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Ausgabe:

1980

Spalte:

912-915

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Ebeling, Gerhard

Titel/Untertitel:

Dogmatik des christlichen Glaubens 1980

Rezensent:

Amberg, Ernst-Heinz

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 12

912

ist umfassend; dieser Abschnitt macht mehr als die Hälfte des von
ihm dargelegten Teils aus. Die aufgezählten Leidenserfahrungen
sind meistens nicht spezifisch atl., sondern vielmehr allgemein
menschliche (Verlust, Krankheit usw.). Die gleiche Tendenz ist auch
in den folgenden Abschnitten feststellbar, wo G. die Frage der Deutung
des Leidens und der Reaktion von Menschen darauf behandelt
. Dadurch wird dem Mißverständnis gewehrt, als hätte leibliches
Leiden für den Glauben keine Relevanz. Auch der Zugang zu
atl. Zeugnissen wird dadurch erleichtert, da trotz des unterschiedlichen
kulturellen Kontextes zwischen damals und heute sehr viel
Analoges aufgezeigt wird. Andererseits wird das Spezifische der
Leidensauffassung des AT bei G. etwas in den Hintergrund gerückt
. Unter „Leidenserfahrungen" z. B. werden zwar auch „Leid
des Beauftragten", „Scheitern des Gottesvolkes" und „Leid
Gottes" berücksichtigt, die vielleicht als besonders atl. betrachtet
werden können, aber ihnen wird nur ein verhältnismäßig geringer
Raum zugeteilt. Auch Vergleichsmaterial aus der damaligen Umwelt
wird etwas zu knapp geboten. Gelegentliche Hinweise auf die Umwelt
dienen bei ihm mehr dazu, das Eingebettetsein der atl. Leidensauffassung
in diejenige des Alten Orients zu zeigen als ihre
Eigenartigkeit zu betonen. Für trefflich halte ich dagegen, daß
G. Zeugnisse des AT nicht nur referiert, sondern nötigenfalls auch
gegen sie kritisch argumentiert; so stellt er z. B. die Ideologie des
sogenannten Heiligen Krieges in Frage (49).

Beim NT ist die Sachlage etwas anders. Hier ist es nämlich kaum
möglich, die Frage des Leidens zu behandeln, ohne das Christus-
leiden in die Mitte zu setzen. Auch Sehr, stellt „Christusleiden"
als Thema des 2. Abschnittes seiner Darstellung vor und macht
deutlich, welche Zentralstelle ihm in der ntl. Botschaft zukommt,
aber auch wie es dort im einzelnen unterschiedlich gedeutet ist.
Im darauf folgenden Abschnitt, „Konkrete Leidensgründe", betrachtet
Sehr. u.a. auch den Grund des Leidens Jesu. Seiner Feststellung
, der Grund seines Leidens liege darin, daß „Jesus mit
einem Gott konfrontierte, der in der Grenzenlosigkeit und Radikalität
seiner Güte allen Frommen gefährlich und beunruhigend
schien und die normalen Ordnungen und Maßstäbe dieser Welt
empfindlich störte" (167), ist zuzustimmen. Fraglich ist mir jedoch,
ob die Reihenfolge der Darstellung, zunächst Deutung des Christusleidens
, erst dann Grund des Leidens Jesu, glücklich ist.
Jedenfalls tritt bei Sehr, die Frage, wieweit und wie man im Urchristentum
die grenzenlose uud radikale Güte Gottes weiter ernst
genommen hat, nicht genug in den Vordergrund.

Auch bei der Darstellung von Leidenssinn und -deutung im
4. Abschnitt hebt Sehr, den besonderen Charakter der ntl. Botschaft
hervor, indem er „zentrale ntl. Sinndeutungen" und „sekundäre
Deutungen" getrennt auf den Tisch legt, was ich methodisch
für richtig halte. Ebenso ist ihm zuzustimmen, wenn er betont
, daß im NT das Leiden als „Leiden des totus homo" aufgefaßt
sei (131), und wenn er im letzten Abschnitt mit Rücksicht
darauf Versuche der Leidensbewältigung und -Überwindung im
NT zusammenstellt (materielle Hilfe, Krankenheilung usw.). Wie
er selber bemerkt (120), kommt nun in diesem letzten Abschnitt
die Jesustradition stärker hervor, während sie im Abschnitt über
die Leidensdeutungen fast ganz ausfällt; bei Pls. ist in dieser Hinsicht
die Sachlage etwa umgekehrt. Wie Sehr, bemerkt, darf man
daraus nicht sofort Widersprüche machen. Mir scheint aber, daß
Sehr, an dieser Stelle zu stark von der Motivation bewegt ist, der
Ansicht gewisser Christen heute zu wehren, die einseitig auf den
Widerstand gegen das Leid Gewicht legen will. Fraglich ist mir
jedoch, ob Aussagen über das Leiden von einzelnen ntl. Zeugen so
reibungslos sich decken bzw. ergänzen, wie Sehr, voraussetzt. Die
Kollektensammlung z. B., die von Sehr, als Beispiel des pln. Versuchs
der Leidensüberwindung eingeführt wird, ist noch keine
echte Korrespondenz zur Leidensüberwindung Jesu, die ihn seinen
eigenen Tod kostet. Daß Heilung Jesu nicht immer mit Sündenvergebung
verbunden durchgeführt wird, gibt Sehr, selber zu
(229). Methodisch ist zu erwägen, ob man nicht doch die traditionsgeschichtliche
Seite der Leidensfrage etwas stärker zu Wort
kommen lassen sollte, u. zw. nicht nur in einzelnen Betrachtungen,
sondern schon im Aufbau der Darstellung selber.

