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Ausgabe:

1981

Spalte:

270-272

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Brunotte, Heinz

Titel/Untertitel:

Bekenntnis und Kirchenverfassung 1981

Rezensent:

Meier, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1081 Nr. 4

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der amerikanischen Besalzungsniacht iu Deutschland von 1944 auf dem positionellen Hinteigrund eines autiklerikalistisch vcr-
bis WI40" (7-99; tlaiikicrl durcii instruktive meist engliselie Doku- standenen, »olidariselien Christentums iu der modernen lndustric-
Weiite) vor. Iiis zur Kapitulation Hitlerdeutschlands unterselieidet gesellsehai't zu sehen sind. Dabei dürfte der Gedanke verantworter
zwei Perioden (bis Sept. 1944: „Planung ohne Direktiven"; licher ehristlieher Existenz im Sinne anderer Veröffentlichungen
Okt. 1944 bis Mai 1945: „gelenkte Planung"). Danach sehließt sich desVf.ineinergeselischaftsrelevanten sozialkritischenlnnovations-
dieZeil „Kirchen unter der Militärregierung" an. In dem personell fuuktion zu suchen sein, für die seit den sechziger Jahren mit ihrem
ohnehin schmalen Referat „Education Section" hatte man zu- virulenten Hinterfragen auch kirchlicher Institutionen in der west-
"äciist die „Keligious Aftäirs" ganz übersehen, für die dann- zeit- deutschen Szenerie zeithistorisch bedeutsame Ansatzpunkte geweilig
allein Captam Knappen, Theologe und Geschichtsprofes- sehen werden (124).

»ur und US-Luftwallcuotlizier,Dez. 1944 bis Anfang 1947 als Leiter Auch Ii. v. Thadden sieht in seinem Beitrag „Dietrich Bon-

tungierte. Unterschiede zur englischen und französischen Zone hoeffer und der deutsche Nachkriegsprotestantismus" (125 138)

werden aufgezeigt. In informativer Lhuenfüluung, bei der quellen- die unmittelbare Nachkriegszeit „aus vielerlei Gründen zu rekon-

belcgt auf Kessortrivalitäten, kirchenpolitische Konzeptionsdiffe- struktionsbestrebt, um große kritische Kragen auszuhalten und

ranzen, Entiiazilizierungsproblcmatik in der Kirche u.a.m. hin- aufnehmen zu können" (187). Der Mangel an innerkirehlichen

gewiesen wird, stellt sich die Kirchcnpolitik der amerikanischen Voraussetzungen (programmatische Defizite des kirchlichen Wi-

Üesatzungsbehörde so dar: Zunächst als „Mixtur von Nicktein- derstands oder interpretatiousoffene fragmentarische Ansatz-

uhschung und Kontrolle" detiniert, wurden Kontrollvcrsuche bald punkte bei BonhoetVer) hätte „indes allein nicht ausgereicht, um

aufgegeben, weil das durch sofort einsetzende ökumenische Kon- die Kirchen auf den Weg der Hestauration geraten zu lassen" (135).

takte gestärkte deutsche kirchliche Selbstbewußtsein, genährt Der wesentliche Faktor wird vielmehr in einer im Blick auf die

durch die Erfahrungen des voraulgegangeneii Kirehenkainpfes in Gettosituation derNS-Zeit kompensatorisch verstandenen hyper-

der NS-Zoit, rasch wuchs und den Kirchen eine „Schlüsselrolle" trophierten „Wahrnehmung eines immer wieder beteuerten ,Öffent-

lOfiel, und ihre „Wächteramtsfunktion" sich auch besatzungs- lichkeitsauftrags' " (1351) gesehen, durch den nichtchristliehe

politisch modifizierend auswirkte (.'!7; 3911). In ihrer Anknüpfung»- Kräfte klerikalistisch abgewertet wurden und die Kirchen mit der

tendenz an die Weimarer Verhältnisse von vor 1933 wird die US- „Verantwortung für die Probleme der modernen lndustriegcscll-

Kirchenpolitik als „restaurativ" gekennzeichnet. Sie habe durch schaff überfordert waren: „Uberdehnung kirchlicher Möglich-

..diese ihre restaurative Ausrichtung . . . notwendigerweise in der keiten .... die zur Auszehrung der Substanz und zum Fall in Ab-

EKD vorhandene restaurative Tendenzen verstärkt" (57). häugigkeiten führen mußte" (137). Von daher gewannen über ihre

In kritischer Optik gegenüber diesem kirchlichen Öffentlichkcits- Zeit hinausweisende kirchenkritische und kirclieiireformerische Gc-

ansprueh analysiert M. Greschat „Kirche und Öffentlichkeit in danken Bonhoeffers erst eine stärker sensibilisierende Funktion,

dur deutschen Nachkriegszeit (1945-1949)" (100-124). Bestärkt als die gesellschaftliche Grundlagenproblematik und die Diskrc-

dureh die Kestriktionserfahrungen der NS-Zeit sei es den Kirchen putzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Volkskirche offen-

»'Ucht nur um die Verwirklichung einer rechtlichen oder politi- kundig wurden.

