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Ausgabe:

1980

Spalte:

905-906

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Titel/Untertitel:

Stadtkirchen in Sachsen-Anhalt 1980

Rezensent:

Neumann, Helga

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Seite 1

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905

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 12

906

Christliche Kunst und Literatur

4. und 15. Jahrhunderts charakteristisch ist" (490). So berechtigt und Motiven deutlich, daß ein Uberblick nur schwer möglich ist.
die Kritik an den bisherigen Versuchen ist, die Lehre der „Nomi- Wenn der Vf. in dem Abschnitt „Bauschmuck und Baugestaltung"
. isten" zu charakterisieren, so problematisch ist es, die Lösung z. B. ausführt, daß ein Säulenportal in Merseburg (Neumarkt-
in einer Verbindung zu Buchen, die sich als äußerst verhängnisvoll kirche), in Seehausen (St. Petri), in Freiburg und in Treffurt vor-
W wiesen hat. Da die Bezeichnung „Nominalisten" mehr in die handen ist, so kann der Leser mit dieser Aussage nicht allzuviel
Irre führt als zum Verständnis hilft und ihre Eigenheit - wenn sie anfangen. Es ist eine Aufzählung von Fakten, die nichts aussagen,
überhaupt außer ihrer Stellung im Uni versalienstreit eine gemein- da sie an den unterschiedlichsten Orten entstanden sind und keiner -
sarne, wesentlich haben - noch nicht ausreichend umschrieben lei Verbindung miteinander haben.

Verden kann, empfiehlt es sich, auf die Benennungen,, Thomisten", Bedeutsam ist jedoch das Ergebnis des Vf., daß es in der Kir-
>,okotisten" und „Ockhamisten" zurückzugreifen, von „Augusti- chenprovinz keine romanische Säulenbasilika als Stadtkirche gibt,
msten" zu sprechen und unter Umständen noch weitere Gruppen sondern daß mir die schlichtere Pfeilcrbasilika vorkommt. Das
nach einem Schulhaupt zu benennen, bis das gründliche Aufarbei- bedingt andere Schmuckformen in der Bauplastik und erklärt, mit
«n der Quellen erlaubt, die prägonden Eigentümlichkeiten inhalt- einer gewissen Tendenz zum Einfachen und Schlichten, auch die
"eh zu erfassen. Wölbungsfeindlichkeit, die Vorliebe für den gerichteten Bau ohne

Der Vf. kann außerdem von seiner Untersuchung her einen Bei- Krypta und die damit verbundene Raumvereinheitlichung.
rag zu der von Oswald Bayer aufgeworfenen Frage leisten, wann Auch in dem Kapitel über die Gotik wird deutlich, daß sich die
"ei Luther das reformatorische Verständnis von promissio anzu- Stadtkirche nur mit Mühe als besonderer Bautyp fassen läßt. Sie
setzen ist. Er zeigt auf, wie Luther bereits in seiner ersten Vörie- macht, ebenso wie die Kathedrale, die Wandlung zur Halle und
s,'ng, in den „Dictata super Psalterium", den ockhamistischen wieder zurück zur Basilika mit, zu unterschiedlichen Zeiten, ent-
Promissio-Begriff umbildet, ehe er von 1515 bis 1517 den damit sprechend den unterschiedlichen Einflußgebieten. Aber auch hier
verbundenen Gedanken der Vorbereitung auf die Gnade ganz stellt der Vf. eine Tendenz zur Vereinfachung als allgemeingültiges
zerstört. Bauprinzip der Stadtkirchen fest. In der spätgotischen Hallen-

l-eipzig Helmar Jungliane kirche sind dann schon alle Bedingungen vorhanden, die eine

Nutzung auch nach der Reformation möglich machen. Es wird
eindrücklich herausgestellt, besonders am Beispiel der Marktkirche
in Halle, wie nahtlos sich der Übergang vollziehen kann,
soweit es die baulichen Funktionen der Stadtkirche betrifft.
Sicher wäre es sinnvoll gewesen, wenn man die vorreformatori-
May, Walter: Stadtkirchen in Sachsen/Anhalt. Berlin: Evang. Schen Stadtkirchen ebenso unter dem Blickwinkel ihrer liturgi-
Verlagsanstalt [1979]. 224 S. m. Abb. i. Text u. auf Taf. 4°. 8chen und Pfarrechthchen Aufgaben betrachtet hätte, wie es der
Lw. M 29,50; Ausland: 35,-. (2. Aufl. in Vorb. 119801). Vf" dann in dem KaPitel "Stadtkirche der Renaissance" tut.

