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Ausgabe:

1980

Spalte:

131-133

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Oetinger, Friedrich Christoph

Titel/Untertitel:

Die Lehrtafel der Prinzessin Antonia 1980

Rezensent:

Schicketanz, Peter

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Theologisohe Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 2

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abschließende Betrachtung unter der Überschrift „Einig in der
Rechtfertigungslehre?" (113-116) setzt ein mit einigen Voten zum
kontroverstheologischen Disput, wie ihn Hans Küngs Opus zu
Karl Barth inaugurierte, geht dann zur innerprotestantischen
Kontroverse um den theologischen Stellenwert der Rechtfertigung
über und schließt mit einer Beschwörung der „heilsamen Freiheit"
in den gesellschaftlichen Zwängen unserer technischen Zivilisation.
Die zusammenraffende These lautet: „Ein unaufgebbares evangelisches
Erbe liegt darin, auf das erbarmende Handeln Gottes an
dem hinzuweisen, der darauf ganz und gar angewiesen ist: der
Mensch" (116).

Auf derart eingegrenztem Raum konnte der Vf. lediglich plakative
Skizzen bieten; deshalb ließen sich zu jedem Abschnitt kritische
Anfragen formulieren. Das Studienbuch möchte ja auch zur
kritischen Rezeption anregen. Aus meiner Beschäftigung mit dem
Gesamtthema heraus möchte ich nur auf einiges Grundlegende
hinweisen:

(1) Die reformatorische Rechtfertigungsbotschaft knüpft nicht
lediglich an die paulinische Sicht der „Gerechtigkeit Gottes" an,
sie ist viel breiter im Alten Testament, vor allem in den Texten zum
Rechtsstreit des Gottesfürchtigen mit seinen Gegnern vor Gott,
verwurzelt, sie orientiert sich im Neuen Testament an den Himmelreichsgleichnissen
Jesu, an den Antithesen der Bergpredigt und an
den schroffen Formulierungen des 1. Johannesbriefes. (2) Die Konzentration
auf die Lehrgestalt der Rechtfertigung übersieht dio
kontroverse Anknüpfung an die mittelalterliche Beichtpraxis, an
die Bußpredigt sowie an dieTexte der offenen Schuld. (3) Die streng
futurisch-eschatologische Ausrichtung des biblischen Gesamtzeugnisses
auf den letztgültigen Einbruch der Gottesherrsehaft sowie
dessen reformatorische Erneuerung in der beharrlichen Zuflucht
aus dem Gericht nach den Werken unter die Errettung durch den
Richter selber ist kaum irgendwo angesprochen, geschweige denn
reflex durchdacht. (4) Die Einbindung der Rechtfertigung in das
trinitarische Schöpfer-, Erlöser- und Neuschöpferwirken Gottes des
Vaters durch den Sohn im Heiligen Geist tritt zurück; so wird auch
der schon in der Reformation latent vorhandene, erst in der Aufklärung
voll durchgeführte Versuch einer Transposition auf die
anthropologische Notwendigkeit, unser Leben trotz allen Aufbegehrens
irgendwie anzunehmen, in seiner existentialen Notwendigkeit
wie theologischen Kurzschlüssigkeit nicht klar durchdacht.

Heidelberg Albrecht Peters

Oetinger, Friedrich Christoph: Die Lehrtafel der Prinzessin Antonia,

hrsg. v. R. Breymayer u. F. Häußermarm. 1: Text. XV, 266 S.,
6 Taf. 2: Anmerkungen. XXIII, 633 S. Berlin - New York: de
Gruyter 1977. gr. 8° = Texte zur Geschichte des Pietismus.
Abt. VII: Friedrich Christoph Oetinger, 1. Lw. DM 280,-.

Nach der Herausgabe „Sämmtlicher Schriften" Oetingers 1858
bis 1864 durch K. Ch. E. Ehmann wird die Forschung mit dieser
Edition erstmals auf eine gründliche, allen wissenschaftlichen Erfordernissen
gerecht werdende Basis gestellt. Die Überlegenheit
wissenschaftlich kommentierender Editionsarbeit gegenüber ebenfalls
teuren - wenn auch schnelleren - Reprintausgaben wird eindrücklich
bewiesen.

In der Dreifaltigkeitskirche zu Bad Teinach im Schwarzwald
steht auch heute noch ein 2,83 mal 2,26 m großes Tafelbild. Entworfen
hat es die Prinzessin/Herzogin Antonia von Württemberg
(1613-1679), gemalt hat es der Hofmaler Gruber 1659-1663. Im
Zentrum des sehr reichhaltigen Bildes steht Christus. Im oberen
Hintergrund wird ein riesiger Renaissance-Kuppelbau dargestellt,
der das Haus des Alten Testamentes symbolisiert. In der Mitte ist
das geöffnete Allerheiligste dargestellt. Im unteren Teil und damit
im Vordergrund ist der Garten des Neuen Testamentes als große
Rosette zu sehen. In ihrer Mitte steht wiederum Christus mit dem
Kreuz in der Hand. Überall sind nun eine Fülle von weiteren Gestalten
und Symbolen wohlgeordnet zu sehen. So stehen z. B. die
12 Apostel im alttestamentlichen Teil, während die 12 Patriarchen
im neutestamentlichen Garten stehen, geschmückt mit Edelsteinen
. Hebräische Aufschriften rings um das Bild machen es nur dem
Kenner zugänglich. Grundidee dieser kabbalistischen Lehrtafel ist,

