Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1980

Spalte:

857-861

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Titel/Untertitel:

Exodus und Kreuz im ökumenischen Dialog zwischen Juden und Christen 1980

Rezensent:

Mayer, Reinhold

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

857

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 11

858

nichtchristliche Religionen, insbesondere durch den sich ausbreitenden
Islam, die Probleme bei der Begegnung von Angehörigen
unterschiedlicher Religionen und die Zielstellung
der Untersuchung. Dabei geht es L. um „eine Grundeinstellung
, die von gemeinsamem Bemühen, von gemeinsamem
Entdeckungswillen neuer religiöser Dimensionen bestimmt
ist. Das setzt nicht das Aufgeben der jeweils eigenen religiösen
Denk- und Erfahrungswelt voraus, sondern umgekehrt
eine .radikale', an die Wurzeln des eigenen Glaubens
gehende Besinnung, in der die Grundimpulse der jeweiligen
Religion neu lebendig werden ..." (14). Man spürt, daß es
dem Autor damit Ernst ist. Was er im einzelnen ausführt,
hat nichts mit Religionssynthese und Relativierung des
christlichen Glaubens zu tun. Aber es genügt auch nicht,
bloß die Fremdheit einer anderen Religion festzustellen.
Vielmehr gilt es, sie aus ihrer „eigenen Wurzel heraus zu
verstehen und zu entdecken, wieso sie für ihre Anhänger
Halt und Hilfe und vor allem die Wahrheit bedeutet (106).

Im vorliegenden Band wählt L. als näher zu betrachtende
Religion mit gutem Grund den Islam (Kap. 2, 24—113). Er
stellt (wohl aus didaktischen Gründen) zuerst die gegenwärtige
Position des Islam „im Prozeß neuer Selbstflndung"
dar, bevor die zeitgeschichtlichen Faktoren bei der Entstehung
des Islam, Mohammeds „Leben und Wirken", die
„Hauptlehren und -pflichten im Islam" und die Geschichte
des Islam behandelt werden.

Dem für L.s Konzeption wichtigen Vergleich der Gottesbegriffe
und ethischen Ansätze bei Jesus und Mohammed,
d. h. ihrer genuinen Intentionen und Ausgangspositionen im
historischen Kontext, ist ein ziemlich breiter Raum gewährt.
Manches davon könnte kürzer dargestellt werden zugunsten
einer gründlicheren Behandlung der Zeitgeschichte vor
und während der Entstehung des Islam, vor allem der altarabischen
Gesellschaft, Kultur und Religion und ihrer unterschiedlichen
Entwicklung in Nord- und Südarabien. Stärker
hervorgehoben werden könnte auch der Arabisierungs-
prozeß des frühen Islam und seine Gründe. Nützlich wäre
ein Hinweis auf den Lehrsatz der Abrogation bei widersprüchlichen
Aussagen im Koran. Die islamische Mystik ist
bei aller nötigen Beschränkung dieser Islamdarstellung zu
kurz gekommen. Im Literaturverzeichnis fällt das generelle
Fehlen von DDR-Publikationen auf, die zu den Themen
Geschichte der Araber, Islam, Jesus und Mohammed nicht
Unwesentliches beizutragen haben.

Der Autor möchte den Leser für sein Anliegen gewinnen
und ihn für die Umsetzung desselben in „Einstellungen"
und Handlungen im Alltag (vgl. 120) Informationen und Impulse
geben. Das ist ihm gelungen. Das interreligiöse Gespräch
ist heute kein Fernziel mehr. Aber es geht darum,
möglichst viele Menschen dafür bereit zu machen. Dem leistet
das Buch einen guten Dienst.
Berlin Karl-Wolfgang Tröger

Henrix, Hans Hermann, u. Martin Stöhr [Hrsg.]: Exodus
und Kreuz im ökumenischen Dialog zwischen Juden und
Christen. Diskussionsbeiträge für Religionsunterricht und
Erwachsenenbildung. Aachen: Einhard-Verlag 1978. 256 S.
8° = Aachener Beiträge zu Pastoral- und Bildungsfragen.
Schriftenreihe der Bischöflichen Akademie und der Hauptabteilung
„Außerschulische Bildungseinrichtungen" im
Bistum Aachen, 8. Kart. DM 11,50.

Die evangelische Akademie in Arnoldshain lud in Zusammenarbeit
mit der Bischöflichen Akademie des Bistums
Aachen im Februar 1977 zu einer Tagung ein über das Thema
: Juden und Judentum im christlichen Religionsunterricht
— Bilanz der Reformbemühungen. An zwei zentralen
Themen, Exodus und Kreuz, sollte der gegenwärtige Stand
der Reformbemühungen aufgezeigt werden. Die Berichte
jüdischer, katholischer und evangelischer Experten sind in
diesem Buch zusammengefaßt.