Die Reformation hat durch ihre veränderte Gottesdienstform
Der Vf. hat sieh mit dem vorliegenden Buch keine leichte Auf- eine Veränderung in der inneren Ausstattung der Kirche notwen-
gabe gestellt. dig gemacht. Hier werden nun einheitliche Tendenzen bei allen

Die Stadtkirche ist als kunsthistorischer Gebäudetyp nur Stadtkirchen deutlich. So hat z. B. der Kanzelaltar eine große
schwer faßbar. Waren für die mittelalterlichen Bischofs- und Bedeutung nicht nur für das Predigtverständiüs, sondern auch für
Klosterkirchen meist Bauhütten und Bauleute nachweisbar, deren die Innenraumgestaltung der protestantischen Stadtkirche. Das
Baustil sich ableiten und verfolgen ließ, bzw. deren Bauten be- eigentliche Ziel dieser Raumgestaltung, nämlich Kanzel, Altar und
stimmten Regeln verpflichtet waren (z. B. Zisterzienser, Hirsauer), Orgel in einer Achse zu vereinigen, wird jedoch nur an wenigen
so läßt sich Ahnliches für die mittelalterliche Stadtkirche nicht Beispielen verwirklicht.

nachweisen. Sie nimmt an Einflüssen auf, was sich an Kunstströ- Es werden Emporen nötig, da durch das neue feste Gestühl viel
mungon der Zeit und der Landschaft bietet. Damit wird die zweite Raum verloren geht, der durch Emporeneinbau zurückgewonnen
Schwierigkeit des Themas sichtbar, nämlich die territoriale Fest- werden kann.

legung. Im Barock ändert sich hauptsächlich die Formensprache, weni-

Die Provinz Sachsen ist ein politisches Gebilde, das erst nach ger die Funktion des Baues und seiner Ausstattung.
1S15 seine Grenzen bekam. Ihm entspricht im wesentlichen das Ein letztes kurzes Kapitel behandelt die Kirchen des Klassizis-
Gebiet der Kirchenprovinz Sachsen, jedoch ohne Anhalt. In die- mus. Hier werden hauptsächlich Entwürfe von Schinkel und sein
sem Land Sachsen/Anhalt fließen kunsthistorisch die verschie- einziger ausgeführter Bau in der Kirchenprovinz - die Nikolai-
densten Einflüsse zusammen. So wird die Gegend um Magde- Kirche von Magdeburg - untersucht. Die Kirche von Wörlitz als
bürg und des Nordharzes im Mittelalter von dem Kernland des Beispiel der frühen Neugotik und einige Umbauten im anhaltini-
sächsischen Reiches geprägt. Thüringen erhält wichtige stilistische sehen Raum vervollständigen dieses Kapitel.
Inipulse von Franken und Hessen, und die Altmark steht unter In einem Ausklang, der sich mit Historismus und Denkmal-
dem Einfluß der Hansestädte Norddeutschlands. pflege beschäftigt, beendet der Vf. den Textteil des Buches. Der

Der Vf. leugnet diese komplexen Vorgänge keineswegs. In einem folgende Bildteil besteht aus guten Neuaufnahmen. Die einzelnen
historisch-topographischen Überblick untersucht er die geschieht- Abbildungen werden dann in einem anschließenden Katalogteil
liehen Wurzeln der einzelnen Gebiete, aus denen sich Sachsen- besprochen. Im Textteil selbst gibt es keinerlei Hinweise auf die
Anhalt zusammensetzt. Abbildungen, so daß man immer wieder auf gut Glück nachblättern

Im Kapitel über die Entstehmng der Städte und der Stadtkir- muß.
ehen wird die Funkt ion der Stadtkirchen innerhalb der städtischen Daß im Text auf Anmerkungen verzichtet wurde, kommt sicher
Nougründungen untersucht. Dabei stellt sich heraus, daß der Be- der Lesbarkeit zugute, für die wissenschaftliche Arbeit ist es jedoch
griff „Kaufmannskirche", wie er in Erfurt und Magdeburg nach- erschwerend, da Zitate im Literaturverzeichnis nicht identifiziert
weisbar ist, sich nicht so genau definieren läßt, wie der der Markt- werden können, wenn vom selben Autor mehrere Arbeiten auf-
kirche. die meist mit der Hauptgemeindekirche identisch ist. Am geführt sind.
Beispiel einzelner Städte (Erfurt, Magdeburg, Naumburg, Merseburg
, Quedlinburg und Zeitz) wird ein historischer Abriß der
Städte- und Stadtkirchengründungen gegeben.

Dieses Kapitel ist informativ und instruktiv für das Thema. Die Brandt, Hermann: Die Legitimität des „geistlichen Volksliedes"
anderen Kapitel, welche die Stadtkirchen in kunsthistorische (DtPfrBl 80, 1980 S. 174-177).

Epochen einordnen (Die romanische Stadtkircho, Die gotische Kallmeyer, Lothar: Funktionalismus und Widerspruch (KuKi
Stadtkirche, Die Stadtkirche der Renaissance. Die Stadtkirche 1979 S. 113-122).

des Barock, Stadtkirchen des Klassizismus), zeigen nun deutlich Klotz, Heinrich, u. Wolfgang Pehnt : Die Sprache der postmoder-
die Schwierigkeiten, die hier am Anfang erwähnt wurden. nen Architektur (KuKi 1979 S. 110-112).

Besonders im Mittelalter wird eine solche Vielfalt von Einflüssen Mazzotta, Giuseppe: Dante, Poet of the Desert. History and

Wernigerode Helga Xeumann