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Ausgabe:

1980

Spalte:

124-127

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Frankreich u. d. neue Anfang in Trient bis zum Tode der Legaten Gonzaga und Seripando 1980

Rezensent:

Stupperich, Robert

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 2

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organologische Begründung der Universalmonarchie durch Dante"
(211-222). Christliche Gedanken spielen dabei auch eine Rolle;
doch primär will Dante zeigen, daß der Kaiser seine Macht direkt
von Gott hat. „Indem Dante die Prinzipien der organologischen
Staatsauffassung, welche von Aristoteles ursprünglich für den Bereich
der polis entwickelt worden waren, in konsequenter Weise auf
die universelle Gemeinschaft der humana civilitas überträgt, gelingt
es ihm, die Unabhängigkeit einer die gesamte Menschheit umfassenden
weltlichen Regierung neben dem universellen Verband
der Kirche zu begründen" (220/221). Einen entgegengesetzten
Standpunkt trug der schon genannte Dominikaner Tolomeo von
Lucea vor: Die kaiserliche Gewalt hängt vom Papst ab; der von
den Kurfürsten gewählte Rudolf von Habsburg kann ohne päpstliche
Krönung nicht amtieren, da der Papst das „Herz" des Organismus
ist. „Diese Erweiterung des Organismusvergleichs zuerst
bei einem Vertreter des extremen Kurialismus . . . bestätigt nur
die bereits in einem anderen Zusammenhang erwähnte Beobachtung
, wonach die Verfechter des imperialen Gedankens ihre Vorstellungen
häufig erst in Reaktion auf die von der kirchlichen Partei
vorgetragenen Argumente entwickelten" (225).

Wie unterschiedlich man auslegen konnte, zeigt Aegidius Romanus
. Er hatte dem französischen Herrscher mit organologischen
Argumenten geholfen; wenig später argumentierte er für den Papst
Bonifaz VIIT., der 1302 in seiner Bulle „Unam sanetam" die Unterordnung
des Staates unter die Kirche bzw. den Papst verlangte
(231-240). Aegidius ging weit über seinen Lehrer Thomas von
Aquino hinaus: Er bestreitet die Nützlichkeit des Staates überhaupt
und hält „das Leben in staatlicher Gemeinschaft sogar der
sittlichen Vervollkommnung des Menschen für abträglich" (239).
Im Gegenzug forderte der Dominikaner Johannes Quidort von Paris
die Trennung von weltlicher und geistlicher Gewalt. „Wie Thomas
von Aquin betrachtete auch Johannes Quidort den Staat als
einen naturrechtlich begründeten politischen und moralischen Organismus
" (242). Sein Organismusdenken führte ihn zu einer „Vorstellung
von einer kollektiven Leitung in Kirche und Staat" (248).
Die Trennung zwischen weltlicher und geistlicher Gewalt wurde
begründet „aus dem organischen Prinzip der Arbeitsteilung" (249).
Quidort kannte eine konziliare Notstandstheorie und wird als „Anhänger
des Gedankens der Volkssouveränität" eingeordnet (253).
Als letzte Quelle wird der bekannte „Defensor pacis" des Marsilius
von Padua untersucht (257-288). Hier liegen „die Grundlagen des
autonomen säkularen Staates". Der Staat ist „ein ins Große gesteigertes
Lebewesen" (262). In der Einzelauslegung geht Marsilius
neue Wege: „Wie das Herz im Körper der Lebewesen von der Seele
gelenkt wird, so wird der Herrscher als erstes Organ im Staat letztlich
von einem übergeordneten Prinzip, der Gesamtheit der Bürger
, gelenkt" (271). Für die Kirche aber ist ein allgemeines Konzil
die oberste Instanz.

Zusammenfassend bedauert St. „die ungleiche Verteilung der
Quellen"; er folgert zutreffend, daß „gerade diese ungleichmäßige,
zunächst nur zögernd einsetzende, allmählich zunehmende und
vom 13. Jahrhundert an in breitem Strom fließende Uberlieferung
ein Indiz dafür sein" dürfte, daß „die organologische Staatsauffassung
sich erst allmählich herausbildete und somit eine Entwicklung
durchgemacht hat" (292). Der große Wert des Buches liegt darin,
daß man mit bekannten und unbekannten Quellen bekannt gemacht
wird. St. analysiert gründlich und holt die mitunter nur
kleinen Veränderungen in der Gedankenführung gut heraus. Andererseits
ist es wohl kaum vermeidlich, daß die ständige Wiederholung
derselben Gedanken den Leser mitunter ermüdet. Als Theologe
stellt man mit Erleichterung fest, daß auch die Exegese von
Aristotelesschriften äußerst vielseitig und mitunter völlig konträr
sein konnte. Ein direkter, quellenmäßig faßbarer Zusammenhang
mit medizinischen Schriften der jeweiligen Epoche scheint nicht zu
bestehen (315). Das Problem wurde aber gesehen, St. bereitet eine
Arbeit vor mit dem Titel: „Der Mensch und seine Organe in der
Sicht der mittelalterlichen Naturphilosophie und Medizin. Ein
Beitrag zu einer Anthropologie des Mittelalters" (5, Anm. 8). Man
kann nur wünschen, daß auch in dieser angekündigten Arbeit so
viel aufschlußreiches Quellenmaterial ausgebreitet werden kann
wie in dem jetzt erschienenen Buch.