Der katholische Religionspädagoge Herbert J o c h u m
gab eine Zwischenbilanz über die Behandlung von Juden

und Judentum im christlichen Religionsunterricht. Was 1947
in den zehn Seelisberger Thesen gefordert worden ist, kann
als weithin erfüllt gelten: Jesus wird als Jude dargestellt,
die Existenz des Judentums auch nach dem Jahr 70 christlicher
Zeitrechnung als wichtig anerkannt, Affekte und Vorurteile
werden abgebaut. Aber dieses neue Reden über das
Judentum verunsichert das alte Reden über das Christentum
: je sachgemäßer das Andere dargestellt wird, um so
schwieriger der Aufweis des Neuen und Besonderen im
Eigenen. So wenig wie das Modell der Überbietung half, so
wenig helfen die säkularen Ansätze bei der Vorurteilsproblematik
oder beim Religionsvergleich; auch der beliebte
problemorientierte Unterricht vermag nicht aus dem Kreis
des Judenhasses zu führen, denn der Außenseiter Jesus gerät
durch seinen unbekümmerten Umgang mit den Normen
und seiner menschenfreundlichen Haltung gegenüber den
Verachteten in einen unversöhnlichen Gegensatz zu den
legalistischen, etablierten, ihrerseits menschenverachtenden
— Juden! Darum die Forderung an Exegeten und Dogma-
tiker, eine zeitgenössische Theologie des Judentums zu entwerfen
, die, vorurteilsfrei, partnerschaftlich, christlich
selbstbewußt, Juden in ihrer Andersheit zu verstehen in
der Lage ist.

Die Exodus-Tradition thematisiert als einziger Albert H.
Friedlander. Der Vortrag hat den Untertitel: Geschichte
und Heilsgeschichte aus jüdischer Sicht. Nach Friedlander
wirkt gerade die Tradition vom Auszug in die Gegenwart
und Zukunft von Juden, aber auch von Christen. Denn
Exodus sei ein Wesentliches jüdischer und auch allgemeinmenschlicher
Existenz. Es handelt sich um eine Vergangenheit
, die zur Lebensbestimmung (Leo Baeck) und zur Hoffnung
wird.

Pinchas L a p i d e, Das Leiden und Sterben Jesu von Na-
zaret. Versuch einer jüdischen Sinngebung, stellte zunächst
traditionell-jüdische und traditionell-christliche Anschauungen
einander gegenüber: hier das Opfer des Sohnes im Zentrum
des Glaubens, dort randhafte Kritik der Opfer allgemein
und scharfe Ablehnung des Menschenopfers im besonderen
. Dann aber - mit „jenem Massengolgota" - sei bei
Juden eine Wende eingetreten und habe Gott auch für sie
anthropopathisch-kenotische Züge angenommen, was mit
Zitaten vor allem aus Kabbala und Chassidismus belegt
wird. Deutlich ist der Abstand zum Entwurf der Meister des
Talmud, deutlich auch die Nähe zu christlichen Entwürfen
vom leidenden und gekreuzigten Gott.

Ruth Kastning-Olmesdahl berichtet über die
Passionsgeschichte im Religionsunterricht als Quelle antijüdischer
Affekte. Die Passionsberichte verursachen Vorurteile
über Juden. Durch kritische Übernahme des Erzählten
entsteht der Eindruck, daß es sich um einen chronologischen
und kausalen Zusammenhang handele. Dabei werden
aber Einzelstücke phantasievoll und zuungunsten der
Juden zusammengefügt. Bei Evangelienharmonien wird
eine Vielzahl ähnlicher Texte aneinandergeschoben, wodurch
sich die Proportionen, wieder zuungunsten der Juden,
verschieben. Wenn dabei das Johannesevangelium den Rahmen
bildet, die belastenden Sätze der Apostelgeschichte dazukommen
, geht die Differenziertheit der Synoptiker verloren
(bei denen weder alle noch die Juden für Jesu Tod
verantwortlich gemacht werden). Ein dogmatisches Vorurteil
hindert an der Erkenntnis, daß es sich bei den Pauschalurteilen
über die Juden nicht um historisch-juristische Feststellungen
, sondern um kerygmatisch-paränetische Anrede
geht: das ist Stil der Umkehrpredigt. In letzter Zeit trat die
Behandlung der Leidensgeschichte im Religionsunterricht
zurück; ein problemorientierter Unterricht (auf den auch
H. Jochum in seinem Beitrag abhob) steht im Vordergrund,
demzufolge nicht der Messias, sondern der Sozialreformer
Jesus abgelehnt worden sei. Aber dieses Konfliktmodell mit
seinem Freund-Feind-Bild ist auch nicht gerade geeignet,
Judenhaß abzubauen oder zu hindern. Im Gegenteil, so
meint die Referentin, sei die Gefahr der Verteufelung der
Juden damit größer als zuvor.