Tokio Akiia SataUe

Systematische Theologie: Dogmatik

Ebeling, Gerhard: Dogmatik des christlichen Glaubens. 1: Prolego-
mena. Erster Teil: Der Glaube an Gott den Schöpfer der Welt.
Tübingen: Mohr 1979. XXVIII, 414 S. gr. 8°. Kart. DM 38,-;
Lw. DM 54,-.»

Das Erscheinen einer dreibändigen Dogmatik ist zur Zeit nicht
eben häufig. Es überwiegen schon seit geraumer Zeit Studienbücher
, Grundrisse u. ä. Schon darum wird die hier (zunächst mit
ihrem ersten Band) anzuzeigende Dogmatik mit viel Interesse
rechnen können. Dazu kommt, daß man von ihrem Verfasser
schon lange ein solches Werk erwartete. Gerhard Ebeling begann
vor mehr als zwei Jahrzehnten seine systematische Arbeit unter
besonderer Berücksichtigung der hermeneutischen Problematik,
des Glaubensverständnisses und der Relevanz des historischen
Jesus. Wenn man diese (sehr vereinfacht dargestellte) Ausgangslage
zur vorläufigen Orientierung einmal in Beziehung setzt zur
Theologie Bultmanns und Barths, dann läßt sich folgendes feststellen
: Was das hermeneutische „Engagement" betrifft, so entwickelte
Ebeling sowohl Bultmanns existentiale Interpretation wie
Bonhoeffers nichtreligiöse (christologische) Interpretation weiter
in Richtung eines Konzepts hermeneutischer Theologie, das im
übrigen durch die Aufnahme von Gedanken des späten Heidegger
gekennzeichnet ist (während Bultmann bekanntlich sich in der
Hauptsache auf den Heidegger von „Sein und Zeit" [1927] bezog,
Bonhoeffer aber auf ,Lehnssätze' aus der Philosophie ganz verzichtete
). Im Glaubensverständnis ließ sich eine gewisse Nähe
Ebelmgs zu Bultmann ausmachen, während bezüglich der theologischen
Relevanz des historischen Jesus der eigentliche Differenzpunkt
zwischen beiden Theologen erkennbar wird. Hier liegt zugleich
die Parallele zum Verhältnis Ebeling - Barth. Wie Bultmann
lehnte auch Barth die Relevanz des historischen Jesus ab (eine der
wenigen Gemeinsamkeiten von Barth und Bultmann). Aber während
die zuletzt genannte Thematik für das Verhältnis Ebeling -
Bultmann der einzige Differenzpunkt blieb (jedenfalls hinsichtlich
der von uns genannten drei Probleme), ist Ebeling auch im Glaubensverständnis
und in der hermeneutischen Frage von Barth
unterschieden (vgl. dazu u. a. Barths „Einführung in die ev. Theologie
" 1962).

Diese wenigen Bemerkungen galten zunächst für die Ausgangslage
um 1960; wenn ich recht sehe, lassen sie sich heute noch aufrechterhalten
, wenngleich Ebeling sein Verhältnis zu Barth damals
wie heute wohl nie so kontrovers gesehen und beschrieben hat.
Es wäre reizvoll, die Beschreibung des theologischen Standorts
und der Entwicklung Ebelings in den letzten zwei Jahrzehnten
fortzusetzen, einem Zeitraum, in dem ja so unterschiedliche Konzeptionen
zu finden sind wie „Offenbarung als Geschichte",
„Theologie der Hoffnung", „Tod-Gottes-Theologie", „Politische
Theologie", „Wissenschaftstheorie und Theologie" - um nur
einige zu nennen. Wir müssen uns aber mit der summarischen Feststellung
begnügen, daß einerseits der spezifische Beitrag Ebelings
zur theologischen Gesamtentwicklung auch durch die Fülle anderer
Entwürfe nicht überflüssig geworden ist, andererseits aber auch
in der durch Pluralität gekennzeichneten allgemeinen Situation
durch andere Positionen kritisch angefragt ist, besonders was die
bereits erwähnte philosophische Bindung betrifft.

Nicht zuletzt von daher wird man es bedauern, daß Ebeling in
der vorliegenden Dogmatik auf die Auseinandersetzung mit anderen
Positionen fast völlig verziehtet (VI). Seine Zielstellung ist aber
die „entschlossene Konzentration auf die eigene Rechenschaft über
den christlichen Glauben" (VII). Sympathisch berührt die (bei
einem Dogmatiker nicht eben häufige) Absage an einen „Allein-
geltungsanspruch" (VIII). Dem entspricht die Bereitschaft, für die
Rechenschaft des Glaubens ein denkbar weites Forum einzuräumen
; keine „nur irgendwie ins Gewicht fallende Gegeninstanz"
soll „grundsätzlich ausgeschlossen" bleiben (5). Zu den konzeptio-

1 Vgl. zuni Ganzen den Beitrag von G. Ebeling In dieser Zeitschrift (105,1680
8p.721-733): „Zu meiner .Dogmatik des Glaubens' ". Die vorliegende Bezension
bezieht sich ausschlieullch auf Band 1, ohne auf den genannten Beitrag Bezug
zu nehmen.