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Ausgabe:

1981

Spalte:

208-209

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Peil, Dietmar

Titel/Untertitel:

Zur "angewandten Emblematik" in protestantischen Erbauungsbüchern 1981

Rezensent:

Schicketanz, Peter

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207

Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 3

208

Lutherlieder). Solche Melodiezuweisungen können freilich - nach
dem vorliegenden Quellenmaterial - nur bis zu einem gewissen
Grade wahrscheinlich gemacht werden; beweisbar sind sie nicht.

Ein weiterer hymnologischer Beitrag befaßt sich mit der Bedeutung
Paul Gerhardts für die Musikgeschichte, die zunächst auf dem Gebiete
der ,.Aria" (des frühen geistlichen Sologesangs in Strophenform
) gesehen wird, wozu seine Texte mehrere Komponisten anregten
. Erst vom frühen 18. Jh. an dringen Gerhardts Lieder mehr und
mehr aus dem Bereich der häuslichen Frömmigkeit in den Gemeindegottesdienst
ein. Als Wegbereiter hat sich dabei das bahnbrechende
pietistische Gesangbuch von Freylinghausen (I. Aufl. 1704)
erwiesen.

In einem Band über die Geschichte der evangelischen Kirchenmusik
darf man die Würdigung zweier Namen in einer angemessenen
Breite erwarten: Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach. Blankenburg
untersucht die Frage, wie die geringe Bedeutung zu erklären
ist, die das evangelische Kirchenlied ganz offensichtlich in Schütz'
umfangreichem Werk gehabt hat. Das Kirchenlied ist die Stimme der
auf Gottes Wort antwortenden Gemeinde. Die cantus-firmus-Bear-
beitungen seit Johann Walter stehen im Dienste dieser Antwort.
Ganz anders hat Schütz seine Kompositionen angelegt: „Schütz betreibt
musikalische Wortausdeutung, musikalische Predigt. Er steht
in seinem Dienste nicht auf Seiten der Gemeinde, sondern auf Seiten
des Predigers" (107). Die enge Bindung Schützens an das Bibelwort
wird besonders in seinen Dialogkompositionen aufgewiesen. Schütz
gestaltet nicht (durch die Einbeziehung betrachtender Texte) einen
Dialog zwischen dem Christen und Gott, sondern er komponiert ausschließlich
den biblischen Dialog (bekanntestes Beispiel: Pharisäer
und Zöllner).

Schütz darf keineswegs nur als - wenn auch bedeutendster - Vorläufer
Bachs gewürdigt werden. Die Rückbesinnung der kirchenmusikalischen
Erneuerungsbewegung auf Schütz (um 1930) machte die
bleibende Nachwirkung des Sagittarius deutlich. Daß Schütz' Musik
trotzdem keine Bach vergleichbare Breitenwirkung erlangen konnte,
versucht Blankenburg dadurch zu erklären, daß „sein Werk im Vergleich
zum vitalen Bachschen viel zu vergeistigt meditativ" (124) sei,
eine Deutung, die man Blankenburg schwerlich wird abnehmen können
(der wenig später selbst darauf hinweist, daß „der leidenschaftliche
subjektive Zug, der sich durch das Werk Schützens zieht" [129],
für sein Schaffen wesentlich sei). - Seit der Reformation hat die evangelische
Kirche in der Spannung zwischen dem privaten und dem
öffentlichen Gottesdienst gelebt. Schütz' Werk läßt sich weithin nicht
in das de tempore des lutherischen Gottesdienstes einordnen. Seine
geistlichen Kompositionen haben offenbar meist einen individuellen
Anlaß, während Bachs geistliches opus ganz und gar für den Gemeindegottesdienst
geschaffen wurde. „Verschiedenheit bedeutet hier
alles andere als Gegensätzlichkeit, sondern vielmehr bereichernde
Mannigfaltigkeit, die ihre Bedeutung auch in Gegenwart und Zukunft
behalten muß" (1 32).

In seinem Vortrag über ,.J. S. Bach und die Aufklärung" aus dem
Bachjahr 1950 geht Blankenburg davon aus. daß Bach nachweislich
Leibniz' Schrift „Von der Weisheit" gekannt hat und daß die Miz-
lersche Sozietät, der Bach beitrat, starke Verbindungen zur Philosophie
der Aufklärer, speziell zu Leibniz' Schriften, hatte. Bachs Auffassung
, daß die Musik neben der Ehre Gottes auch die „Recreation
des Gemütes" als „Endursache" habe, wird zusammen mit dem bei
Bach besonders stark zu beobachtenden „Sinn für Regel und Gesetz"
(171) als Hinweis auf seine Nähe zum Gedankengut der Aufklärung
gesehen; Bachs besonders ausgeprägter Sinn für formale Ordnung
wird gedeutet „aus dem elementaren Gefühl für das naturhaft Geordnete
der beginnenden Aufklärung, aus jenem dieser Zeit so eigentümlichen
Sinn für die in der Schöpfung waltenden Gesetze" (170). Auch
wenn man bedenkt, daß die Frühzeit der Aufklärung noch nicht die
Auswüchse des Rationalismus aufweist, sollte man m. E. in der Zusammenschau
von Bach und Aufklärung noch vorsichtiger sein als

Blankenburg, der abschließend feststellt, daß „eine gewisse Zusammengehörigkeit
beider . . . sich nicht mehr übersehen" lasse, sofern
man sie „nur im rechten Lichte betrachtet" (!)(173).

