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Ausgabe:

1980

Spalte:

128-129

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Schwarz, Reinhard

Titel/Untertitel:

Die apokalyptische Theologie Thomas Müntzers und der Taboriten 1980

Rezensent:

Müller, Michael

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 2

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Schriften unterschieden sich stark von den spanischen Artikeln.
An dieser Stelle macht der Vf. auch deutlich, welche Gegensätze
noch auszutragen waren und welche .Spannungen unter den Konzilsvätern
bestanden. Der Einfloß der großen Mächte vermehrte
die Komplikationen. Frankreichs Reformbestrebungen gingen weiter
als die des Kaisers. Ja, Frankreich erstrebte sogar einen neuen
Anfang, da es den früheren Ablauf als „Scheinkonzil" ansah.

Es ist dankenswert, daß der Vf. die damaligen Vorgänge durch
Beispiele vom 2.Vatikanum verdeutlicht. Dabei würdigt er die
schwere Rolle der Legaten, die den Widerspruch gegen frühere Beschlüsse
unter allen Umständen beheben mußten. Von besonderem
Interesse ist die Behandlung des vom Konvertiten Friedrich Sta-
phylus verfaßten kaiserlichen Reformlibells. Wie sehr die Lage sich
geändert hatte, wird daran deutlich, daß Ferdinands Verlangen
nach dem Laienkelch nunmehr mit großer Mehrheit abgelehnt
wurde.

Bei der Darstellung des Messe-Dekrets kann .ledin seine These
bekräftigen, daß es das wichtigste Stück des Tiidentinum, „die'
Mitte des Gegensatzes zum Protestantismus" sei, wichtiger daher
als die Behandlung der Rechtfertigungslehre. Aus diesem Grunde
geht er auf dieses Dekret besonders ausführlich ein.

Bemerkenswerterweise löste die Behandlung des Sakraments des
ordo durch die verschiedenen Voten wiederum eine Krise aus, die
nur durch einen Kompromiß behoben werden konnte. Die Diskussion
währte länger als einen Monat. Die Reform des Klerus, die
seither weder Papst noch Konzil anzupacken wagten, wurde doch
erörtert. Aber schon die inhaltliche Bestimmung des Bisehofsamtes
mußte viele verstimmen. Jedin unterstreicht, daß Frankreich die
Reformforderung als einzigen Weg bezeichnete, das Land zur Ruhe
zu bringen, und ihr aus diesem Grunde so großes Gewicht beimaß.
Nicht geringere Schwierigkeiten kamen beim Ehesakrament zur
Sprache. Hier hätte das Kirchenverständnis geklärt werden müssen
. Dieses konnte aber nicht geschehen, ohne daß die Frage Papst
und Konzil berührt wurde.

Die Aufgabe des Historikers ist schwer und verantwortlich, wenn
er bei einer Fülle divergierender Meinungen eine klare Sicht vermitteln
muß. Hemmungen von politischer Seite vermochten die
Fortführung des Konzils nicht zu gefährden; sie brachten nur
Unterbrechungen. Der konzilserfahrene Präsident Morone überblickte
die vorhandenen Kräfte und Erscheinungen nur zu gut.
Jedin gesteht, daß der Papst bisweilen keine ganz ehrliche Politik
führte und Frankreich gegenüber immer fürchtete, daß es doch
dem Calvinismus verfallen könnte. Andererseits hebt er hervor,
daß Morone mit fester Hand dem Abschluß des Konzils zusteuerte.
Kr konnte daher dem Kaiser eine Zusammenkunft mit dem Papst
in Bologna vorschlagen und ließ anklingen, daß dieser ihn dort
krönen würde. Nach Jedin war es ein sonderbarer Zustand, daß das
Konzil zum Objekt der Politik geworden war. Rätselhaft war in
jedem Fall das Verhalten des Kardinals von Lothringen. Ks bleibt
zu fragen, ob bei ihm ein fester Plan vorlag. Das Konzil sollte abgeschlossen
werden, obwohl die Reformwünsche der großen Mächte
noch nicht befriedigt waren. Mit Bedauern stellt der Vf. fest, daß
die Stimmo Deutschlands bei diesen Erörterungen fehlte. Die Sessionen
24 und 25 zeigen einen gewaltsamen Schluß. Es folgt ein
Bericht über die Abschlußarbeiten. Die Wirkungsgesehichte gehört
nicht mehr hierher.

Wir haben den Inhalt dieses Werkes verhältnismäßig eingehend
wiedergegeben, da es viele neue Ergebnisse und Präzisierungen gebracht
hat. Jedin hat alle wichtigen Archive (bis auf einige spanische
) aufgesucht. Auf einige meinte er verzichten zu können,wenn
er das Werk selbst abschließen wollte. Abgesehen davon, daß die
politischen Archive immer nur wenige unterschiedliche Dokumente
enthalten, ist die Basis bei ihm so gut gesichert, daß die Darstellung
ganz einwandfrei erscheint. Lediglich in der Deutung können
unterschiedliche Meinungen auftreten. Keins der alten Werke über
das Konzil von Trient ist auf so festem Fundament errichtet worden
. Es ist auch nicht anzunehmen, daß ein anderer Forscher so
bald wieder sein Lebenswerk diesem Thema widmen wird. Jedins
Werk bleibt sicher auf lange Zeit ein durch Weitblick und kritische
Haltung ausgezeichnetes Zeugnis der modernen kinhengesehicht-
lichen Forschung.

