Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1981

Spalte:

243-244

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Woude, Adam S. van der

Titel/Untertitel:

Habakuk 1981

Rezensent:

Reventlow, Henning

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

243

Theologische Literaturzeitung 100. Jahrgang 11)81 Nr. 4

244

\ «Ilde, A. S. van der: Jona. Nahum. Nijkerk: C'allenbach 1978.
152 S. gr. 8° — De Predeking vau het Oudc Testament. Lw.
hfl 49.50.

-: Uabakuk. Zefanja. Nijkerk: Callenbaok 1978. 102 S. 8 ' — De
Predeking van het Oude Testament. Lw. hfl 49.50.

In der niederländischen Kommentarreihe von beachtlichem
wissenschaftlichen Niveau, die schnell voranschreitet, sind zwei
weitere Bände zu den kleinen Propheten von A. S. van der VVoude
erschienen. Auch diesmal wartet der Vf. wieder mit einer Reihe
eigenwilliger, aber exegetisch durchdachter Thesen auf, die auf
jeden Fall zu neuem Nachdenken über die noch vielfältige Verständnisprobleme
bietenden Texte locken.

Zu der umstrittenen Frage nach der literarischen Gattung des
Jouabuches bemerkt der Vf. (mit H. VV. VVolff), es handele sich um
eine „Novelle". Dafür spricht der Nachdruck, der auf dem Fortgang
der Handlung liegt, die Spannung, in die der Leser gebracht
wird. Gegen die häufig geäußerte Auffassung als „Legende" spricht,
daß Jona den Lesern nicht als Vorbild vor Augen geführt wird,
wie für jene Gattung charakteristisch. Auch Allegorie oder Gleichnis
kommen nicht in Frage; die Bezeichnung als Satire verkennt -
trotz zahlreicher humorvoller Einzelzüge - den tiefen Ernst und
den didaktischen Zweck der Erzählung (12).

Auch über den Skopus des Jonabuches hat der Vf. seine eigene
Auffassung: die von vielen Auslegern vertretene Deutung, es ginge
um die Frage des religiösen Nationalismus, das Jonabuch wolle
deutlich machen, daß Gottes Erbarmen auch den Heiden gelte,
wird abgelehnt; vielmehr ist das Verhältnis zwischen Gott und
seinem Propheten das alles beherrschende Thema des Büchleins
(12f). Das Thema des ersten Hauptstückes (Kap. 1-2) ist die Sinnlosigkeit
einer Flucht vor der prophetischen Berufung, das des
zweiten Hauptstückes (Kap. 3-4) die Freiheit Jahwes, die seinem
Propheten aufgetragene Unheilsverkündigung zu realisieren oder
nicht.

Zum zweiten Teil des Buches hat der Vf. eine anregende These
über dessen literarischen Aufbau: das immer wieder Kätsel aufgebende
Problem des scheinbar unmotivierten unregelmäßigen
Wechsels der Gottesnamen in diesen beiden Kapiteln (das immer
wieder zu Quellenscheidungstheorien Anlaß bot, zuletzt bei L.
Schmidt, „De Deo", 1976) verbindet er mit einer (von H. W. U'olff
inspirierten) Deutung von deren erzähltechnischem Aufbau: sowohl
3,6-9 wie 4,5-9 sind „nachholende Erzählung", die über die
jeweils an den Anfang gestellte zentrale Thematik (3,3 b-5; 4,1-4)
auf das vorausgegangene Geschehen Zurückgreifen. Diese Anna hme
löst auch die inhaltlichen Anstöße in Kap. 4 (/.. B. daß die Frage
Jahwes in V. 4 nicht sofort, sondern erst in V. lOf eine Antwort
erhält).

Zu Nahum lautet die eigenwilligste These, die aus dem zweiten
Teil der Überschrift sefer hazön nahhum herausgelesen wird, daß
es sich um einen Brief des Propheten an seine Glaubensbrüder in
Juda aus der Golah in Assyrien handele (72). Vorbild: der in umgekehrte
Richtung verschickte Brief, Jer 29. In umgekehrte Richtung
wurde einst auch in der wissenschaftlichen Diskussion der
Prophet Ezechiel für die gesamte oder Teile seiner Wirksamkeit
von Babylonien nach Jerusalem versetzt. Solehe Annahmen müssen
auf jeden Fall sorgfältig geprüft werden, und so wird man auch
diese nocli keineswegs als bewiesen ansehen dürfen. Sie gestattet
dem Vf. auf jeden Fall, auch die literarische Einheit des gesamten
Buches zu behaupten (73); seine allgemein zu beobachtende Neigung
zu einer eher konservativen Textbehaudlung blickt auch hier
durch. Obwohl der Vf. für Nah an der üblichen Datierung (vor 630)
festhält (67), findet er doch keine klaren Hinweise auf konkrete
Personen oder Ereignisse in Juda in der fraglichen Periode im Text
(73) - dieses argumentum e silentio wird als weitere Stütze für die
assyrische Lokalisierung des Propheten benutzt. Ob ein im fernen
Assur lebender Prophet wirklich so schlecht über die Situation in
Juda orientiert gewesen wäre, erscheint fraglich - wir sind meist
geneigt, die Kommunikationsmöglichkeiten im Alten Orient zu
unterschätzen.

