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Ausgabe:

1980

Spalte:

853-854

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Freund, Gerhard

Titel/Untertitel:

Sünde im Erbe 1980

Rezensent:

Bertinetti, Ilse

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Seite 1

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853

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 11

854

auf die formale Struktur der Theologie Schleiermachers erlaubt
es Forstman, in Schleiermachers spätem Werk eine
..bemerkenswerte Übereinstimmung mit seinem frühen
Werk" festzustellen (IX) und das Gesamtwerk zu subsumieren
unter den es der Romantik zuweisenden ironischen
Ausdruck: „Theologie ist transzendentaler Scherz" (111).

Damit zeigt das Buch von Forstman, wie sehr das Schleiermacher
-Verständnis verkürzt werden muß, wenn man
Schleiermacher unter Mißachtung des christologischen
Kerns seiner Theologie und unter Beiseitelassen seiner gegenüber
der Romantik weitgehend selbständigen philosophischen
Rezeption Kants und Fichtes vorwiegend als
romantischen Revolutionär verstehen will.

Kiel Hayo Gerdes

Systematische Theologie: Dogmatik

Freund, Gerhard: Sünde im Erbe. Erfahrungsinhalt und
Sinn der Erbsündenlehre. Stuttgart — Berlin — Köln —
Mainz: Kohlhammer [1979]. 236 S. 8°. Kart. DM 29,80.

Die vorliegende Studie wurde 1978 von der Theologischen
Fakultät der Universität Heidelberg unter dem Titel „Sünde
im Erbe / Zur Interpretation der Erbsündenlehre" als Dissertation
angenommen (Vorwort, 7). In einem ..Vorbericht"
(8-11) nimmt der Vf. auf das Unbehagen Bezug, das die
aufgeklärte Kritik bei dem Begriff „Erbsünde" empfindet.
Freund betont das sachliche Interesse, das ihn bestimmte,
seinen Ausgangspunkt da zu suchen, wo — historisch gesehen
— der Widerspruch gegen die Erbsündenlehre besonders
heftig war: bei Hermann Samuel Reimarus (1694—1768).
Weiterhin wird von ihm die existentiale Interpretation des
Erbsündendogmas bemüht, um dessen ,.,hermeneutische
Struktur'" (8) zu erhellen. Im Eingehen auf hermeneutische
..Hilfsbegriffe" wie „.Begierde"' oder „.Erbkrankheit"' will
der Vf. „in der hermeneutischen Differenz des Allgemeinen
von dessen dogmatischem Deutungssinn diejenige Bestimmtheit
von Wirklichkeit markieren" (9), welche vorauszusetzen
sei.

Der Vf. geht davon aus, daß sich Erbsünde, sofern sie
„wirklich" ist, auch vor dem Hintergrund nichtchristlicher
Erfahrungshorizonte abzeichnen müsse. Er versucht daher,
Svmptome und Reflexe der Wirklichkeitserfahrung aus der
antiken griechischen Bildungsgeschichte aufzuweisen, die,
christlich gesprochen, auf das Vorhandensein von Erbsünde
hindeuten. In der positiven Verarbeitung der bei Kierkegaard
in „Der Begriff der Angst" (1844) reflektierten Dialektik
von Individual- und Gattungsgeschichte zur Erklärung
des Faktors „Erbe" liegt der Schwerpunkt der Untersuchung
.

In einem ersten Teil (Erbsünde — zur Krankheit eines
Wortes. 12—46) befaßt sich die Arbeit mit der auf die sittliche
Handlungsfreiheit des Individuums rekurrierenden
Kritik des Erbsündendogmas durch Reimarus. In deren
Sinne sei es „offensichtlich, daß die Annahme einer Kollektiv
-Schuld und -Haftung, wie sie in dem Erbsündendogma
ausgesprochen ist, die ethische Autonomie des Individuums
antastet und damit alle Begriffe von Recht und Sittlichkeit
umstößt" (23). Schuld ohne Freiheit sei ein Rechtswiderspruch
und die Bestrafung solcher Schuld eine Rechtswillkür
bzw. „theologisch sanktioniertes Unrecht" (ebd.). Ein
weiterer Widerspruch, der die Kritik von Reimarus herausgefordert
habe, sei die Heteronomie des Heils oder Zurechnung
fremder Gerechtigkeit, gegen die sich die Moralität
auflehnen müsse. Man könne im Ergebnis sagen, im gleichen
Maße, wie das moralische Subjekt des Aufklärungszeitalters
den Anspruch erhoben habe, nicht mehr Untertan,
sondern Bürger unter gleichberechtigten und gleichverpflichteten
Bürgern zu sein, habe auch Adam als Typos der
Menschheit abdanken müssen.