„Die Romantik mit ihrer Liebe zu dem geistigen Erbe der eigenen
Nation" (222) war zweifellos eine der Triebkräfte zur Wiederentdek-
kung und -aufführung der Bachschen Matthäuspassion durch Felix
Mendeissohn-Bartholdy im Jahre 1829. Blankenburg weist nachdrücklich
daraufhin, daß man daneben auch den religiösen Neuaufbruch
der 1820er Jahre als entscheidenden Faktor für dieses epochemachende
Ereignis anzusehen habe. Gegenüber den oft stark abwertend
beurteilten Eigenwilligkeiten von Mendelssohns damaliger Bearbeitung
gibt Blankenburg zu bedenken: „Das Ziel der Originaltreue
ist jedoch aus äußeren und inneren Gründen unerreichbar. . . . Zwischen
Originaltreue und künstlerisch-existentieller Aneignung"
müsse „stets ein dialektisches Verhältnis bestehen, wenn anders wir
nicht dem Historismus verfallen wollen" (227) - eine These, über die
man heiß diskutieren könnte!

Einer der gewichtigsten Beiträge des Bandes scheint mir der Aufsatz
„Zur Geschichte des Kirchenkonzerts" zu sein, zumal es bis
heute an einer umfassenden Monographie hierzu mangelt. Die geschichtlichen
Stationen sollen hier nicht referiert werden, sondern
nur Blankenburgs Warnung vor einer Interpretation, die die „Emanzipierung
der Musik von ihrer überkommenen liturgisch-gottesdienstlichen
Bindung ... als eine Art permanenten Abfall" (252) zu
sehen geneigt ist. Seine eigene Position: „Die moderne
Musikentwicklung hat zu einer technischen Komplizierung geführt,
die für den Gemeindegottesdienst untauglich ist, an der die Kirche
aber dennoch nicht vorübergehen darf, falls sie nicht weltfremd werden
will. Hier bietet das Kirchenkonzert die wünschenswerten Möglichkeiten
bis hin zu Experimenten" (266).

Besonders weit ausgestrahlt hat der im Jahre 1953 in der Auseinandersetzung
mit Friedrich Buchholz geschriebene Aufsatz „Kann Singen
Verkündigung sein?"(auch als Sonderdruck erschienen), der zwar
heute nach fast drei Jahrzehnten nicht mehr die gleiche, durch die damalige
Kontroverse bedingte Brisanz hat, der aber dennoch als einer
der gewichtigsten Beiträge zu einer theologischen Positionsbestimmung
der Kirchenmusik, speziell des kirchlichen Singens, in unserem
Jahrhundert Gültigkeit behält. Blankenburg bekennt sich dazu, „daß
es einfach eine Verkennung des natürlichen, und d. h. des von Gott
gegebenen Wesens der Musik ist,. . . wenn ihre kerygmatische Bedeutung
geleugnet wird" (311). Gedanken dieser Art werden ergänzt
durch den Beitrag aus dem Jahre 1964 „Vom unaufgebbaren Platz
der Musik in der Theologie". Darin wird eine dreifache These aufgestellt
und erhärtet:.....daß die Musik zur Schöpfung Gottes gehört.

.. . daß sie ihrem ureigensten Wesen nach mit der Freude zusammenhängt
, . . . daß sie eine besondere Verbindung zur Sprache hat" (314).

Abschließend sei mit Dank vermerkt, daß es auch in sprachlicher
Hinsicht eine Wohltat ist, die Aufsätze dieses Bandes zu lesen.
Berlin Christoph Albrecht

Peil, Dietmar: Zur „angewandten Emblematik" in protestantischen
Erbauungsbüchern. Dilherr-Arndt-Francisci-Scriver. Heidelberg:
Winter 1978. 91 S„ 8 Taf. gr.8' = Beihefte zum Euphorion, 11. DM

24,-.

Wer meint, die Frage nonverbaler Verkündigung sei eine neue
Fragestellung, der sollte sich durch Einblick in die Geschichte der
Emblematik (= Sinnbildkunde) eines besseren belehren lassen. „Bey
dieser Zeit/ist fast kein Buch verkaufflich/ohne einen Kupfertitel/
welcher dem Leser desselben Inhalt nicht nur mit Worten/sondern
auch mit einem Gemähl vorbildet" (S. 90). So um 1650! Die gute Zusammenfassung
der Ergebnisse S. 86-91 zeigt sehr deutlich, wie stark
die Fragen heutigen Problemen gleichen: Sinnbilder als dem Wort
überlegene Lockmittel für das Evangelium, als bloße Illustration. als
Mittel, Kunst und Natur zur Andacht zu nutzen oder aber als Täuschungsmittel
.