Mit der Lokalisierung Nahums zusammen hängt auch die Charakterisierung
seiner Botschaft. Die häufige Einstufung Nahums
als Heilsprophet und damit als Vorläufer der „falschen Propheten"
zur Zeit Jeremias wird abgewiesen und statt dessen seine Heilsbotschaft
positiv gesehen: „Die ihm zuteil gewordene Oilcnbarung
will ein Trost sein für das durch brutale Gewalt gequälte und in
seinem Glauben angefochtene Volk Judas." „Es ist keine nationalistisch
beschränkte Religiosität, wenn Nahum den Feind seines
eigenen Volkes als Feind Jahwes zeichnet" (75). Hier bieten sich
interessante theologische Aspekte Im Verständnis alttestanient-
licher Prophetie, die noch keineswegs zu Ende diskutiert sind.

Für Uabakuk ergibt sieh im wesentlichen eine chronologische
Zweiteilung seines Buches: 1,2-4 und 1,5-11 stammen aus der Zeit
um 605, als das Anrücken Nebukadnezars noch unmittelbar bevorstand
, während 1,12-2,20 drei Ereignisse um 599/98 beschreibt (9f).
Für diesen Hauptteil des Buches nimmt der Vf. analog zu seiner
Methode im Mich-Kommentar (vgl. ThLZ 104, 1979 Sp. 178f)
einen einzigen durchlaufenden Zusammenhang an: dieser beginnt
mit einem „Protest" des Propheten (1,12-17) und setzt sich in
Form Von zwei göttlichen Antworten darauf fort, die erste eine
Wortoffenbarung, dio zweite eine Vision. Hier ist man geneigt,
Vorbehalte anzumelden: zu unterschiedlich sind die aufeinanderfolgenden
Gattungen, zu deutlich auch die Einschnitte etwa in 2,1;
2,5, und, von der Redaktion durch die Übcrsclu'ift 3,1 noch hervorgehoben
, vor Kap. 3. Die Vorliebe für durchlaufende Strukturen
teilt der Vf. mit H. W. Wolfis Sicht im Bereich des Zwölf-Prophetenbuches
(bei Zephanja beruft er sich dafür ausdrücklich auf das
Urteil A. S. Kapelruds, 81 - vgl. u.); traditionsgeschichtlich liegt
es näher, mit kleineren Einheiten zu rechnen, auch wenn man zu-
goben muß, daß gerade bei Hab etwa in 2,5-17 und in Kap. 3 längere
Abschnitte vorliegen. Übrigens rechnet der Vf. bei Hab auch
mit zwei kleineren Zusätzen: 2,12-14 und 2,18-20, die eine escha-
tologische Zuspitzung in die Botschaft eintragen, und mit einer
nachträglich erfolgten Umformung der Vision Kap. 3 in ein Lied
der Gemeinde (durch Hinzufügung von V. 17-19, vgl. 55f). Die ins
einzelne gehenden Datierungsversuche auf sehr spezielle historische
Situationen (z. B. zu 3,16, vgl. 72) wirken nicht immer überzeugend
; ob der (bewußt in den Hintergrund gedrängte, vgl. 56) kul-
tisohe Ursprung vieler Aussagen nicht doch stärker berücksichtigt
werden muß? - Zu dem vielverhandelten Problem des „Gottlosen"
bei Hab kommt der Vf. zu keiner einheitlichen Lösung: in 1,4 bezeichnet
der Begriff reia Gottlose in Juda, sonst sind immer auswärtige
Feinde, die Chaldäer, gemeint (12f). Diesen unterschiedlichen
Sprachgebrauch möchte der Vf. zugleich als zusätzliche
Stütze für seine unterschiedliche Datierung von 1,2-11 zu 1,12 3,19
benutzen.

Die Gesamtauffassung von Zephanja weicht weniger auffällig
von der communis opinio ab. Für die Datierung der Prophetie wird
die Angabe der Überschrift über die Wirksamkeit Zaphanjas unter
Josia bestätigt (79). Auch mit mehrfachen Bearbeitungen des
Textes durch jüngere Redaktionen wird gerechnet. Wieder finden
wir die Vorliebe für durchlaufende Gesamtstrukturen: 1,2-2,3 wird
wegen des gemeinsamen Themas, des „Tages Jahwes", als eine
solche „kerygmatische Einheit" gewertet (81 f). Es gibt in der
Tradition der Prophetenbücher manchen Hinweis auf die Sammeltätigkeit
der Redaktoren, die sich z. B. in deutlicher Stichwort-
anreihung zeigt (wie etwa in Jes 1; vgl. G. Fohrer, Jesaja 1 als
Zusammenfassung der Verkündigung Jesajas, in: BZAW 99, 1967,
148-166); eine thematisch bestimmte, aber gerade deshalb redaktionelle
Sammlung liegt deshalb gerade in diesem Fall viel näher.
Dagegen möchte man dem Vf. zustimmen, daß die Tag-Jahwe-
Verkündigung nicht nachträglich von einer ursprünglichen Beschränkung
auf Jerusalem auf die gesamte Umwelt ausgedehnt
worden ist, sondern umgekehrt diese ihrer Natur nach universale
Vorstellung spezifisch auf Jerusalem-Juda zugespitzt wurde. Ahnlich
geht auch Arnos, 5,18-20, mit der populären Vorstellung um:
entscheidend ist es, daß die Hörer lernen, sie zu allererst auch auf
sich selbst zu beziehen.

Obwohl man nicht selten zum Widerspruch gereizt wird, geht
man mit vielen neuen Gedanken aus der Lektüre dieser Kommentare
hervor. Die Reihe sollte sich auch außerhalb des niederländischen
Sprachbereichs einen Platz unter den wichtigen
Kommentarwerken erobern.

Bochum Henning Grat' Reventlow