sehen Forderung, sondern stets auch um die Durchsetzung eines Paolo Pombeni („Zur Kolle des Katholizismus in der italieni-
kirchlich-theologischen Konzepts" (102) gegangen, mit dem sich scheu Nachkriegspolitik"; 139 157) weist auf dem Hintergrund
»allerdings ausgesprochen unterschiedliche Vorstellungen" ver- voraufgehender Trends im Verhältnis von katholischer Kirche und
"baden konnten (103). Dabei verweist der Vf. einerseits auf die italienischer Politik nach, daß die Democrazia (Jristiana mir da -
antitotalitäre Stoßrichtung von Barmen 11 (Abweisung aller von durch dominierte, daß ihr führende katholische Kreise ihre Unter-
der Herrschaft Christi ausgegrenzten eigcngesetzlichen Räume) Stützung liehen und Pius X 11. die politische Kinheit der Katholiken
"Od andererseits auf ein älteres kirchliches öfl'entlichkeitsverständ- proklamierte. So war der italienische Nachkriegskatholizismus
"M, das analog zu O. Dibclius (Das Jahrhundert der Kirche, 1920) vom „Mythos von der .Eroberung der Gesellschaft'" (149) be-
Ulu gegen den Säkularisieruugsprozeß gerichtetes „christliches herrscht, wenngleich Minderheiten (so Dosetti und seine Anhänger)
Cesellschaftsverstäiulnis" involvierte, jedenfalls die Aufgabe der jj(Ja8 Konzept von der Teilnahme am Leben in der Welt auf der
'Kirche tendenziell auch darin erblickte. Die kirchlich selbst- Basis des Humanismus" wiederentdeckten (152). Mit der Kon/.ils-
kr'tisch reflektierende Linie Stuttgart-Darmstadt, hier typologisch Situation in den sechziger Jahren und der damit gegebenen kirch-
'»litde r von K. Barth bestimmten Verkündigungsautonoinic identi- liehen Selbstprüfung kamen „die inneren Widersprüche der verliert
, habe trotz aller spektakulären Diskussionen und respek- schiedenen Einstellungen innerhalb des Katholizismus an den
tabler Kutwürfe der Situation der Volkskirehe nicht wirklich Keck- Tag", wobei die daraus resultierende Krise verständlieherweise
"U|ig getragen und sei damit nicht gesellschaftseffiziont geworden, noch nicht als zu einem Hude gekommen betrachtet wird (157).
Zumal sich die Kirchen realhistoriseh als Größen etablierten, die
H° offenkundig überlebt hatten und sich darum als Orientiert! ngs-
»füßen und Stabilisiorungsfaktoren anboten. Die ebenfalls bekenntniskirchliche
kirehenkonservativere Linie, teilweise auch an
^'tgedanken kirchlichen Widerstands (Freiburger Kreis usw.)

Rentiert, blieb modifiziert demalten kirchlichen „Offentlichkcits- Brünette, Hein/.: Bekenntni» und Kirrlieiiverfassung. Aufsätze zur

anspruch" (übrigens mit „Reehristianisierungstendenz" in gesamt- kirchlichen Zeitgeschichte. Göttingen: Vandenhoeck & Rup-

««Hellsehaftlicher Hinsicht) verhaftet, Der Inhalt kirchlicher Worte rc,.nt 1977. x, 261 S. gr. 8 ' ■= Arbeiten zur kirchlichen Zeit-

80 den öffentlichen Aufgaben habe sich in NachkriegsdeuUchland geschichte. Reihe B: Darstellungen, 3. Lw. DM 45,-.
'»mitbin . . . bewußt oder unbewußt auf die Verteidigung bürger-

''«l'-mittelständischcr, sozialkonservativer Verhältnisse" bezogen Die hier vorgelegten „Aufsätze zur kirchlichen Zeitgeschichte",
dßf). Die theologisch-sozialethische „Konzentration auf die Per- treffend mit dem Bandtitel „Bekenntnis und Kirchen Verfassung"
H"" mit einer weitreichenden Abstraktion von den Institutionen firmiert, stammen allesamt aus der Zeit von 1940 bis 1965. Der
"lul Strukturen" wird als Defizit empfunden, habo jedenfalls die Plan, die bisher nicht durchweg an leicht erreichbarer Stelle vor-
Anigabe „zur kritischen Auseinandersetzung mit der säkularen liegenden Aufsätze neu zu publizieren, im Zusammenhang mitdem
'.'"'"striegesellscliafl zumindest nicht erleichtert" II Ist). Auge- SO. Geburtstag des Autors ins Werk gesetzt, ist nicht nur konven-
H'ehts der bald einsetzenden „ökonomisierung" der westdeutschen tionell vom Jubiläumsanlaß her zu verstehen. Die nunmehr leicht
^'Seilschaft sei eine „schnelle Reduktion des kirchlichen Einflusses zugänglichen Beiträge zeichnen sich vielmehr durch ihre zeitige-
'" der Öffentlichkeit auf die Legitimierung der bestehenden Besitz- schichtliche Relevanz aus und sind konzeptionell bestimmt durch
^'' '"ültnisse. die Verteidigung von Zucht und Ordnung sowie ins- den „Dreiklang von lutherischer Theologie, Engagement für die
ändere auf den K ampf gegen den Kommunismus eingetreten" Rechtsordnung des deutschen Protestantismus insgesamt und prall
'»). Oer k ritischen historiographischen Gesellschaftsiinalyse im ziser Beschreibung historischer Vorgänge (Vorwort, d. Hrsg., VI I).

'■''k auf das Sozialengagement der Kirchen, der der Vf. auch Daß sie in der Mehrzahl in die theologische Problematik kirchen-

*)n*t forschungsmäßig und editorisch verpflichtet ist. korrespon- rechtlicher und kirchenorganisatorischer Fragen nach 1945 hinein-

''"''en in ,|iPselll |i,.,t,-„<- mir weiter auszuführende Hinweise, die weisen, entspricht dem Charakter der Reihe, die neben Weimarer

Letpiig Kurl Meier