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Ausgabe:

1980

Spalte:

898-899

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Meuthen, Erich

Titel/Untertitel:

Nikolaus von Kues 1980

Rezensent:

Grabs, Rudolf

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang IU80 Nr. 12

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Untersuchung über Nomos in Gal (16ff) und Rom (44ff) ein, wobei
jeweils behandelt werden: die Abrahamsproblematik (16ff, bzw.
44ff), die Abmachungen des Apostelkonvents (21ff, bzw. 53ff), die
Funktion des Nomos (25ff; im Rom: die neue Funktion des Nomos
, 62ff), die Erfüllung des „ganzen" Gesetzes (37ff; im Röm:
die Erfüllung der Tora, 76ff). Die einzelnen exegetischen Analysen
sind außerordentlich prägnant. Sie werden argumentativ vorgetragen
. Im einzelnen sind sie oft überzeugend, die Hauptthesc
selbst bleibt gleichwohl fraglich. Ich gehe nur auf Exempla oin:
*ür H. besteht zwischen Gal und Röm eine wesentliche Veränderung
der paulinischen Position im Hinblick auf die Beschneidung;
>'n Gal wird sie abgelehnt, im Röm gilt sie - freilich im iunetim mit
dem Glauben (vgl. 46). Aber hängt das nicht damit zusammen, daß
sich Paulus im Gal gegen die Forderung der Circumcisio an Heidonchristen
wendet, während Röm 4 von der Beschneidung der
Judenchristen spricht? H. macht sich diesen Einwand selber,
schlägt ihn aber m. E. ohne überzeugende Argumente nieder
(47). - Sehr interessant und anregend sind H.s Ausführungen über
den Apostelkonvent („Heidenmissionssynode"), obwohl auch hier
erhebliche Bedenken bleiben. Gehörte Jakobus wirklich zu den
»»strengen Nomisten" (24)? Ich halte das für unrichtig. Meines
Erachtens ist zwischen der Position des Jakobus, der zur Abmachung
Gal2,6ff bereit war, und der Position der nngsicamot xptvS-
MeXqpot (2,4) zu unterscheiden1. - Überzogen ist die Interpretation
von Gal 3,19. Wie schwierig dieser Abschnitt ist, ist bis zum
Überdruß bekannt, aber die Meinung, daß Paulus in ihm die Engel
zu Urhebern (so H. 28ff) und nicht bloß zu Vermittlern des Gesetzes
machen will, geht über die Intention des Textes hinaus.
Auch die Differenz zwischen Gal 3,19a einerseits und Röm 4,15;
S,20 andererseits kann ich so nicht sehen (72f)2. - Natürlich sind
Vermittlungsdifferenzen zwischen der Gesetzeslehre des Gal und
des Rom zuzugeben. Die Hauptdifferenz liegt darin, daß in Gal
Ausführungen, die Röm 7,7ff entsprechen würden, fehlen. Die Gesetzeslehre
ist plakativer. Das apologetische Moment (die Apologie
des Gesetzes) fehlt; der Gedanke, daß nicht das Gesetz als Gesetz.
sondern das von Menschen mißbrauchte Gesetz in Sünde und Tod
führt, wird ausdrücklich erst im Röm expliziert, aber ist dieser
Gedanke im Gefüge der Gesetzeslehre des Gal wirklich ausgeschlossen
? Mir scheint gegen die Annahme von grundsätzlichen theologischen
Entwicklungen und Kehren innerhalb der paulinischen
Theologie vor allem dies zu sprechen, daß Paulus nirgendwo ein
ausgeklügeltes System vorträgt (sosehr er andererseits bestimmte
feste theologische Begriffe bildet und ihren Zusammenhang erörtert
)3. Auch innerhalb des Röm und seiner Gesetzeslehre bleiben
Vermittlungsdifferenzen, etwa wenn Paulus einerseits Nomos und
Chans in abstrakter Weise einander gegenüberstellen kann (Röm
6,14), an anderen Stellen aber bestimmter und konkreter zwischen
dem vößo; rftr Sfymy und dem eo'uof niaxuns unterscheidet
(3,27 - um nur dies zu nennen)4. Solche Differenzen der Vermittlung
innerhalb der Gesetzeslehre des Röm sind m. E. nicht geringer
als die Vermittlungsdifferenzen zwischen Gal und Röm, so daß sich
die Annahme einer Kehre zwischen Gal und Röm nicht empfiehlt6.