Rostock Gert Haendler

Bauch, Andreas: Quellen zur Geschichte der Diözese Eichstätt. 11:

Ein bayerisches Mirakelbuch aus der Karolingerzeit. Die Monheimer
Walpurgiswunder des Priesters Wolfhard. Regensburg:
F. Pustet [1979]. 372 S„ 1 Taf., 2 Ktn gr. 8° = Eichstätter Studien
, N. P. XII. Lw. DM 24,80.

Der Text entstand im letzton Jahrzehnt des 9. Jh. und lag vollständig
nur in einem Druck von 1685 vor. Eine kritische Ausgabe
von Oswald Holder-Egger in der Reihe Monumenta Germaniae hi-
storica (Scriptores XV, 1, Hannover 1887) ließ zahlreiche Wundergeschichten
weg, weil sie historisch unwichtig seien. Dem jetzt neu
erarbeiteten Text ist eine deutsche Übersetzung im Paralleldruck
beigegeben (141-348). Eine umfassende Einleitung (19-140) bringt
u. a. einen medizinhistorischen Beitrag eines Arztes zu den im Text
auftauchenden medizinischen Problemen (91-107). Sicher hat lokalgeschichtliche
Begeisterung bei dieser Neuedition mit Pate gestanden
; sie verdient aber allgemeineres Interesse im Hinblick auf
die Bewertung von Legenden durch Historiker. Harnacks Arbeit
über Legenden als Geschichtsquellen (Reden und Aufsätze I, 1906)
wird im Vorwort positiv zitiert.

G. H.

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Jedin, Hubert: Geschichte des Konzils von Trient. III: Bologneser
Tagung (1547/48). Zweite Trienter Tagungsperiode (1551/52).
XIII, 560 S. Lw. DM 84,-. IV: Dritte Tagungsperiode und Abschluß
. 1. Halbbd.: Prankreich und der neue Anfang in Trient
bis zum Tode der Legaten Gonzaga und Seripando. 2. Halbbd.:
Überwindung der Krise durch Morono, Schließung und Bestätigung
. XI, 360 S. u. VII, 331 S. Lw. DM 155,-. Freiburg - Basel -
Wien: Herder 1970 u. 1975. gr. 8°.

Die Tatsache, daß es dem Vf. noch in seinem hohen Alter möglich
gewesen ist, sein monumentales Lebenswerk zum Abschluß zu
bringen, ist für alle Benutzer ein erfreuliches Faktum. Ein derartiges
Werk erscheint in hundert Jahren einmal. Seit der Veröffentlichung
der ersten beiden Bände (vgl. ThLZ 78, 1953 Sp. 139-144)
ist ein Vierteljahrhundert vergangen. Hätte der Vf. nicht auf jahrzehntelange
Arohivstudien zurückgreifen können, wäre es ihm vermutlich
nicht möglich gewesen, dieses große Werk zu Ende zu
bringen. In unserem Zeitalter geschieht es nur noch ganz selten,
daß ein derartiges Werk von einem einzigen Vf. allein zustande gebracht
wird. Es ist bewundernswert, was hier geleistet ist. Wieviel
Arbeit und Energie es erforderte, dieses Werk voranzutreiben, und
mit wieviel Verzicht solch ein Unternehmen verbunden ist, darüber
berichtet Vf. selbst im Vorwort seines letzten Bandes.

Nach Abschluß des II. Vatikanischen KonzÜR, an dem Jedin die
ganze Zeit als Peritus mitgewirkt hat, d. h. nach siebenjähriger
Unterbrechung, konnte er erst an seinen Schreibtisch zurückkehren
. Im Jahre 1970 konnte der 3. Band erscheinen. Lag bereits ein
Schwerpunkt in der Darstellung der Konzilsabläufe des Jahres
1546, so brachte dieser Band den nicht minder wichtigen Bericht
über die Konzilstagung in Bologna 1547 und dazu die Darstellung
der ganzen zweiten Konzilsperiode in Trient 1551/52. Hier mußte
der scharfe Gegensatz zwischen Kaiser und Papst dargestellt werden
, der durch die Translation des Konzils auf päpstliches Territorium
und durch die weitere Behandlung der Sachfragen auf Kosten
der vom Kaiser geforderten Reformfragen noch weiter verschärft
wurde.

Vf. zeichnet in anschaulicher Weise den neuen Hintergrund, die
wirtschaftliche und kulturelle Lage Bolognas, die dem Konzil zugute
kommen mußte. Der Vergleich mit den bescheidenen Verhältnissen
Trients ist schon beachtlich. Trotzdem meint er, den Versuch
des EB Ambrosius Catharinus, mit seiner Eröffnungsrede die
Translation rechtfertigen zu wollen, zugleich als ein Einlenken verstehen
zu sollen. Denn hier begegnen wir schon dem Hinweis, daß
die Kirche der Reformaufgabe nicht ausweichen wolle. Sie mußte
ja mit der Tatsache rechnen, daß Karls Sieg über den Schmalkaldi-
schen Bund seine Position ungemein gestärkt und seine Forderungen
dementsprechend unterstrichen hatte.