Nach dem zu bewahrenden „,Erfahrungsgrund'" der Erbsünde
fragend, wendet sich Freund der existentialen Hermeneutik
zu, soweit diese versucht hat, Erbsünde als .„Tatbestand
der Existenz'" (H. Jonas) nachzuweisen (36 ff.). Da
der Existentialsphäre Widerspruch eigne, könne der Gegensatz
von Dogma und Kritik metakritisch ausgesöhnt werden.
Fraglich bleibe jedoch, inwieweit die existentiale Hermeneutik
theologischen Kriterien standhalte. Denn: „Die Dogmatik
betrachtet... die Sünde als eine Setzung, welche nicht
in der .vorhandenen Wirklichkeit' und ihrer ontologischen
Konstitution vorausgesetzt ist" (41).

In einem zweiten Teil (Erbsünde — Geschichte einer
Krankheit, 47-191) verweist der Vf. auf die lutherischen
Bekenntnisschriften, die die Erbsünde ganz bewußt nur
approximativ definieren und mit ihrer Begriffssystematik
lediglich ausdrücken, Erbsünde sei „Verhältnislosigkeit in
bezug auf Gott", gestörtes Verhältnis zu sich selbst und den
anderen Menschen (51).

Bei der Befragung einschlägiger Texte aus der griechischen
Mythologie, Tragödiendichtung und Philosophie ergibt
sich für Freund, daß christliche Religion und griechischer
Mythos nicht auf den vereinfachenden Nenner des
Gegensatzes von Geschichte und Natur gebracht werden
dürfen. Der Unterschied liege vielmehr „in der Differenz
der jeweiligen geschichtlichen Bestimmtheit, die Griechentum
und Christentum ihrer vielfältigen Erfahrung von Gott
und Schuld haben zuteil werden lassen" (133). Das Urteil der
Bibel über menschliche Verfehlung sei eindeutiger als das
des Mythos, dem daran liege, nicht die Geschichte menschlicher
Schuld, sondern deren schicksalhaftes und immerwährendes
Wesen zu erzählen. „Durch den Fall Adams hat
die prometheische Ewigkeit einen Anfang in der Zeit ... erhalten
" (162), die nun zur verlorenen Zeit unter dem Zeichen
der Todesandrohung geworden ist.

Selbstverlust und Verlust Gottes sind die sich durch pro-
pagatio fortsetzenden Folgen des ersten Falles. Die darin
liegende Aporie werde durch die Ethik und ihre Voraussetzung
, die Freiheit, noch verschärft. Aber „Gott beweist seine
Liebe gegen uns dadurch, daß er durch den Tod Christi die
Wirklichkeit der Sünde zur Vergangenheit bestimmt hat"
(187). Indem das Erbe Christi das Erbe Adams überwiegt
(Rom 8,17), sind wir „mit Adam ... vor Gott gleichermaßen
Kinder und Söhne Gottes" (191).

Die auf eine lückenlose dogmenhistorische Aufarbeitung
bewußt verzichtende Studie ist u. E. ein beachtlicher Beitrag
innerhalb der theologischen Diskussion um die richtige
Sinndeutung des Erbsündendogmas.

Potsdam-Babelsberg Ilse Bertinetti

Wingren, Gustaf: Credo. Den kristne tros- og livsanskuelse.
Oversat af P. Bondesen. Kopenhagen: Gyldendal [1979].
249 S. gr. 8° = Tekster til livsanskuelser/religion. dkr.
200,-.

Das jüngste Werk des Lundenser Systematikers, das im
schwedischen Original schon 1974 (21975) erschienen ist und
hier in einer sorgfältigen dänischen Übersetzung vorliegt,
ist ein ungewöhnliches Buch. Einerseits will es ein dogmatisches
Lehrbuch sein und stellt als solches den Versuch dar,
den Gehalt des christlichen Glaubens im Anschluß an das
Apostolikum und Nicaenum für die Gegenwart zu entfalten
. Andererseits aber ist es zugleich das Bekenntnisbuch
eines lutherischen Christen, Zeugnis individueller Frömmigkeit
, reich an Metaphern und Assoziationen, versehen
mit einer Reihe gottesdienstlicher Texte, selbstgedichteten
Liedern und eigenen Gebeten. Die deutlich hervortretende
persönliche Note macht den besonderen Reiz des Buches aus,
läßt aber mitunter auch fragen, ob die Synthese von religiöser
Erbauung und theologischer Reflexion, individuellem
Bekenntnis und dogmatischer Darstellung wirklich gelungen
ist.

Die Gliederung des Buches ist von der Abfolge der drei