Auf den kritischen Vergleich der Gesetzeslehre des Gal einerseits
bzw. des Röm andererseits folgt bei H. ein dritter Hauptteil der
Darstellung („Verdichtung"), in dem versucht wird, „das bisher
gewonnene Ergebnis durch noch genaueres Hinhören und durch
noch schärferes Lesen in und zwischen den Zeilen" zu fundieren
(81). Die angenommene Entwicklung der paulinischen Theologie
soll zunächst durch eine Untersuchung der Thematik Rühmen und
Ruhmverzicht erhärtet werden (81ff), wobei zur Behandlung dieser
Frage auch 1 und 2 Kor miteinbezogen werden. Auch in dieser
Thematik will H. einen Gedankenfortschritt innerhalb der paulinischen
Theologie konstatieren. Es folgen Ausführungen zur
Rechtfertigungsthematik (104ff). Ausdrücklich sei in diesem Zusammenhang
auf den Exkurs über das Problem der Ethik bei Paulus
(113ff) hingewiesen. Die Monographie mündet schließlich in
einem Traktat über Röm 3,31 legem statuimus, der es insbesondere
mit dem Gegenüber von lex operum und lex f idei zu tun hat. Für
mein Verständnis ist hier, vor allem in den Ausführungen über den
so schwierigen Begriff „Gesetz des Geistes" sehr Wesentliches
gesagt, - und das übrigens völlig abgesehen von der Hauptthese
des Vf. über eine angebliche Entwicklung innerhalb der paulinischen
Gesetzeslehre. Daß die Ausführungen H.s in die paulinische

Pneumatologie einmünden (vgl. bes. 127 u.), ist kein Zufall. Eine
Lösung der Gesetzesfrage ist nur von der Geisterfahrung her möglich
. Vielleicht liegt überhaupt die Zukunft der paulinischen Interpretation
in der Beschäftigung mit seiner Spiritualität.

Noch einmal sei darauf hingewiesen, daß man auch bei Ablehnung
der Hauptthese aus diesem Buch aus vielen Einzelheiten
vieles zu lernen hat. Es ist eine Monographie, die in einer klaren
Sprache geschrieben ist, in selbstkritischen Argumentationsgängen,
immer wieder auch durch methodologische Zwischenbemerkungen
ausgezeichnet, welche zeigen, daß lüer nicht einfach über Paulus
geredet wird, sondern mit Paulus mitgedacht werden soll. Diese
Einstellung zum Text überträgt sich auch auf den Leser: er wird
in die Bewegung des Mitdenkens mit hineingezogen. Daß er dabei
U. U. zu anderen Urteilen und Folgerungen kommt, wird der Vf.
gewiß prinzipiell nicht verurteilen.

Wien Kurt Nicderwimnier

1 Ich halte auch dio Vermutung einer Intervention des Jakobus, die zurAnde-
rung in der Gesetzesauffassung des Paulus geführt hat (55ff), für ganz unwahrscheinlich
; doch ist ausdrücklich zu vermerken, daß der Vf. selbst dies nur als
eine begleitende Hypothese versteht, von der im übrigen Beine Auffassung von
der theologischen Entwicklung zwischen Röm und Gal nicht abhängen soll.

