Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1981

Spalte:

275

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Déchanet, Jean-Marie

Titel/Untertitel:

Guillaume de Saint-Thierry 1981

Rezensent:

Thümmel, Hans Georg

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

275

Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1081 Nr. 4

27«

Tages übergegangen, als sei das Prohlem gar nicht existent, geschweige
drängend? Als Antwort sei zunächst ein Hinweis auf die
immer stärker werdende Kenntnis und Verwendung des AT erlaubt
. Dort war man das Nebeneinander unterschiedlicher Überlieferungen
zur selben Sache gewöhnt, schon z. B. die Geschichtsbücher
und die Bücher des Chronist en, wozu vielfach entsprechende
Teile prophetischer Bücher treten. Weiter dürfte die Kirche sich
in ihren immer mehr präzisier ten Lehrsätzen ein über der Schrift
stehendes Selbstverständnis erarbeitet haben. An der Identität des
in Liturgie und Sakrament gegenwärtigen Christus mit dem im
Viererkanon beschriebenen Herrn gab es ohnehin keinen Zweifel.

Rrennen WMter Nagel

Dechanet, Jean: Guillaume de Saint-Thierry aux sources d'une
pensee. Baris: Beauchesne 1078. 150 S. 8° = Theologie histori-
que, 40.

J. Dechanet behandelt ein Spezialthema aus dem Bereich griechischen
Einflusses auf das Abendland. Neben der Aristotelesrezeption
können auch die verschiedenen Wege Beachtung beanspruchen
, auf denen Neuplatonisehes ins Mittelalter einströmte.
Eine der wichtigen Vermittlergestalten ist offenbar der in enger
persönlicher Beziehung zu Bernhard von Clairvaiix stehende Wilhelm
von St. Thierrv gewesen. Auf diesen, der zu den originellsten
Denkern des 12. Jh. gehört, konzentrieren sicli seit Jahrzehnten
die Forschungen des Vf. Das Bemühen, die Wurzeln von Wilhelms
Denken freizulegen, führt zu Johannes Eriugena, Gregor von
Nyssa und Claudianus Mamertus, und der Vf. steht nicht an,
schließlich die Originalität Wilhelms auf Plotin zurückzuführen.
Freilich gibt es hier keine wörtlichen Zitate, doch muß auf eine
direkte Kenntnis der Enneaden geschlossen werden. Auf welchen
Wegen Wilhelm zu dieser gelangte, kann jedoch nicht gesagt
werden.

Gerade De anima war eines der am meisten behandelten Themen
des 12. Jh. Eine Metaphysik der Seele und eine Theorie der Gottesliebe
werden zu einer platonisch gefärbten individualistischen
Liebesmystik weiterentwickelt. Wie die logischen Bemühungen
jener Zeit die Struktur des Denkens zu ergründen suchen, so jenes
Streben die der Seelenkräfte. Die Bolle aufgezeigt zu haben, die
Wilhelm von St. Thierrv in diesem Zusammenhang gespielt hat,
bleibt das Verdienst Dechanet«.

ßraflMMd Haiti Qtotg Thflnif—i

May, Gerhard: Schöpfung aus dem Nichts. Die Entstehung der
Lehre von der Creatio ex nihilo. Berlin-New York: de Orayter
1978. Xn, 196 S. gr. 8° - Arbeiten zur Kirehengeschichte, 48.
Lw. DM 82,-.

Der Vf. des vorliegenden Buches hat seinen Untersuchungen
zum Thema eine eindeutige Definition und eine eindeutige Frage
vorangestellt: ..Die Lehre von der creatio ex nihilo sagt in zugespitzter
Form die absolute Voraussetzungslosigkeit der Schöpfung
aus und bezeichnet Gottes Allmacht als ihren einzigen Grund.
Zusammen mit dem ihr korrespondierenden Gedanken der unbedingten
Freiheit und Kontingenz von Gottes schöpferischem Handeln
besitzt sie konstitutive Bedeutung für das christliche Verständnis
von Schöpfung. Wann ist die Lehre von der creatio ex
nihilo entstanden?" (VIT). Am Ende des Buches zeigt der „Rückblick
" (183f), daß die eingangs gestellte Frage ebenso klar und
eindeutig beantwortet worden ist, und zwar in dem Sinne, daß die
Lehre von der creatio ex nihilo im strengen Sinne, sofern sie die
Alternative zum „griechischen Weltbildungsmodell" Voraussetzt
(VTTf), nicht bereits zu den Voraussetzungen der ur- und frühchristlichen
Schöpfungstheologie gehört, sondern erst relativ spät,
in der zweiten Hälfte des 2. Jh.. und das heißt zugleich: als Ergebnis
eines Prozesses der Auseinandersetzung mit der philosophischen
Kosmologie des mittleren Piatonismus wie auch mit der
(P]at°nisierenden) christlichen Gnosis artikuliert worden ist.

