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Ausgabe:

1980

Spalte:

113-114

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wolter, Michael

Titel/Untertitel:

Rechtfertigung und zukünftiges Heil 1980

Rezensent:

Luz, Ulrich

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Seite 1

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TheologiseheJLiteraturzeitiirig 105. Jahrgang 1980 Nr. 2

114

Paulus das Schema der doppelten Vergeltung Rom ß,21f in V. 23
durch den Hinweis auf das ewige Leben als Gottes Gnadengeschenk
durchbreche (69 f), zeigt zwar eine Korrektur des Gerichtsgedankens
, aber die gedankliche Integration (die als solche
nicht geleugnet werden soll) müßte erst explizit aufgezeigt werden.
Daß der Gerichts- und Vergeltungsgedanke nicht einfach als „Negativ
-Folie für die Beschreibung des Heilswirkens Gottes" gesehen
werden kann, ist richtig, denn das Handeln des Christen steht
„immer noch unter dem Ernst der eigenen Verantwortlichkeit, die
zur Rechenschaft im kommenden Gericht bereit sein muß" (108) -
aber eine Integration ist mit diesem Hinweis auf die Verantwortlichkeit
noch nicht gegeben.

Wichtig ist die Aussage Synofziks, daß Paulus die Gerichtsankündigungen
nirgends zu einem eigenständigen Thema seiner
Reflexion gemacht (von daher erkläre sich auch die Uneinheitlich-
keit dieser Aussagen), sondern „ausschließlich als Mittel für seine
auf ein ganz anderes Ziel gerichtete Argumentation eingesetzt",
also „stets nur als Argumentationsmittel verwendet" habe (105).
Ebenso richtig wie wichtig sind auch die Andeutungen über den
Zusammenhang von Rechtfertigung und Gericht nach den Werken,
wobei, an der iustificatio sola gratia streng festhaltend, hervor-
gehoben wird, daß es sich hier um einen Glauben handelt, „der sich
durch die Liebe als wirksam erweist (Gal 5,6) und der die Verantwortlichkeit
des Christen für sein Leben in der Rechenschaft vor
dem künftigen Richter nicht überflüssig macht" (109). Daß die
Rechtfertigung sola gratia und das Gericht nach den Werken „für
Paulus einen in sich einheitlichen Gedanken" bilden (108), wird
damit jedoch eher angedeutet als expliziert.

Synofziks Arbeit, die sich nicht zuletzt durch eine Reihe sorgfältiger
Exegesen auszeichnet, scheint mir darin ihren besonderen
Wert zu haben, daß sie form- und traditionsgeschiehtliche Fragestellungen
einbringt - die sachlich-systematische Fragestellung,
die sich notwendigerweise anschließen muß, ist m. E. jedoch zu
kurz gekommen.

Wien Wilhelm l'ratscher

Wolter, Michael: Rechtfertigung und zukünftiges Heil. Untersuchungen
zu Rom 5,1-11. Berlin - New York: de Gruyter 1978.
VIII, 246 S. gr. 8° = Beiheft zur Zeitschrift für die neutesta-
mentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, 43.
Lw. DM 62,-.

Das Buch enthält zur Hauptsache eine ausführliche Exegese des
bisher kaum monographisch behandelten Textes Rom 5,1-11. Um
die Exegese herum gruppieren sich wichtige exkursartige Ausführungen
oder Sonderkapitel: Überlegungen zur Exegese von Rom
3,21-26 (11-34), zur paulinischen Versöhnungstheologie (45-89),
zu Rom 8,31-39 (181-188) und zum Aufriß des Römerbriefs (201
bis 216). Die ganze Arbeit ist sehr sorgfältig, enthält eine Monge
guter Beobachtungen und viel hilfreiches traditionsgeschichtliches
Material.

