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Ausgabe:

1981

Spalte:

248-250

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Vermeylen, Jacques

Titel/Untertitel:

Du prophète Isaie à l'apocalyptique 1981

Rezensent:

Barth, Hermann

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1 OS I Nr. 4

24,H

der formgeschichtlichen Methode eigene Gefahr nicht gebannt, daß
der Einzeltext wiederum nicht als einziges unmittelbar greifbares
Objekt analysiert, sondern nur Anlaß zur Behauptung abstrakterer
Strukturen wird. Gattungsstrukturen, die sich immer „auf Textganzheiten
" (263; leider nicht definiert) beziehen, sind laut Vf.
„Kommunikationsnormen" (284), „frei verfügbare . . . generative
und virtuelle Textbildungsmuster" (285), „semantisch bestimmte
und für verschiedene KHSe typische Konfigurationen der Tiefenstrukturen
verschiedener Einzeltexte" (260). Sie sind zu unterscheiden
von „den Gattungsexemplaren als den oberflächenstrukturell
direkt zugänglichen Einzeltexten, in denen sich eine
Gattungsstruktur manifestiert" (261). Jedoch bleibt nicht nur die
Beziehung der tiefenstrukturellen Gattung zur Tiefenstruktur des
Einzeltextes unbestimmt (260), sondern auch das Verhältnis von
Gattung und Gattungsexemplar ist nicht leicht zu fassen, denn es
kann sein, daß formal gänzlich unterschiedliche Ausdrücke „lediglieh
in semantischer Hinsicht in dem jeweils gattungsspezifischen
Merkmal übereinstimmen". So erscheint es Vf. schwierig, „genauer
zu definieren, was eine Gattungsstruktur ist und aus welchen semantischen
Komponenten sie sich zusammensetzt" (263). Das
aber wäre unumgänglich, wollte man mit diesem Gattungsbegriff
arbeiten, seine Operationabilität prüfen. Vf. sucht denn auch
nirgends, eine konkrete Gattung mit seinen eigenen Kriterien zu
besehreiben.

Bezüglich des liegrfmdeten [JnhellsworteB gibt er keine prälexikalisehe, logisch-
semantische Tiefenstruktur, Mindern eine unpräzise Inhaltsangabe: „l'nter dem
Terminus .Unheilswort' wollen wir die prophetische Ankündigung von Unheil in
fiestalt verschiedenartiger Katastrophen verstehen ..., wobei diese Katastrophen
sehr häufig als Jahwes Werk angekündigt werden" (289 nl9). S. 275: „Die
(«attungsstruktur dürfte nach ihren konstitutiven Merkmalen wie folgt zu para-
phrasieren sein." Fieim Disputationswort muß ..eine kurze Skizzierung der
<• attungsstruktur" reichen, dies zudem recht ungenau, denn Punkt 3 der Gat-
tungsstruktur lautet: „die kommunikative Intention eines der Kontrahenten,
durch eine - wie immer geartete - Beweisführung den Gegner von seiner Meinung
zu überzeugen." Dem entspricht, heim Gattungsexemplar lediglich „Illustration
dieser Gegenbehauptung durch das Gleichnis von der Unentrinnbarkelt des Bedrohten
" (271). Ist das eine „Beweisführung"?

Weiterführend ist Vf.s Aufweis, daß es neben gattungsspezifischen
auch nicht gattungsspezifische Stilkonstanten gibt. Aber
die Begrifflichkeit ist nicht ganz durchsichtig.

