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Ausgabe:

1980

Spalte:

108-109

Kategorie:

Judaistik

Titel/Untertitel:

The Tosefta 1980

Rezensent:

Holtz, Traugott

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Theologische Literaturzeitung 105. Jalirgang 1980 Nr. 2

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in allen Bereichen gleichermaßen informative Darstellung bringen
zu können.

Dem Vf. ist zu bescheinigen, daß ihm dies in vollem Maße gelungen
ist. Selbstverständlich mußte bei der Reichhaltigkeit des
Stoffes eine Auswahl getroffen werden, und so wird der eine dies,
der andere jenes in seinem Spezialgebiet vermissen. Das ist aber
bei dem zur Verfügung stehenden engen Raum nicht zu vermeiden,
sollte nicht ein dürres Gerüst von Inhaltsangaben herauskommen.
Für das Eingehen auf die wissenschaftliche Diskussion bestand
keine Möglichkeit. Daß der Vf. mit ihr vertraut ist, spürt man dem
Buch gleichwohl ab; denn er schließt sich in strittigen Fragen
durchweg der plausibelsten Lösung an, und das ist nur bei umfassender
Kenntnis der Problemlage zu erreichen.

Eine knappe, informative Einleitung erörtert Aufgabe und Problemstellung
(9-11). Der Stoff des Hauptteiles ist in acht Abschnitte
gegliedert. Bei den ersten vier Abschnitten wird rein chronologisch
vorgegangen: T. Die Bibel (11-25); II. Die Zeit desÜbergangs
: 200 v-100 n. Chr. (26-65); III. Die talmudische Zeit (66 bis
103); IV. Zwischen Christentum und Islam: Das jüdische Mittelalter
(104-145). Die folgenden vier Abschnitte berücksichtigen die
Tatsache, daß vom Ausgang des Mittelalters ab die jüdische Literatur
mehrere nebeneinander herlaufende Strömungen gehabt hat
und behandeln diese von ihren jeweiligen Anfängen aus jeweils für
sich: V. Die jiddische Literatur (146-170); VI. Der Weg in die
Moderne: Die jüdische Aufklärung (171-196); VII. Die hebräische
Literatur seit 1880 (197-216); VIII. Die Juden in der deutschen
Literatur (217-232). Der letzte Abschnitt hätte durchaus auch das
Wirken jüdischer Schriftsteller im Bereich anderer europäischer
(bzw. amerikanischer) Sprachen einbeziehen können; doch dies
wurde aus Raumgründen unterlassen.

Zum einzelnen! Die Darstellung setzt mit der Bibel ein, da sie,
wie St. zu Recht betont - obwohl zum Großteil aus einer Zeit stammend
, in der man eher von „israelitischer" Literatur sprechen
müßte -, als der Grundstein fast allen literarischen Sehaffens des
Judentums nicht beiseite gelassen werden darf (9). Der Abschnitt
über die Bibel fußt jedoch auf den in der Alttestamentlichen Wissenschaft
vorherrschenden Arbeitshypothesen: Der Pentateuch
wird in seinem historischen Werdegang nach der Urkundenhypothese
erklärt, die biblische Geschichtsschreibung in Anlehnung an
M. Noth erläutert (deuteronomistisches und chronistisches Geschichtswerk
). Das hat zwar seine Richtigkeit, aber das so entworfene
Bild vom Werden der Bibel hat für die jüdische Literatur
keine Relevanz. Wenn einmal das Alte Testament zum Ausgangspunkt
gewählt wird, dann sollte ebenfalls die jüdische Vorstellung
vom Werden der Bibel referiert werden, da eben auf ihr die jüdische
Literatur aufbaut.

Zu begrüßen ist die Reserve gegenüber dem Bestreben, in der
Literaturgattung der Testamente oder Abschiedsreden das Schema
des altorientalischen Bundesformulars wiederzufinden (40 f). Eine
kleine Berichtigung in diesem Zusammenhang (41): Thamar ist
Schwiegertochter, nicht Halbschwester Judas! Die Ausführungen
über die Überlieferungsgeschichte der Testamente der zwölf Patriarchen
(41 f) sind m. E. durch K. H. Rengstorf, Herkunft und
Sinn der Patriarchen-Reden in den Testamenten der zwölf Patriarchen
(in: van Unnik, La litterature juive entre Tenach et Mischna.
Quelques problemes), Leiden 1974, z.T. überholt.

Für die Freiheit im Umgang mit Verfassernamen der eigenen
Tradition sollte man für die Spätantike besser ein noch nicht entwickeltes
als ein unterentwickeltes Bewußtsein von geistigem
Eigentum verantwortlich machen (zu 58). Eine weitere Frage der
Terminologie: Mehrfach wird statt des als Landschaftsname unverfänglichen
^Palästina" der Terminus „Israel" gewählt, selbst
noch in der Behandlung des Mittelalters (z. B. 113).

