Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1980

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

135

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 2

13«;

An einem Beispiel seien nieine Vorbehalte ausführlich verdeutlicht
, der Interpretation von Paul Celans „Tenebrae" (78-84).
C. macht Henning Schröer, der in seinem bekannten Buch, über
moderne Literatur in Predigt und Religionsunterricht dieses Celan
-Gedicht ebenfalls aufgreift, den Vorwurf, daß er 1. nicht sauber
genug exegetisch arbeite, 2. die theologische Relevanz des Textes
nicht erkenne und 3. „die sprachschöpferische Würdigung von
Porm und Gitterstruktur'' übersehe (C. meint natürlich: die sprachschöpferische
Bedeutung). Nun ist zunächst festzustellen, daß C.
(auf iS. 821) seine Polemik an einen Satz Sehröers anschließt, den
er, wie spätestens die Kontrolle am Kontext des betreffenden Abschnitts
bei Schröer zeigt, völlig mißverstanden hat. Schröer bewertet
den Celan-Text gerade nicht „abschätzig" und behauptet
gerade nicht, „hier werde nur jesulogisch gedichtet". Er ist im
Gegenteil durch die Öffnung dieser Dichtung ins Christologische
stark berührt und führt sie seinerseits gegen jesulogische Tendenzen
ins Peld. Im übrigen möchte ich mich nicht zum Verteidiger
der Schröerschen Interpretation machen, sondern C. an seinem
eigenen Anspruch messen.

Arbeitet er „exegetisch sauber"? Ich muß es bestreiten. Um Celans
Dichtung im Pormalen zu erschließen, greift er zur Kategorie
der „Gitterstruktur": „Tenebrae" stehe im Band „Sprachgitter",
und der Dichter versuche, wie es auch in diesem Gedicht sichtbar
werde, „seine Gedanken in die Porm einer Gitterstruktur zu bringen
, die Worte gewissermaßen in ein Gitterwerk zu montieren"
(81). Von hier an geistert die „Gitterstruktur" durch das ganze
Buch. Aber wo gesagt werden soll, was es damit auf sich hat,
kommt nichts zutage, was gerade für Celan spezifisch wäre und
seinen kennzeichnenden Unterschied zu anderen lyrischen Zeitgenossen
ausmachte. Das ist auch gar nicht verwunderlich. Denn
der Titel „Sprachgitter" ist zunächst selber Gedichtüberschrift
und erst von dorther über den ganzen Band gesetzt. Das so über-
schriebene Gedicht gilt aber dem Verbanntsein hinter die Gitter
der Sprache - dem Verlust der Nähe also, dem Schweigen. Bei
„Sprachgitter" vor allem auf eine spezifische lyrische Machart abzuheben
, ist abwegig!

Und noch etwas zur „theologischen Relevanz". Als „jüdischer
Gläubiger" habe Celan sein Leben beendet, wagt C. zu sagen (80).
Um so verwunderlicher, daß er den folgenden Sachverhalt nicht
näher befragt: Elf von den 22 Zeilen des Gedichtes „Tenebrae"
enden mit der Anrede „Herr". Sollte es wirklich das Nächstliegende
sein, im Angeredeten eine Christusgestalt zu sehen? Müssen wir
nicht zuerst versuchen, mit der Anrede an Gott auszukommen?
Das ergäbe für „Es war Blut, es war, / was du vergossen, Herr" die
Aussage, Gott habe getötet. Und für die Portsetzung - „Es glänzte
. //Es warf uns dein Bild in die Augen, Herr. / Augen und Mund
stehn so offen und leer, Herr. // Wir haben getrunken, Herr. / Das
Blut und das Bild, das im Blut war, Herr" - bedeutet es, daß auf
Gen 2,27 zurückzugreifen wäre, mit der Konsequenz: Gott hat den
Redenden ihr eigenes Blut zu trinken gegeben. - Assoziationen in
Richtung auf das Kreuz Jesu und das Abendmahl sind damit nicht
abgewiesen. Die Polyvalenz der Wörter und Wendungen ist in
einem solchen Sprachwerk ja selbstverständlich. Aber das Gedicht
wäre, so gelesen, noch härter und in literaturtheologischer Hinsicht
noch herausfordernder.

Die letzten Seiten füllt ein umfangreiches Literaturverzeichnis
(151-164); Wegen der zahlreichen Titel zur Literaturinterpretation
hat es für den Theologen besonderen Wert.

Peterahagen bei Berlin Jürgen Henkys

Baltruweit, Pritz: Das geistliche Chanson als Medium der Verkündigung
(MuK 49, 1979 S. 177-182).

Beckmann, Heinz: Eine singulare Erscheinung. Wie können wir
heute R.A. Schröder begegnen? (LM 17, 1978 S. 19-21).

Borchers, Klaus: Mythos und Gnosis im Werk Thomas Manns
(Theol. Diss., Göttingen 1978).

Merten, Werner: Die Musik in der Kirche unserer Zeit (Luther 50,
1979 S. 76-87).

Scholz, Frithard: Moser peceavi? Ein Echo, abgehört (EvTh 38,
1978 S. 147-155).

