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Ausgabe:

1981

Spalte:

191-192

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schlier, Heinrich

Titel/Untertitel:

Grundzüge einer Paulinischen Theologie 1981

Rezensent:

Kümmel, Werner Georg

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 3

192

ist der Vorwurf gegen A. Jülicher, seine These, die Gleichnisse seien
keine Allegorien, beruhe auf einem logischen Fehler, darum haltlos,
weil die Vfn. selber einen grundlegenden Denkfehler begeht. Weder
A. Jülicher noch irgendeiner der Forscher, die sich ihm darin angeschlossen
haben, hat je behauptet, daß die Gleichnisse Jesu nur eine
Bedeutungsebene hätten; sie haben vielmehr die Ansicht vertreten,
die Gleichnisse seien darum keine Allegorien, weil ihre Sachhälfte
ausschließlich wörtlich und nicht auch schon im übertragenen Sinne
zu verstehen sei (daß entgegen Jülichers Meinung in Jesu Gleichnissen
trotz ihres Gleichnischarakters Metaphern begegnen und daß Jülichers
These von dem ausschließlich einen Vergleichspunkt irrig ist,
haben, wie die Vfn. selber betont, schon vor ihr zahlreiche Forscher
eingewandt, ohne damit Jülichers Grundthese in Frage zu stellen).
Der Kunstgriff der Einführung des Begriffs „Tropus" dient der Vfn.
nur dazu, diesen Denkfehler zu verdecken, und da die Vfn. überhaupt
keine Exegese bietet, erfahrt der Leser nicht einmal, wie nun von der
angeblichen literarischen Entdeckung der Vfn. aus dieses oder jenes
Gleichnis im'Sinne Jesu richtig zu interpretieren sei. Was die Vfn. im
2. Teil ihres Buches dann über den behaupteten geheimnisvollen
Sinn des Spruches Mk 7,15 und die Wunderberichte in Mk 6 und 8
ausführt, ist für Mk 7,15 eindeutig falsch und für die Wunderberichte
, wie sie selbst zeigt, zum mindesten sehr umstritten ( auch ihr
gelingt es m. E. nicht, eine sichere Methode für die „redaktionsgeschichtliche
" Interpretation des Markusevangeliums zu entwickeln).
Da sie aber die Aussageabsicht von Mk 4,10-12 unzulässigerweise
über das Problem der Gleichnisrede hinaus ausdehnt, entbehrt ihre
ganze Untersuchung des Geheimnischarakters der von ihr behandelten
Markustexte überhaupt des exegetischen Bodens. Man kann eben,
obwohl die Vfn. das ausdrücklich als ihre Absicht erklärt (86), die
Frage des Geheimnischarakters der Gleichnisse Jesu im Sinne des
Markus nicht unter Absehen von dem Gesamtproblem des Messiasgeheimnisses
im Markusevangelium überzeugend beantworten. Da
die Vfn. weder für den literarischen Charakter der Gleichnisrede im
allgemeinen noch für die Ansicht des Markus vom „Geheimnis des
Gottesreichs" exegetisch begründete Lösungen vorzulegen imstande
war, ist leider aus diesem Buch für das Verständnis dieser beiden Fragen
nichts zu lernen.

Die Literaturbenutzung ist korrekt, aber auffällig unvollständig. Es fehlen
allein on den Gleichnisbüchern und -Aufsätzen der neuesten Zeit in englischer
Sprache Z. B. die Arbeiten von A. Wilder (1964), G. V. Jones (1964). R.
W. Funk (1966), E. J. Tinsley (1966), M. D. Goulder (1968), J. M. Robinson
(1968), W. J. Harnngton (1972), J. D. Crossan (1973), und daß aus älterer Zeit
J. K. Madsen, B. T. D. Smith und J. Dupont überhaupt nicht begegnen, ist
unbegreiflich.

Marburg (Lahn) Werner Georg Kümmel

Schlier, Heinrich: Grundzüge einer paulinischen Theologie. Freiburg-
Basel-Wien: Herder 1978. 223 S. 8'. geb. DM 36,-.

Heinrich Schlier, dessen wissenschaftliche Lebensarbeit in weitem
Umfang dem Verständnis des Paulus gegolten hat (sein Kommentar
zum Römerbrief erschien 1977), legt in diesem Band in „systematischer
Absicht" eine „Paulinische Theologie in ihren Grundzügen"
vor, die eine „gegenwärtige theologische Besinnung" darstellt, „die
ständig auf das Kerygma der paulinischen Briefe bezogen ist" (9).
D.h.. in dieser „aktualisierten Übersetzung" der „historischen Theologie
" des Paulus soll „Theologie aus unmittelbarem Bezug zur
Schrift" (12.14) geboten werden, weil „ein Durchbruch durch die
Sperrmauer antichristlichen Geistes" (19) dadurch notwendig ist, daß
das Wort der Schrift „wieder als gehörtes zu hören gegeben" wird,
damit „es wieder zu sagen anfängt" (23). Unter Heranziehung zahlreicher
paulinischer Texte werden darum in fünf Kapiteln folgende
Themen behandelt: Der Gott, der Gott ist; Die Welt, wie sie vorkommt
; Die Erscheinung der Gerechtigkeit Gottes in Jesus Christus;
Der Geist und das Evangelium: Der Glaube. Sch. setzt dabei, wie es
seinem Epheserkommentar entspricht, die paulinische Herkunft des