Münster Hebert Stuppnrich

Schwarz, Reinhard: Die apokalyptische Theologie Thomas Müntzers
und der Taboriten. Tübingen: Mohr [1977]. VI, 142 S. 8
Beiträge zur historischen Theologie. 55. Kart. DM 29,-.

Das Ergebnis der vorliegenden Arbeit kann aufs kürzeste mit
dem Satz wiedergegeben werden: Müntzer (M.) war Chiliast. Der
Begriff" Chiliasmus ist für S. der Schlüsselbegriff, von dem her er
M.s Denken und Handeln versteht. Von Chiliasmus bei M. zu reden,
sieht sich S. dadurch berechtigt, daß M. eine von allem Bösen total
gereinigte Christenheit anstrebt und in jenen erregten Jahren der
Reformation den Zeitpunkt erkennt, an dem Gott diese reine Christenheit
errichten will. S. spricht darum bei M. von einem „reformatorischen
Chiliasmus oder einem chiliastischen Reformationswillen
" (84). Welche Bedeutung für das Verstehen des ganzen M.s
sich daraus ergibt, wird in sechs Kapiteln unter Zuhilfenahme zahlreicher
Vergleiche, vor allem mit den Taboriten, dargestellt.

I. Die unvermittelte Geistbelehrung: Den Zustand der Belehrung
der ganzen Christenheit durch Gott allein, den M. anstrebt,
nennt S. „eine ehiliastischc Verwirklichung der Gottesherrschaft"
(12). Die Apostel waren einzelne Zeugen für die unvermittelte Belehrung
durch den Geist. Im Augenblick sind einzelne Auserwählte
solche Zeugen, die jetzt die Bedingungen für eine universale, unvermittelte
Gottoserkenntnis schaffen sollen.

II. Erwählte Nachkommenschaft: M. erwartet von der zukünftigen
Kirche, daß ihre Glieder wissen, „wann sie ihre Ehepflicht zu
erfüllen haben, um eine ,erwählte Nachkommenschaft' zu zeugen"
(41). Das geschieht, indem der heilige Geist die Herrschaft über die
sinnlichen Begierden gewinnt. Die von M. erwartete proles electa
setzt S. mit der augustinischen proles diligenda gleich, die ohne den
Sündenfall entstanden wäre. Die erwählte Nachkommenschaft, aus
der die künftige Kirche bestehen soll, wird also bei M. im Stande
der ursprünglichen Sündlosigkeit vorgestellt.

III. Die Erwartung guter Tage: S. bezieht sich auf eine Äußerung
M.s, wo er den Auserwählten nach dem schmerzvollen Losreißen
von der Welt „gute Tage" verspricht, wie sie bei Johannes,
Elia und Henoch angezeigt sind. Es müsse sich hierbei um die
Wiederherstellung des Zustandes der Unschuld vor dem Fall han-
doln, schließt S., da nach mittelalterlicher Vorstellung jene drei in
den paradisus terrestris entrückt worden sind, was bei ihnen den
status innocentiae voraussetzte.

IV. Die Reinigung der Christenheit: Um diesen Zustand herzustellen
, muß die Christenheit von allem Bösen gereinigt werden.
Das geschieht im Durchsetzen dos Gesetzes Gottes. In den Auserwählten
setzt sich das Gesetz iin Herzen durch. Der Gottlose aber
widersetzt sich dem Gesetz, indem er sich nicht vom Kreatürlichen
löst. Er hindert damit überhaupt die alleinige Herrschaft des Gotteswillens
und muß darum beseitigt werden.

V. Die Herrschaft des Gottesvolkes: In der Bauernerhebung
1525 sieht M. don Beginn des endzeitlichen Geschehens, daß Christus
die Herrschaft seinen Auserwählten geben will, bzw. selbst die
Herrschaft antritt, indem er, das ewige Gotteswort, sich unvermittelt
den Auserwählten mitteilt, die dann wiederum den unwandelbaren
Gotteswilien vollstrecken und keinen Gottlosen mehr regieren
lassen. S. behauptet, daß sowohl bei M. als auch bei den Taboriten
die Übernahme der Herrschaft durch die Erwählten auf eine
Wiederherstellung der Herrschaftsverhältnisse des Urstandes hinausläuft
. Das hat soziale Konsequenzen: Keine Gewaltherrschaft
mehr und statt privater Besitzansprüche gemeinsamer Besitz aller
Menschen an den Kreaturen.

VI. Rückkehr des Menschen in das ursprüngliche Verhältnis zu
Gott und den Kreaturen: Hier behandelt S. den Begriff „Ordnung
". Es geht M. um die Wiedergewinnung der Ordnung nach
Gen 1. S. interpretiert M. so, daß es diesem um die Verwirklichung
eines doppelten Besitzverhältnisses zu tun sei: Einerseits soll der
Besitzer des Menschen allein Gott sein, andererseits soll der Mensch
Besitzer über die Kreaturen sein. Wenn die Kreaturen den Menschen
besitzen, ist die Ordnung gestört. Die Aufrichtung dieser ursprünglichen
Besitzverhältnisse „begründet ein umfassendes Besitz
- und Herrschaftsverhältnis der Auserwählten über den Erdkreis
" (121). Das ist M.s Zielvorstcllung ..der chiliastischen Heilsverwirklichung
" (122).

Von dieser Zielvorstellung hei- wird die Interpretation M.s von S.
konsequent durchgeführt, aber ohne gewaltsam zu wirken. Ver-