Diese geringfügigen kritischen Bemerkungen sollen den Eindruck
nicht trüben, daß durchweg zuverlässige und zutreffende Information
geliefert wird. So wird etwa in die Bibliothek von Qumran ein
ausgezeichneter Einblick geboten (43-47), findet sich eine treffende
Charakterisierung des Josephus (62 ff) sowie eine anschauliche
Skizzierung der Entstehung der beiden Talmudim. Wie gut St. mit
wenigen Strichen einen großen komplexen Zusammenhang zu skizzieren
weiß, zeigt etwa die Charakteristik der Periode des jüdischen
Mittelalters (104—107) in ihrer Gebundenheit an die eigene Tradition
und ihrer Mittlerfunktion zwischen arabischer und christlicher

Kultur. Hervorzuheben sind auch die Darstellung der jiddischen
Literatur mit ihrer Fülle von Fakten sowie der Überblick über
„Die Juden in der deutschen Literatur", der die wichtigsten Werke
vorstellt. Bei Max Brod, der seiner Bedeutung gemäß ausführlicher
gewürdigt wird, vermißt man den Roman „Der Meister", der unverkennbar
aus jüdischer Tradition erwachsen ist. Aber das Jesus-
Thema ist eine Sache von eigenem Schwergewicht, und darum
Wurde dieses Werk wohl ausgeklammert.

Stembergers „Einführung" lockt den, der bisher nur in einem
Teilbereich der jüdischen Literatur zu Hause ist, dazu, immer breiter
in sie einzudringen. Die reiche Bibliographie zu den einzelnen
Abschnitten (233-250) gibt dazu die notwendigen Starthilfen. Sie
werden erst recht dem, der mit dem Studium der jüdischen Literatur
beginnen will, nützlich sein.

Berlin Ludwig Wächter

Neusner, Jacob: The Tosefta. Translated from the Hebrew. Sixth
Division Tohorot (The Order of Purities). New York: KTAV
Publ. House 1977. XXII, 366 S. gr. 8°.

Der überaus produktive Gelehrte legt mit dem vorzustellenden
Werk den ersten Beitrag für eine von ihm geplante Übersetzung
der gesamten Tosephta vor. Es handelt sich dabei um die erste vollständige
englische Übersetzung dieses wichtigen Werkes der talmudischen
Literatur; für den hier übersetzten 6. Seder gibt es an
vorangehenden Übersetzungen überhaupt nur „the excellent German
translation under Rengstorf's editorship" (S.XVII). Damit
weist N. hin auf die von K.H. Rengstorf herausgegebenen Rabbinischen
Texte, 1.Reihe: Die Tosefta; auch dort ist der letzte Seder
Toharot zuerst veröffentlicht worden, 1960-1967. Die gleichzeitig
mit dem abschließenden 3. Band dieser Ubersetzung von Rengstorf
herausgegebene Textausgabe bildet im wesentlichen die Textgrundlage
der Übersetzung von N.

War es in der Ausgabe von Rengstorf gleichsam zufällig, daß der
letzte Seder als erster abgeschlossen erschien, so ist das bei N.
offensichtlich anders. Er hat in seinem monumentalen Werk A Hi-
story of the Mishnaie Law of Purities, Leiden 1974-1977 (22 Bände!)
den ganzen Fragenkreis um Tradition, Redaktion und Interpretation
des Seder Toharot in Mischna und Tosephta bearbeitet und
bietet nun von diesem Fundament aus und in Aufnahme der bereits
in dem Kommentar gebotenen Ubersetzung seine neue Übersetzung
. Obwohl diese nicht in der gleichen Reihe (Studies in Judaism
in Late Antiquity) und im gleichen Verlag (Brill/Leiden) erschienen
ist, setzt sie doch - ausdrücklich - die historische Interpretation
des ganzen Komplexes voraus. Nur deshalb war es N. möglich, die
Übersetzung sehr nahe beim Wortlaut des hebräischen Textes zu
belassen und doch auf erklärende Anmerkungen zu verzichten; der
knappe Apparat enthält nur die Hinweise auf die Mischna-Stellen,
zu denen die Tosephta jeweils einen Bezug hat. So konnte der
ganze Seder in einem handlichen Band untergebracht werden.

Freilich hat diese Art der Darbietung des Textes zur Folge, daß
er ohne spezielle Hilfsmittel weithin unverständlich ist. N. reflektiert
in seiner Einleitung dieses Problem ausdrücklich und macht
durchaus einleuchtende Gründe für sein Verfahren geltend. Sie
hängen z. T. mit seiner Beurteilung der Tosephta zusammen, daß
sie nämlich sekundär gegenüber der Mischna sei, „a Supplement to
Mishnah . . . dependent for meaning and füll clarity upon Mishnah"
(S. XVI). Es ist hier nicht der Ort, über diese Ansicht zu urteilen.
Wohl aber stellt sich die Frage, wie das so begonnene Werk der
Übersetzung fortgeführt werden soll. Denn es setzt in der jetzt
vorgelegten Form einen ausführlichen Kommentar, in dem die
Text- und Sachprobleme der Tosephta behandelt werden, voraus.
Nun ist soeben auch von N. der erste Band eines ähnlich angelegten
Kommentars wie der zu dem 6. Seder zum 5. Seder Qodaschim
veröffentlicht worden1. Wird sich aber eine so breit angelegte Vorarbeit
für sämtliche Traktate der Misehna(-Tosephta) wirklich
durchhalten lassen? Es wäre jedenfalls zu wünschen, wenn auch
unabhängig vom Fortgang des Kommentarwerkes die Übersetzung
publiziert würde, vielleicht aber doch dann wenigstens mit kurzer
Markierung (und Begründung) der Abweichungen von der jeweils
herangezogenen Textgrundlage. Schon dabei wird es freilich nicht
ohne Sacherläuterungen abgehen.