Der zeitliche Rahmen des Buches ist relativ weit gefaßt: Wird
auf der einen Seite, im 1. Kap., das „Problem der Weltschöpfung
im hellenistisohen Judentum und im Urchristentum bis zurgnosti-
schen Krise des zweiten Jahrhunderts" erörtert (1-39) und in diesem
Zusammenhang überzeugend dargelegt, daß es weder im Bereich
des hellenistischen Judentums noch auch im Urchristentum
„zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der platonischen
und stoischen Prinzipienlehre" (21) und somit auch nicht zu einer
eindeutigen Artikulierung der creatio ex nihilo gekommen ist, so
wird auf der anderen Seite, im 5. Kap. (151-182), gezeigt, in welchem
Maße und Sinne sich in der zweiten Hälfte des 2. Jh. bei
Tatian, bei Theophilus von Antiochien und insbesondere bei Irenaus
die „kirchliche Lehre von der creatio ex nihilo" in der doppelten
Frontstellung gegen Gnosis und Philosophie herausgebildet
und in der bei Trenäus erreichten Gestalt alle weitere Entwicklung
maßgeblich bestimmt hat. Entscheidend für das Verständnis dieses
Prozesses ist die vom Vf. zu Beginn bereits (3-5) betonte Erkenntnis
, daß eine grundlegende Bolle bei der Ausbildung der christlichen
Schöpfungslehre die Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen
Piatonismus und seiner Lehre von der „Weltbildung"
gespielt hat. Von daher gesehen kommt dem 4. Kap., in dem im
einzelnen anhand der frühchristlichen Apologeten das Verhältnis
zwischen „Christliche(r) und piatonische(r) Kosmologie" untersucht
wird (120-150), in diesem Buche eine Schlüsselstellung zu.
Einerseits knüpfen ja die frühchristlichen Apologeten - wie sich
besonders bei Justin zeigt (124 ff) - noch relativ unbefangen an das
„Weltbildungsmodell" des Piatonismus an, andererseits aber zeigt
sich auch bei ihnen schon - besonders deutlich wiederum im Zusammenhang
der „heilsgeschichtlichen" Theologie des Justin
(130ff) - ein bestimmtes Gefälle des Denkens, das sich - offensichtlich
durch die „Dynamik des christlichen Gottesbegriffes" bedingt
- im Grunde bereits „von den ontologischen Voraussetzungen des
Weltbildungsmodells gelöst hatte" (135) und dann schließlich organisch
in die kirchliche Lehre von der creatio ex nihilo einmündete,
wie sie in der zweiten Hälfte des 2. Jh. von Tatian, Theophilus von
Antiochien und insbesondere von Trenäus ausgebildet worden ist.
Und zumal bei Irenäus tritt dann mit aller Deutlichkeit der für den
christlichen Schöpfungsglauben charakteristische Sachverhalt hervor
, daß der Satz von der creatio ex nihilo im christlichen Sinne
nicht eigentlich kosmologisch, im Sinne einer Aussage über den
Ursprung der Welt, sondern primär theologisch, im Sinne also
einer Aussage über die Voraussetzungslosigkeit des Handelns Gottes
zu verstehen ist (vgl. in diesem Sinne dann freilich auch schon
Rom 4,17!). Die Frage nach dem rechten Gottesverständnis ist es
also, die im frühen Christentum zurLehre von der creatio ex nihil"
geführt hat. Und in diesem Sinne hat der Vf. gewiß auch grundsätzlich
recht, wenn er feststellt, daß es sich bei dem zuerst von
Tatian aufgestellten Satz, daß auch die Materie von Gott hervorgebracht
sei, um einen Gedanken handelt, „der früher oder später
aus dem biblischen Schöpfungsglauben abgeleitet werden mußte,
sobald das christliche Denken in eine kritische Auseinandersetzung
mit der (hier muß man wohl ergänzend hinzufügen: im späthelle-
nistischen Zeitalter weithin in einem religiösen Gewand auftretenden
) philosophischen Prinzipienlehre eintrat" (153).

Seinen Wert hat das vorliegende Buch nun freilich nicht iW
darin, daß die Grundlinien der Entstehung der altkirchlichen Lehre
von der creatio ex nihilo in der Auseinandersetzung mit dem
Piatonismus aufgezeigt werden, sondern nicht zuletzt auch darin,
daß hier zum ersten Male im Rahmen der speziellen Fragestellung
des Vf. im 2. und 3. Kap. die „Frage nach dem Ursprung der Welt
in der christliehen Gnosis" (40-62) sowie die Fragen der „Weltschöpfung
bei Bxsilides und den Valentinianern" (63-119) erörtert
werden. Es ist offensichtlich und auch dem Vf. selbst bewußt, <lftß
sich durch die Einbeziehung dieses Aspektes der zunächst so eindeutig
erscheinende Sachverhidt der Ausbildung der kirchlichen
Lehre von der creatio ex nihilo erheblich komplizierter darsteH'
(183f). Der Beitrag der christlichen Gnosis zur Fragestellung '»*
ja keineswegs eindeutig: Nebenden „dualistischen" Systemen, <'lP
bei der Frage nach dem Ursprung der Welt mehr oder minder
deutlich an das platonische „Weltbildungsmodell" anknüpf«*11-
steht nun eben auch das „monistische" System des Basilides. dftS
zwar in der christlichen Gnosis des 2. Jh. singulär ist. in dem aber
„bereits ein Mensehenalter vor Tatian und Theophilus von Ant"1'