„Besonders in den Fällen, in denen von der Sprache her zur ausdrucksformalen
Idealisierung gattungsspezifischer Inhaltsmomente nur eine geringe oder überhaupt
keine Varianz im Ausdruck zur Verfügung steht. . . könnte man von
Krammattach bedingten, gattungsspezifischen Ausdruckskoustanten sprechen"
(2t;4). Diese sind wohl zu unterscheiden von den gattuugssi>ezif ischen Stilkonstanten
, da Stil nach Vf. den „bevorzugten Gebrauch bestimmter fakultativer
Varianten innerhalb einer mehr oder weniger großen lleihe synonymischer Aus-
drucksmügliehkeiten des Sprachsystems" (149) bezeichnet. Logisch leuchtet die
Disjunktion zwischen obligatorischen („conditio sine qua non für eine Gattung")
und fakultativen („ausschließlich nur für eine bestimmte Gattung typisch" 2«7)
gatturigsspezlfischen Stilkonstanten nicht ein, auf Grund deren Vf. folgendes
Argument vorlegt: „Damit ist klar geworden, daß die Kedeeröffnung von
Prophetenworten durch den Klageruf keine gattungsspezil'ische Stilkonstante
sein kann, da sie - wie der Hftraufruf - Texte verschiedener Gattungen eröffnet"
(274). Einzelne Elemente der Gattungsstruktur lassen sich nicht isolieren, ton-
dem sind in ihren systeminternen Zuordnungen zu betrachten. Das Element a
kann also in Zuordnung zu b-e-g durchaus gattungsspezifIsche stilkonstante der
Gattung A sein, obgleich es in Zuordnung zu den Elementen c-d-f auch in Galtung
Ii oder in gattungsmäßig nicht gebundenen Texten belegt ist. Das ISeisplel
der Botenformel, die laut Vf. zwar obligatorische gattungsspezifische BtUkonstante
des Botenspruchs ist (267), von einem Schriftsteller dennoch weggelassen
werden kann (266 nl5), verstärkt die Verwirrung, nach welchen Kriterien Vf.
im Einzeltext die drei Stilkonstanten unterscheiden will. Indem er Stilphänomene
„ata Vorkommen normierten Sprachgebrauchs, ata stabilisierte Reduktionen
sprachlicher Ausdrucksmöglichkelten" (150) definiert, hebt er auf eine vielen
Texten gemeinsame Erscheinung ab, das individuelle sprachliche Verfahren eines
einzigen Textes fällt nicht unter diese Definition : wiederum steht nicht die Form
des Einzeltextes im Zentrum des Interesse».

Im umfangreicheren zweiten Teil der Arbeit untersucht Vf. den
prophetischen Klageruf (hby aphrastisoh mit dem Folgenden verbanden
), den er als gattungsunabhängige Stilkonstante mit Texteröffnungsfunktion
bestimmt. Er unterscheidet den Totenklageruf
: auf Person(engruppe) bezogen, und den Untergangsklageruf:
auf politische Einheiten bezogen. Der Totenklageruf ist strukturell
identisch mit dem akultischen zeremoniellen Klageruf, der allerdings
im Gegensatz zum texteröffnenden prophetischen Klageruf
eine pragmatische Texteinheit bildete und auf den nach Vermutung
Vf.s das Lob des Toten folgte. Arnos hat als erster diesen
Klageruf rhetorisch umfunktioniert und so metaphorisch eingesetzt
, indem er das Lob des Toten parodierend in Tadel der Lebenden
umsetzte. Diese und weitere Verletzungen der Stil- und
Gattungsnormen des zeremoniellen Klagerufs im prophetischen
Klageruf erregten die Aufmerksamkeit der Hörer. Die zeremoniellen
Elemente der Untergangstrauer, bei denen der Untergangs-

klageruf teils als Refrain auf ein Klagelied, teils in Klagcschildc-
rungen begegnet, weist Vf. an altorientalischen Texten nach, findet
anschließend Elemente auch im AT und identifiziert nhi als alt-
testamentliche Gattungsbezeichnung des Untergangsliedes. Toten-
wie Untergangsklageruf erweisen sich schließlich als Elemente
einer umfassenden Trauermetaphorik der Unheilsprophetie des
8. Jh., die dazu dient, Unheil teils anzukündigen, teils festzustellen
, und die vielfältig parodierend eingesetzt wird. Auf diesem
Hintergrund legt Vf. zahlreiche prophetische Texte aus. Abschließend
umreißt Vf., wie diese rhetorische Metapherschöpfung
des Arnos traditionsbildend auf spätere Propheten eingewirkt hat
und von diesen in abweichender Aussageform und -tendenz rezipiert
wurde.

Vf. untersucht die Partikel Köy sowohl nach ihrem syntaktisch-
semantischen Kontext als auch nach ihrem Stellenwert im Sprachsystem
. Gerade die ausführlichen syntaktischen Analysen, durch
Tabellen übersichtlich zusammengefaßt, zeigen trotz interessanter,
weiterführender Beobachtungen - z. B. zur Funktion des Nominalsatzes
- terminologische und sachliche Unsicherheiten und bedürfen
daher eingehender Kontrolle.

