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Ausgabe:

1981

Spalte:

279-281

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Tavard, George H.

Titel/Untertitel:

The seventeenth-century tradition 1981

Rezensent:

Wendelborn, Gert

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 4

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Wandel dogmatischer Theologie ergibt sich aus einer Verschiebung
im Grundlagenbereich der Theologie. „Der Ort des Glaubens ist
nicht mehr die Autorität, sondern die Religion der Autorität. Zu
ihren Grundprinzipien gehört folglich a priori die Moral" (124).
Ursprung des Tuns der Kirche zur Erziehung des Menschen im
Geist christlicher Religion sind Taufe und Eucharistie (135). Wichtig
ist, daß in der Theologie der Aufklärung das Reich Gottes eine
Idee der Theologie wird; das Christentum ist der Unterricht von
diesem Reich. Die Kirche hat die Trägerin der Idee vom Reich
Gottes zu sein.

Nach Brenner hat sich diese Theologie an den Maximen der
Vernunft zu orientieren, so ist sie eine dem Menschen angemessene
Theologie. Sie ist also anthropozentrisch gefaßt. Aufklärung wird
von Brenner als ein Prinzip der Theologie verlangt. Er hat, besonders
in der 3. Auflage seiner Dogmatik, die Reich-Gottes-Theo-
logie überwunden, der Begriff fällt nicht mehr. Seine Theologie ist
vom Deutschen Idealismus geprägt.

Zimmers Werk (in dem die Theologie geradezu zur Religionsphilosophie
wird) umfaßt ebenfalls verschiedene Entwürfe. Der
Kirchenbegriff wird bei ihm zum Mittelpunkt der Dogmatik. „Sie
ist der Ort, an dem Gott und Mensch im Zeugnis des Glaubens als
dem Prinzip ihrer gegenseitigen Verbundenheit einander zugeordnet
sind" (211). Sie hat ihren Zweck in der Unterrichtung des
Menschen in der Lehre Jesu: „Kirche gibt es, weil es Arbeit für
die Kirche gibt" (221).

Im 3. Hauptteil: „Die Ekklesiologie nach dem Zweiten Vatika-
num: ihr Ort und seine Prinzipien" (241-254) zieht Vf. die Linien
bis zur Gegenwart aus. „Theologie zu treiben, wie die Zeit es fordert
, ist programmatisches Anliegen der Aufklärungstradition in
der Theologie" (241). „Es ist eine Ironie der Geschichte, daß man
die Aufklärung braucht, um sie (die Kirche - K.) als Ort und Prinzip
des Glaubens heute zu verstehen" (14). Vf. meint, man könne
das Konzil „als eine Veranstaltung gegenwärtiger Religion begreifen
" (13). Gegenüber den üblichen Bewertungen der Kirchenkonstitution
(nur pastoral, höchst dogmatisch, beides harmonisierend
) meint K., daß in ihr die Prinzipienfrage gar nicht gestellt
sei - und die stelle sich nun! Die Ekklesiologie zu Beginn des 19. Jh.
in Deutschland habe die des Konzils vorweggenommen, sie habe
auf die pastorale Tätigkeit der Kirche hingewiesen - und diese gehört
„in den Bereich der Prinzipien und nicht des taktischen Kalküls
" (251). Es könne nicht darum gehen, nach dem Bleibenden
und dem Variablen in der Kirche zu fragen, sondern es müsse gefragt
werden: „Was muß in der Kirche sein?" (254).

Vf. wiederholt und variiert Sätze definitorischen Charakters.
Dadurch wird die Arbeit zu thetisch; man wünschte sicli sie mein
analytisch. Seitenweise wird zitiert (in Teil 1 deutseh, in Teil II
lateinisch). Die Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur
fehlt fast völlig.

Dem Rez. erscheint die Abweisung der Kritik an der Kkklemo-
logie, speziell an der Unfehlbarkeitslehre, der rötn.-kath. Kirche
durch Küng der Motor zu sein, der hinter der ganzen Untersuchung
steht. Sie ist bestimmt durch ein kritisches Hinterfragen des theologischen
Denkens heute. Da es keine Arbeit über die Herkunft und
die Grundlagen dogmatischer Theologie gäbe eine Ursache für
den bedenklichen Zustand, in der sieh die heutige Theologie befände
(75) -, solle diese Untersuchung die notwendige Lücke
schließen. Sie ist gewiß eine gute Einführung in die Methodologie
und speziell Ekklesiologie der rötn.-kath. Theologie der Neuzeit.

Kreiberg Karl-Hennann Kandier

Tavard, George H.: The Seventeenth-Century Tradition. A Study
in Recusant Thought. Leiden: Brill 1978. VI, 272 S. gr. 8° =
Studies in the History of Christian Thought, l(i. Lw. hfl 68.-.