Epheserbriefes voraus und zitiert ihn gleichwertig mit den anderen
Paulusbriefen, während Texte aus den Pastoralbriefen nur ergänzend
angeführt werden. Die Einbeziehung des Epheserbriefs führt aber nur
bei der Behandlung des „Leibes Christi" (174ff) zu unpaulinischen
Aussagen, und nur einmal verleiten Zitate aus den Pastoralbriefen zu
dem Paulus fremden „Essenzurteilen" über Gott (320, doch wird dabei
ausdrücklich bemerkt: „der Apostel bzw. seine Schule". Im übrigen
handelt es sich bei diesem Buch um eine ausgezeichnete Darstellung
wesentlicher Teile der paulinischen Theologie, freilich in einer
nicht immer leichten und gelegentlich nur schwer verständlichen
Sprache (etwa: „Aus dem, was durch ihn [den einen, transzendenten
Gott] als Gewährtes ist, ruft nun auch aus der Geschichte dessen, was
ist. von Israel vorbereitet und noch im Dunkel liegend, dann aber in
dem einen Menschen Jesus, in dem er sich in seiner Person, Geschichte
, Eigentlichkeit und Endgültigkeit offenbart, nicht mehr aufhebbar
, nicht mehr revidierbar und infolgedessen auch geschichtlich
nicht mehr entrinnbar", 43f; „Welt ist als Raum verstanden, der sich
in die Zeit zeitigt, und als Zeit, die sich als Raum extemporiert", 56;
S. 1 13 Z. 13 fehlt offensichtlich das Verbum „zeigt"). Das Bemühen,
die paulinischen Aussagen hörbar zu machen, bewirkt, daß die Abschnitte
, die direkt von der konkreten Bedeutung der Gottes- und
Christusbotschaft für den Menschen handeln, besonders überzeugend
gelungen sind (etwa das Verhältnis von Gesetz und Sünde, 87-90; das
Verhältnis des geschichtlichen zum geschöpflichen Menschen im Anschluß
an Rom 7,Uff, S. 114-118; die Auswirkung von Kreuz und
Auferstehung Jesu Christi als Rechtfertigung, als Zuteilung von Weisheit
, als Heilung und Leben, 169-173; derGlaube als Hören und Gehorsam
, 217-220). Auch sonst finden sich neben vielen richtigen,
aber geläufigen Interpretationen manche wichtige, aber nicht selbstverständliche
exegetische Feststellungen: die Sünde „kommt so mit
dem Vollzug des menschlichen Daseins vor, daß der Mensch sich
ständig für sie entscheidet und eben in seiner Entscheidung-sofern er
Christ ist und jenen Augenblick des neuen Ursprungs erfahren hat -
sie wiederum herrschen läßt", 69; „Das immer vom Menschen kraft
der ihn beherrschenden Sünde von vornherein zur Evokation seiner
Eigenmächtigkeit und Selbstherrlichkeit mißbrauchte Gesetz ist mit
Christus beendet.... nicht das Gesetz überhaupt", 92; „Jenes historisch
kontingente und dazu scheiternde Ereignis des Todes Jesu Christi
kann ein alle Menschen aller Zeiten betreffendes Heilsereignis
sein . . . durch die Auferweckung des am Kreuz gestorbenen Jesus
Christus von den Toten und seine Erhöhung zu Gott... Das ist
jedenfalls ein neues Handeln Gottes, das den Gott und den Menschen
bis in den Tod gehorsam hingegebenen Jesus Christus betrifft...
.Weiterereignung des Kerygmas Jesu' trifft dabei im Sinn des Paulus
nicht den Sachverhalt, denn es geht nicht um Jesu Verkündigung,
sondern um seine Person, die als die erhöhte ... in die Verkündigung
eingeht", 141.147: „Das vom Apostel verkündigte Evangelium ist
das Wort, das Christus spricht und in dem Gott ruft", 206. Es ist
Schlier darum gelungen, dem vorgebildeten Leser (das Buch ist für
Nichttheologen nur in beschränktem Maße geeignet) zu einer lebendigen
Begegnung mit den wesentlichen Gedanken des Paulus zu führen
.

Freilich wundert sich der informierte Leser immer wieder, daß
ganze Bereiche der paulinischen Verkündigung fehlen. Erst auf der
letzten Seite erfährt er, was weder das Titelblatt noch die „Vorüberlegung
" verraten, daß .jetzt davon zu sprechen wäre, daß der Glaube in
der Liebe am Werke ist und sich zur HofTnung aufschwingt", daß in
weiteren Kapiteln über Taufe und Herrenmahl, über Kirche und
Eschatologie zu handeln wäre: „Aber das müssen wir in einem Teil 0
unserer Abhandlung darstellen." Der Wunsch des Lesers, daß dieser
2. Teil auch noch erscheinen möge, wird sich freilich leider nicht erfüllen
, da sich im Nachlaß von H. Schlier (t 26. 12. 1978, nach Abfassung
vorliegender Rezension), wie mir der Verlag mitteilt, kein
ausreichendes Manuskript gefunden hat.

Marburg Werner Georg Kümmel