Die Hauptthese: Rom 5,1-11 geht es keineswegs um die Frage
nach der gegenwärtigen Lebenswirklichkeit des Heils in der christlichen
Existenz, sondern es geht darum, daß der Tod Jesu in der
Geschichte für die Gerechtfertigten auch das zukünftige eschatolo-
gische Heil jenseits der Geschichte sicher verbürgt. Rom 5,1-11
geht es also nicht um die Ausarbeitung eines christlichen Existenzverständnisses
, sondern um die i'knig und ihre Explikation als
Hoffnung auf zukünftiges Heil. „Hauptsatz" des Abschnittes ist
V.2b: „Wir rühmen uns aufgrund der Hoffnung auf dio Herrlichkeit
Gottes". Dieser Hauptsatz wird nach dem Exkurs V. 3-4 in
V. 5a wieder aufgenommen und in V. 5bc und 6-8 in zwei um das
zentrale Stichwort der Liebe Gottes kreisenden Argumentationen
begründet. V.9f sind der Zielpunkt: Es geht um die Relevanz der
Liebe Gottes in Christus für zukünftiges Heil. V. 11 ist eine das
(no9-ifoöu£&a von V. 10 in andere Richtung explizierende Zusatzbemerkung
. Diese, von der herkömmlichen, durch die existentiale
Theologie geprägte, wegführende, sorgfältig begründete Strukturierung
des Gedankengangs von Rom 5,1-11 scheint mir im ganzen
plausibel. Plausibel sind auch sehr viele der vom Vf. vorgelegten,
teils neuen, teils wieder ausgegrabenen exegetischen Einzelbeobachtungen
: Vor allem durch eine gründliche Untersuchung des
paulinischen Gebrauchs von d'iä Xqiaiov vermag er die indikativische
Textvariante %oft£c in V. 1 zu untermauern ^(89 ff). Die
eschatologische Deutung von dorjvrj als antezipierter kosmischer
Endzeitfriede lehnt er mit traditionsgeschichtlichen Hinweisen ab
(95ff). Die exkursartige Catena von V. 3f sieht er auf dem Hintergrund
jüdisch-weisheitlicher Überlegung vom „Prüfungsleiden"
des Frommen und seiner anschließenden Verherrlichung (139ff).
Mit V.5a, in der Sprache der antiken Rhetorik einem „ambitus",
ist ein Neueinsatz erreicht, der auf V. 2b zurückgreift (149 ff). V. 9 f
sind in ihrer Gedankenführung erstaunlich parallel zu Rom 8,31 ff
(180rl). In V. 11 ist die Partizipialform xav/ufu-voi ernst zu nehmen
: sie hängt von oajfrrjoöpeita ab und fuhrt xaja'K'Kayivjei
(V. 10) in einem neuen Gedanken weiter (196ff). Mit diesen paar
Beispielen habe ich nur aus den vielen Beobachtungen der Arbeit
einige, mir besonders plausibel erscheinende herausgegriffen und
dabei andere, auch weniger plausible, weggelassen. Eine Einzel-
auseinandersetzung ist im Rahmen dieser Rezension natürlich
nicht möglich. Jedenfalls aber zeigt Wolters Arbeit, daß es auch
bei vielstrapazierten Römerbrieftexten immer noch möglich ist,
bei sorgfältiger exegetischer Einzelarbeit Neues zu entdecken.

Von den „Nebenfrüchten" der Arbeit seien wenigstens zwei hervorgehoben
. In einer sorgfältigen Analyse der paulinischen und
deuteropaulinischen Versöhnungsaussagen zeigt W., daß die Käse-
mannsche These von der traditionsgeschichtlichen Schlüsselstellung
der Aussage von der kosmischen Versöhnung in Kol 1,20 so
kaum haltbar ist: Diese, hellenistische Gedanken aufnehmende
Aussage steht im NT ziemlich isoliert; die übrigen, von der Versöhnung
des Menschen mit Gott oder von der Versöhnung zwischen
Juden und Heiden redenden, auch nicht einfach einheitlichen Ver-
söhnungsaussagen leben aus andern (jüdischen) Wurzeln. Von einer
„x«r«/U«/}J-Tradition" im Neuen Testament zu sprechen, ist nicht
möglich; wohl aber fällt auf, daß die meisten Versöhnungsaussagen
- abgesehen von Kol 1,20 - dem „Sprachzusammenhang" der
Gegenüberstellung von Einst und Jetzt christlicher Existenz zuzuordnen
sind.

Bedingt hilfreich scheinen mir die grundsätzlichen Erwägungen
über den Aufbau des Römerbriefs. Sicher hat Wolter mehr als
recht, angesichts der vielen divergierenden Versuche in der Literatur
„eine gewisse Verwirrung" zu konstatieren (208). Aber sein
Vorschlag, nach traditionellen Aussagezusammenhängen und deren
Wortfeldern zu fragen (213), löst die Probleme auch nur bedingt
. Konzediert man ihm einmal die (m. E. fragwürdige) These,
daß Rom 1,18-5,11 durch ein zusammengehörendes Wortfeld bestimmt
sei (36ff, 213), so bleibt doch die Feststellung, daß mit Hilfe
von traditionellen Wortfeldern z. B. weder der in W'olters Konzept
schwierige abschließende Charakter von 4,23-25 noch die schwierige
Frage der Disposition von Rom 6-8 zu erklären ist. Nach der
Disposition eines Dokumentes wie des Rom zu fragen, ist m. E. nur
möglich, wenn eine komplexe Vielzahl von Indizien, die auf verschiedensten
Ebenen liegen, mit in Betracht gezogen wird (z. B.
Themenangaben, Querverweise, traditionelle Denkschemen, Gattungsmerkmale
etc.). Die von W. vorgeschlagene Frage nach traditionell
geprägten Wortfeldern und Aussagezusammenhängen ist
ein mögliches Indiz neben andern.

Göttingen Ulrich Luz

MuBner, Franz: Petrus und Paulus - Pole der Einheit. Eine Hilfe
für die Kirchen. Freiburg - Basel - Wien: Herder [1976]. 143 S„
1 Taf. 8° = Quaestiones Disputatae, 76. Kart. DM 24,80.

Mit dem vorliegenden Band, der „sich primär als eine .Programmschrift
' versteht" (5), wendet sich der Regensburger Neutestament-
ler nicht so sehr den historischen Gestalten Petrus und Paulus zu,
sondern vor allem der Wirkung und Wertung beider Apostel sowie
ihrem gegenseitigen Verhältnis im NT nach deren Tod, und er
möchte damit eine Hilfe im ökumenischen Gespräch anbieten, das
sich ja gerade in jüngster Zeit der Spannung zwischen dem Petrusdienst
und der paulinischen Rechtfertigungslehre annimmt. Gleichzeitig
möchte M. einen Beitrag zu einer neuen Sicht der Geschichte
der Urkirche leisten.