Philosophie, Religionsphilosophie

Hofmeister, Heimo: Wahrheit und Glaube. Interpretation und Kritik
der sprachanaiytischen Theorie der Religion. Wien - München
: Oldenbourg 1978. 320 S. 8° = Überlieferung und Aufgabe,
XV. Kart. DM 43,-.

Die vorliegende Arbeit will die Porschungslage der sprachanalytischen
Religionsphilosophie thematisieren: Leistet diese eine Wissenschaftstheorie
der Religion, mittels derer die Wahrheit von religiösen
Aussagen nachgeprüft werden kann?

Im orientierenden 1. Kap. wird die Genesis der sprachanalytischen
Religionsphilosophie gezeigt als Abwendung von der positivistischen
Abwertung religiöser Aussagen im Wiener Kreis, beim
frühen Wittgenstein des Traktates und in Carnaps „Logischer Syntax
der Sprache" und als Hinwendung zur Analyse der konkreten
Alltagssprache. Anstoß hierzu gab Wittgensteins spätere Beschäftigung
mit den Sprachspielen unserer Alltagssprache als Aufhebung
des linguistischen Vetos zur Beschäftigung mit religiösen
Aussagen (19ff). - Im 2. Kap. wird an Hand von Plews Gärtnerparabel
der religiöse Sprachgebrauch kritisch betrachtet: Wie lassen
sich religiöse Aussagen von anderen Aussagearten abgrenzen
(69ff)? - Und in den 3 folgenden Kapiteln werden dann die drei
Hauptrichtungen analytischer Theorie der Religion kritisch referiert
: (1) die positivistisch-emotive Theorie als Ablehnung jeglicher
Kognitivität von religiösen Aussagen. Wahrheit gehört zum Wissen
, Glaube und Religion gehören zum Gefühl: Glaube ohne Wahrheit
(112ff). Der Sinngehalt religiöser Aussagen läßt sich niemals
kognitiv, sondern einzig praktisch, nämlich in einer persönlichen
(Glaubens-) Entscheidung begründet verstehen (Hare). Der eigene
Standpunkt aber hat in der wissenschaftlichen Analyse nichts zu
suchen, so daß umgekehrt Sprache nur in der deskriptiven Darstellungsfunktion
erscheint. Theologie ist hier zur Ethik geworden
(P. van Buren). - (2) Die analytische Verstehenstheorie schließt
bei der Sprachspiel-Theorie des späten Wittgenstein an und vermag
den kognitiven Charakter religiöser Aussagen anzuerkennen.
Deren Wahrheitsfähigkeit und Geltungsanspruch ist mit ihrer
Verständlichkeit innerhalb des betreffenden Sprachspielkontextes
gegeben. Glaube wird zur Wahrheit, indem er sich als Sprachspiel
vollzieht, dessen Konstitution freilich kritischem Nachfragen entzogen
bleibt (150ff). - (3) Die sprachanalytische Wahlheitstheorie
nimmt Anliegen aus Wittgensteins Traktat und den Philosophischen
Untersuchungen auf, macht den kognitiven Charakter religiöser
Aussagen mit der Verstehenstheorie geltend, verlangt dann
aber über die Verständlichkeit hinausgehende Verifikationsmög-
lichkeiten. Gleichzeitig wird gesagt, daß religiöse Aussagen sich
von Aussagen, die auf wissenschaftliches Wissen gegründet sind,
strukturmäßig unterscheiden, so daß so etwas wie eine religiöse
Verifikationsmöglichkeit angegeben werden muß. Glaube und
Wahrheit sind nicht alternativisch (so unter 1), auch nicht identisch
(so unter 2), sondern auf der logischen Ebene strukturell
gleich, aber im Blick auf die psychologisch-subjektive Ebene strukturell
verschieden zu verstehen (200ff).

Vf. versucht zu zeigen, daß die sprachanalytische Religionsphilosophie
von ihren Anfängen im Positivismus eine Entwicklung
durchgemacht hat hin zur Entdeckung religiöser Aussagen und
ihrer Subjekte. So hatte schon die emotive Theorie den Entscheidungscharakter
betont , aber eben auf Kosten der Kognitivität religiöser
Aussagen. In der Verstehenstheorie wird die Kognitivität
oder Verständlichkeit religiöser Aussagen durch das Analogieprinzip
gesichert; aber diese analogia linguae läßt sich eben nur
innerreligiös anwenden, weil die Analogizität bzw. Verschiedenheit
religiöser und anderer Aussagen ontologisch nicht geklärt ist. In
der Wahrheitstheorie, etwa der eschatologischen Verifikation bei
Hick, schafft der Glaube erst die Möglichkeit der Verifikation religiöser
Sätze, so daß zwar das Sprachsubjekt in die Sinnbestimmung
religiöser Aussagen einbezogen ist, dies aber in Porm eines
religiösen Zirkels.

Man hätte sich-gut informiert und in die Debatte eingeführt -
abschließend gewünscht, daß Vf. auf Peukerts Beitrag zur Theologie
als einer fundamentalen Theorie in kommunikations-, gesell-
schafts- und geschichtstheoretischer Hinsicht eingegangen wäre.