G. H. Tavard, der am Methodist Theological School in Ohio
lehrt und schon durch mehrere bedeutsame Publikationen über
die katholische wie über die anglikanische Kirche hervorgetreten
ist, untersucht im vorliegenden Werk die Verhältnisbestimmung
von Bibel und kirchlicher Tradition durch die sog. „Recusants".
d. h. die großenteils im Exil lebenden englischen katholischen

Theologen des 17. Jh. Die Arbeit ist schon deshalb verdienstvoll,
weil das Vermächtnis dieser Theologen bisher kaum Beachtung
fand. Tavard kann durch minutiösen Vergleich ihrer Arbeiten
nachweisen, daß diese bei eindeutigem Eesthalten an der katholischen
Grundposition doch nicht einfach die bisherige kirchliche
Lehre in dem für das Verhältnis der Konfessionen entscheidenden
Streitpunkt reproduzierten, sich auch nicht in bloßer Polemik
gegen Anglikaner und Puritaner erschöpften, so vorrangig diese
Aufgabe für sie auch sein mußte, sondern in zunehmendem Maße
einen schöpferischen Beitrag zur Vertiefung und Klärung des
katholischen Standortes leisteten. Es überzeugt, wenn er Theologen
wie Christopher Davenport, Thomas White und John
Sergeant zu bedeutenden Denkern erklärt, die sich mit Bossuel
und Fenelon, den zeitgenössischen französischen katholischen
Kirchenmännern und Theologen, messen können. Das Werk Ser-
geants bezeichnet nach Tavard sogar den Höhepunkt der englischen
katholischen Theologie vor Newman.

Sergeant und andere englische katholische Theologen des 17. Jh.
bereiteten nach Tavard gerade deshalb das große Werk Newman«
vor, weil sie begannen, die kirchliche Tradition nicht als bloß deduktive
Entfaltung aus einer vorgegebenen Prämisse, sondern als
echten Erkenntnisgewinn im Laufe einer langen geschichtlichen
Entwicklung zu verstehen. Dabei bemühten sich einige von ihnen,
die kirchliche Tradition weithin als einen Sonderfall der für jede
Tradition gültigen Entwicklungsgesetze zu begreifen, was für einen
katholischen Denker durchaus möglich ist, wenn er das Natürliche,
wie es auch hier geschieht, vom Übernatürlichen gehalten und gestützt
glaubt. Dabei sieht Tavard, daß Newman, für den das Bnt-
Wicklungsproblem das Zentrum des Traditionsproblems darstellte,
seine Theorie der Lehrentwicklung sowohl systematischer als auok
stärker historisch zu begründen wußte. Ihm liegt aber daran, die
katholischen Lehraussagen schon des 17. Jh. nicht als formelhaft-
einförmig, sondern als weithin originell und fruchtbar erscheinen
zu lassen. Vor allem ist er erfolgreich um den Nachweis bemüht)
daß die sog. Zwei-Quellen-Theorie, die Bibel und Tradition als
zwei einander additiv ergänzende Ursprünge katholischer Leine
verstand, nach dem Tridentinum zwar vorherrschte, aber zu keiner
Zeit unbestritten blieb. Schon Davenport etwa habe Josef Geiselmanns
explikatives Verständnis des tridentinisehen „et" vorweggenommen
, indem er lehrte, daß alle kirchlichen Traditionen bereits
in der Schrift beschlossen seien.

Wenn man dies alles zugesteht, so kann man trotzdem nicht den
eindeutigen Tatbestand übersehen, daß auch diese Theologen bei
allen Nuancen im einzelnen eine Position vertraten, die als eindeutig
antiprotestantisch gelten muß. Sie konnten im Detail neu«
Wego suchen, so daß sie selbst in den - freilieh bezeichnenderweise
stets schnell zu entkräftenden - Verdacht der Häresie gerieten.
Sie konnten den Akzent stärker auf die fundamentale Heilsbedcu-
tung der Schrift, auf die allein von der Tradition herkommend0
Gewißheit oder auch auf die beide vergegenwärtigende Rolle de*
kirchlichen Lehramts legen. Sie konnten rein natürlich oder au«'1
weithin rational argumentieren. Sie konnten in ihrer Betonung
der Vieldeutigkeit und Zeitgebundenheit mancher biblischen Aussagen
Problemen einer historisch-kritischen Exegese bemerkenswert
nahe kommen. Letztlich standen ihre Überlegungen aber
stets im Dienste ein und desselben Zieles: zu erweisen, daß der
Glaubende einzig durch das kirchliche Lehramt Gewißheit über
seinen Glauben erlangen kann. Diese Aussage richtet sich stet«
gegen das protestantische „sola scriptura" im Sinne der Selbstevidenz
des Wortes Gottes wie gegen das Recht des einzelnen
Gläubigen, sich die biblische Wahrheit im Hören des Wortes Gottes
zu eigen zu machen.

Dabei ist es gut, daß Tavard die Überlegungen der katholisch0"
Theologen nicht leichtfertig abtut. Gerade unser heutiges Wisse"
sowohl um die grundlegende Bedeutung der mündlichen Traditio"
noch vor der schriftlichen Fixierung des Kerygmas und erst rech*
der späten Abgrenzung des neutestamentlichen Kanons wie i'1"
den geschichtlichen und damit zeitgebundenen Charakter all«"'
Glaubensaussagen läßt uns das Sehwergewicht vieler Überzeiigu"'
gen auch der hier behandelten Theologen besser als frühere pr°'
testantische Generationen verstehen. Setzen wir uns ihm als eva'1'
gelisehe Theologen in rechter Weise aus, so werden wir indes d*J
„sola scriptura" dadurch nicht relativieren, sondern klären