst sich aus ... In den einzelne"
Abschnitten wird manchmal alles andere als das verhandelt, w**
die jeweilige Überschrift ankündigt. Dennoch sei eine knapp''
Inhaltsangabe versucht: Kap. I („Ritualismus im Christentum"-
13-23) befaßt sich mit dem eingangs genannten Ritualisn) "s'
Phänomen und verweist so auf den Ausgangspunkt des Unternehmens
zurück. Kap. II („ .Symbolisierung' - anthropologisch«"
Informationen", 24-64) versucht, die Begriffe zu klären: J.
scheidet sich hier - und dies ist wichtig für den Fortgang
Buches - mit P. Ricoeur (einem seiner Hauptzeugen!) für eine"