Zwei lleispiele zum Abschluß. Vf. spricht fortwährend von Nominativ. Da da«
Hebräische keine Kasussprache ist, insofern ihm Kasusmorpheme fehlen {-iih ist
kein „Richtungskasus". sondern Post position; vgl. die ugarittache Schreibung
mit h und seine Position nach der ursprünglichen obtiquus- Kndung -im im Plural),
kennt es auch keinen Nominativ. Vor allem aber Vf.s Behauptung: „Theoretisch
fallen unter diese Definition auch .Akkusative', insofern als die nota accusativi
fehlen kann" (164) werfen ein seltsames Licht auf diese Analysekategorie. VI . ist
es wichtig, ausnahmslos aphrastische Konstruktion des Klagerufs in den Belegen
des S. Jh. zu erweisen. Vor allem Stellen mit indeterminierten Partizipien l"'
reiten Schwierigkeiten. Das Partizip von Je«5,29 ist laut Vf. substantiviert
nicht prädikativ, weil es in nominaler Rektion konstruiert, ist (236f; entgegen
seiner Übersetzung steht htm nicht in V 23, sondern in V 22!). Vf.s Verweis aal
Gesenius-KautzBch S IUI verfängt jedoch Dicht, denn dort sind sowohl nicht
prädikative substantivierte Partizipien verbaler Rektion: Gen 42,29; Jes68,11
als auch prädikative Partizipien nominaler Rektion: Ps 19.8.9 aulgeführt. 5.20
läßt auch in V 23 prädikative Konstruktion möglich erscheinen (2151 [was ist
syntaktisch ein „FseudogUed"?]. 261 f). Deutung von Am (i,4a# als atj/Hdeti-
neher Attributsatz (mit prädikativem Partizip ohne oberflächenmäßig ausgedrücktes
Subjekt), der dennoch durch w tyndeKtoh an seinen BezngSSStZ angeschlossen
ist und dessen ui als tr apodoteOS bestimmt werden kann (242.248). erzeugt
ein syntaktisches Monstrum.

Hardmeiers Arbeit ist. höchst anregend, bringt wesentliche nein'
Gesichtspunkte; sie wird die kontroverse Methodendiskussion in
der alttestamentlichen Exegese beleben. Die konkrete Arbeit am
Text Vermag sie wegen starker Theorielnstigkeit kaum unmittelbar
zu beeinflussen.

Mainz Walter Grofl

Vermeylen, J.: Du propliete Isaie a l'apocaiyplique. Isaic, l - X X X V
miroir d'un demi-millenaire d'experienoe religieuse en IsraeX
[/II. Paris: Oahalda 1077/78. X, 821 S. gr. 8 Stüdes Bibli-
ques.

Der Werdegang der Prophetenbücher Iii. fit sich charakterisiere'1
als ein Prozeß fori währender Neuinterpretation (,,relecture") der
überlieferten prophetischen Worte. Kr hat in den letzten Jahrzehnten
zunehmend das Interesse der Forschung gefunden. Seine
Auswertung als Quelle für die Theologie- und Glaubensgesehichte
in Israel,als,,miroir .. . d'experience religieuse" über Jahrhunderte
hinweg, steckt, gleichwohl noch in den Anfängen. Für den Komple*
Jes 1-35 insgesamt und damit, weiter ausgreifend als meine
gleichzeitig entstandene Untersuchung über „Die Jesuja-Worte
der Josiazeit" (1977) versucht nun die Arbeit von V.. diesem
Mangel abzuhelfen.

Das vorliegende Werk ist eine Bearbeitung und Erweiterung der
Dissertation des Autors von 1072 (..St tuet ine et eotnpositio'1
litteraire d'Isai'e, I-XXXV") und wurde 107(1 von der Theologischen
Fakultät der Universite Catholique de LouVain als these a*
maitrise angenommen. Der Umfang der Literntui Verarbeitung, be1
der die Publikationen bis etwa Anfang 1976 berücksichtigt sind,
ist eindrucksvoll und macht das Werk allein schon in dieser Hinsicht
zu einer Fundgrube und Orientierungshilfe für die Jesft]*'
exegese.

V. hat seine Arbeit neben „Introduction" und „Concluaions "'
drei grolle Teile gegliedert. Die „Einleitung"- (1-31) erläutert knapp
Fragestellung und Gang der Untersuchung und besteht in de'
Hauptsache uns einem instruktiven forschungsgoschichtlicl"'"