die zehn Abglänze Gottes (Sephirot) als „Quelle aller Arten und
Geschlechter" darzustellen. Das Bild, am Ende von Band 1 der
Edition beigegeben, bedarf weiterer kunsthistorischer Erforschung
(2, XV). Es reizt zur Meditation und Spekulation. Die große Zusammenschau
Gottes in der Schöpfung (als Natur und Geschichte
verstanden) stellt auch uns die Frage nach dem, was die Welt zusammenhält
. Wen wundert es, daß der hochgelehrte Polyhistor
und Theologe Oetinger (1702-1782) einhundert Jahre danach
(1763) anhand dieser Tafel ein Kaleidoskop seiner emblematischen
Theologie oder mystischen Philosophie vorlegt? Ein Redaktor zur
Zeit Oetingers urteilt freilich - und so kann man es eben auch sagen
: „Ein Chaos von allerlei, absonderlich auch kabbalistisches
Zeug." (1, 11). Ehmann hatte bereits festgestellt: „Dieses Buch,
was viel mehr enthält, als auf dem Titel steht." Die Lehrtafel der
Prinzessin ist nur Anlaß des Buches, der Inhalt ist viel reicher.
Schon rein formal haben wir es mit einer Sammlung sehr verschiedener
literarischer Möglichkeiten zu tun: Kunstwerkerläuterung,
Brief, philosophischer Essay, Exzerpt, Konkordanz, Predigt,
Quellenedition. Neben der knappen Zusammenfassung des Buches
durch Oetinger selbst (1, 264 f) hat der eine Hrsg., Häußermann,
eine ausgezeichnete kommentierende Übersicht über den Inhalt
gegeben (1, 51-77).

Ich gebe eine sehr knappe Ubersicht des Inhalts: Zunächst gibt
es eine einleitende Dedikation an die Badegäste von Bad Teinach
und Bad Wildbad. Es folgt ein Briefwechsel mit J. F. Klemm über
die Lehrtafel selbst. Eine erste theologische Abhandlung über die
Wunderkraft Gottes in den Wasserquellen - diese werden als sichtbare
Abbildungen der Kräfte Gottes angesehen — zeigt bereits
Oetingers umfassendes Zusammendenken von naturwissenschaftlichen
Erfahrungen und ihrer philosophisch-theologischen Durchdringung
. Anhand einer Übersetzung aus dem Sohar wird eine
breitere Darstellung der hebräischen Philosophie gegeben. Dieser
Ausgangspunkt wird dann ins Gespräch gebracht zunächst mit
Theologen wie Zinzendorf und Spener, dann mit Philosophen
(Boehme, Newton, Malebranche, Leibniz, Wolff, Detlev Clüver.
Ploucquet, Swedenborg, Baglivi, Friedrich II. von Preußen). Mit
den „metaphysischen Erwägungen über das Kabbalistische System
, woraus die 10 Ausflüsse Gottes begreiflicher werden" (1, 210
bis 236), zeigt sich Oetinger am deutlichsten. Es folgt eine teilweise
kommentierte konkordanzartige Auflistung biblischer Stellen über
Geist, Herrlichkeit, Leben und Kraft, Licht und Finsternis. Eine
Abhandlung über die Sündo, eine über das Salz in der Bibel, eine
Predigt über Joh 14,23 wirken bereits mehr als Anhang. Eine als
Quellenwiedergabe ausgewiesene Übersetzung der ursprünglich
hebräischen Erklärung der Prinzessin Antonia zu den 10 Sephirot
bildet am Schluß die Rückkehr zu der Lehrtafel in Teinach.

Anlaß, Titel, Durchführung und Sprache haben diesem Werk in
seiner Vielschichtigkeit nie eine breitere Wirksamkeit verschafft.
Das wird auch heute kaum anders sein. Es darf aber nicht übersehen
werden, daß sich eine Fülle von geistlich-theologischen Entdeckungen
machen lassen. Angesichts der Zersplitterung der Wissenschaften
und der Aufspaltung der Theologie in ihre Disziplinen
in unserem Jahrhundert verschlägt einem der Mut und das Wissen
Oetingers, eine Gesamtschau der Dinge zu wagen, den Atem. Seine
Auseinandersetzung mit dem Idealismus - genauer der Monadenlehre
von Leibniz - macht auch uns nachdenklich. „Was ist aber
der Idealismus? Ein Pferdscheuer Schrecken vor dem Materialismus
." (1, 136). Die Wurzeln des Idealismus sieht Oetinger in der
Gnosis von Kerinth. Christus sei aber nicht nur Geist, sondern
auch Blut und Wasser (1 Joh 5,6). Materia, Natura wird nicht dem
Selbstlauf überlassen, sondern konsequent mit Gottes Zielen in der
Welt zusammengedacht, ohne Gott aus der Natur beweisen zu
wollon. Oetingers zeitgemäßes naturwissenschaftliches Wissen ist
erstaunlich. Es hat keinen Selbstzweck, sondern wird wie die Philosophie
in den Dienst der Schriftauslegung gestellt. „Die gantze
Philosophie ist wenig nutz, wo sie nicht wie ein Schlüssel in das
Schloß Heiliger Schrift hinein paßt und dem Geist die Hand bietet
." (1, 265).

Die 184 Seiten der Lehrtafel sind eine Fundgrube für das Denken
jener Zeit. Die restlichen 750 Seiten dieser beiden Bände sind ein
gewaltiger Schatz bibliographischer und biographischer Angaben,
sowie kommentierender Kleinabhandlungen. Geleitwort, Vorworte
, Einführungen, Ausblicke zur Weiterarbeit, Anmerkungen,