■ Interessant ist die differenzierte Interpretation von Gal 5,3 einerseits und
5,14 andererseits (37ff). Vgl. dazu H„ KuD 21, 1975, 239ff. Die diesbezüglichen
Ausführungen bedürfen einer näheren Untersuchung.

■ Die Offenheit der paulinischen Begrifflichkeit betont übrigens gerade auch
II. selbst (vgl. z. B. nur 112), doch will II. trotz solcher Beobachtungen die Annahme
von gravierenden Veränderungen in der Sache nicht ausgeschlossen
sehen.

1 Als hermeneutische Regel ergibt sich: Die weniger differenzierten Aussagen
des Gal sind nach den differenzierteren des Röm auszulegen, und diese wiederum
finden ihren Schlüssel in der Rede vou der lex fidei bzw. der lex spiritus.

' Ich glaube Immer noch, daß es, um die Vermittluugsdifferenzen zwischen
Gal und Röm zu erklären, genügt, auf die Verschiedenartigkeit der Adressaten
und der jeweiligen Funktlou der Ausführungen zu rekurrieren.

Kirchengeschichte: Mittelalter

Meuthen, Erich: Nikolaus von Kues 1401-1464. Skizze einer Biographie
. 4., Überarb. Aufl. Münster/W.: Aschendorff [1979]. II,
138 S„ 4 Taf. 8° = Buchreihe der Cusanus-Gesellschaft. Sonderbeitrag
zum Cusanus-Jubiläum 1964. Lw. DM 16,80.

Die erste Auflage wurde 1966 (ThLZ91, 1966 Sp. 767) vom
Unterzeichneten angezeigt. Auch dieser Neuauflage (sie entspricht
der 3. Aufl. v. 1976) ist kein Apparat beigegeben worden. Das
wird verständlich, wenn bedacht wird, daß sich der „Berg biographischer
Zeugnisse zu über 5000 Dokumenten" aufgetürmt hat,
obwohl ein kurzer Abriß dennoch angebracht wäre. Die neue
Auflage ist nur wenig von der 1964 erschienenen Erstauflage
unterschieden. Die einfache, aber durchleuchtete Sprache, die
Erich Meuthen Cusanus widmet, ist wohltuend. Das „Deutsche
Archiv zur Erforschung des Mittelalters" hat das Werk Meuthens
mit den Worten gekennzeichnet, denen nichts hinzuzufügen ist:
„Einer der besten Cusanus-Kenner . . . ent wirft hier in souveräner
Stoffbeherrschung ein Lebensbild dieses universalen Denkers und
Kirchenfürsten, wie wir es in dieser Prägnanz noch nicht besaßen."
Es sei auch diesmal auf die Erwähnung aus der Besprechung der
Erstauflage hingewiesen: Was die Darstellung des Verfassers so
bewegt und groifbar nahe rückt, ist sein Vermögen, bestimmte
Lebensvorgänge treffsicher mit den aufleuchtenden Intuitionen
grundlegender Gedanken zu verknüpfen. Die knappen Details
erhellen, daß dabei keineswegs nur die Phantasie eindrucksvolle
Szenen malt. Verwiesen sei auf die kurze Schilderung der Seereise
von Byzanz nach Italien, die Cusanus gegen Ende 1437 zusammen
mit Kaiser und Patriarch und vielen anderen Trägern hervorragender
Ämter unternahm. Sie galt der Teilnahme an dem Unionskonzil
in Ferrara.

Wenn Rez. 1966 bekannte, daß es entschieden zurückgewiesen
werden müsse, Cusanus als eine Art Vorläufer einer rein säkular
ausgerichteten Weltanschauung zu betrachten, so hat sich in den
dazwischenliegenden Jahren an dieser Zurückweisung nichts geändert
. Die Gewaltsamkeit, alle Vorgänge dieses Lebens und Denkens
„soziologisch zu erklären", ist dem Lebensgefühl des Cusa-
ners so fremd, daß bereits dieser Hinweis darauf fast überflüssig