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Ausgabe:

1980

Spalte:

835-836

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hermesmann, Hans-Georg

Titel/Untertitel:

Zeit und Heil 1980

Rezensent:

Rissi, Mathias

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Seite 1

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835

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 11

836

Neues Testament

Hermesmann, Hans-Georg: Zeit und Heil. Oscar Cullmanns
Theologie der Heilsgeschichte. Paderborn: Verlag Boni-
facius Druckerei [1979]. 192 S. gr. 8° = Konfessionskund-
liche und kontroverstheologische Studien, XLIII. Lw. DM
24,-.

Da Cullmanns Werk (abgesehen von seinem Johanneskommentar
) nun geschlossen vor uns liegt und die hitzigen
Debatten mit A. Schweitzer (Buri) und Bultmann verrauscht
sind, ist es an der Zeit, sich einen Gesamtüberblick
zu verschaffen und Cullmanns Bedeutung für die Auslegung
des NT und die Theologiegeschichte zu erarbeiten. Daß der
neueste Versuch von einem katholischen Theologen und
überdies vom Pfarrer einer Diasporagemeinde stammt, ist
kein Zufall, hat Cullmanns Werk doch seit langem das ökumenische
Gespräch befruchtet wie kaum ein anderes. Es ist
das besondere Anliegen der vorliegenden Promotionsschrift
(Paderborn), von einer durch größte Offenheit und Objektivität
gekennzeichneten katholischen Sicht her in Cullmanns
Arbeit einzuführen.

Der Vf. beginnt mit einer knappen Darstellung des Problems
der Geschichtsbezogenheit des christlichen Glaubens
seit Lessing und einer Skizze von Cullmanns Leben und
Werk. Ein weiteres Kapitel orientiert über die historischkritische
Methode, wie sie von Cullmann in seiner Interpretation
des NT verwendet wird. Besonders ins Licht gestellt
wird Cullmanns Abwehr aller vorschnellen Unterscheidungen
dessen, was dem „historischen Jesus" und dessen
, was der „Gemeindebildung" zuzuschreiben ist: Die
ganze Evangelientradition ist Gemeindebildung, die jedoch
unter der formenden Macht des Christus stand, wie ihn die
Verkündigung der ersten Zeugen reflektierte.

In weiteren Abschnitten wird vom Zeitverständnis her,
wie Cullmann es aus dem NT erhebt, die Cullmannsche Sicht
der biblischen Heilsgeschichte entwickelt. Hier zeigt sich besonders
, wie sehr das Buch von H. als Beitrag zum ökumenischen
Gespräch gedacht ist. Der Vf. entfaltet das Cullmannsche
Verständnis der Heilsgeschichte als die von großen
Zusammenhängen her zu begreifende Geschichte der
Eingriffe Gottes (zu bestimmten Zeiten und an bestimmten
Orten der allgemeinen Geschichte) und ihrer Deutung, deren
Ziel die Selbstoffenbarung Gottes ist, die sich in der Erscheinung
Jesu vollendete und von der her darum Licht fällt auf
alle Manifestationen Gottes vom Anfang bis zum Ende der
Welt. Es folgt eine detaillierte Erklärung der Bedeutung der
Heilsgeschichte für das Verständnis der Christologie, der
Ekklesiologie und der Eschatologie.

Ein letztes Kapitel behandelt die Auseinandersetzungen
Cullmanns mit A. Schweitzer, Buri, Bultmann und einigen
neueren Kritikern.

Die Arbeit von H. weist erneut auf die erstaunlich umfassende
exegetische und theologische Leistung Cullmanns.
H. hat allerdings nur die zentralen Gedankengänge Cullmanns
nachzuzeichnen versucht, ohne auf den ganzen
Reichtum der Erkenntnisse des Historikers und Theologen
einzugehen. Man wünschte sich öfters weniger Paraphrase
der Werke Cullmanns und mehr kritische Durchdringung
des Stoffes. Das gilt besonders für die wenigen Seiten, auf
denen der Vf. in einen direkten Dialog mit Cullmann tritt
(144 ff.). Gegen Cullmann sieht H. den Hauptgrund für die
Ansprüche des römischen Bischofs in der Behauptung, daß
der im Wort des NT sein Felsenamt weiter ausübende Petrus
unbedingt einen Nachfolger als persönlichen Sprecher
haben müsse. Warum aber das Petruswort gerade durch eine
Person und ausschließlich durch den römischen Bischof vergegenwärtigt
werden muß, dafür fehlt jede exegetische und
theologische Begründung. In manchen Paragraphen trifft
man auch auf starke Vereinfachungen der Probleme, z. B.
in H.s Auseinandersetzung mit K. Barth oder mit der Gno-
sis.

Trotz allem ist jedoch dem Vf. für seine gute und mit starker
Anteilnahme geschriebene Einführung in Cullmanns
Werk sehr zu danken; denn seit dem bedeutenden Aufsatz
von Fröhlich (in Oikonomia) ist keine größere Arbeit über
Cullmann erschienen.

Richmond, Va. Mathias Riss!

Brox, Norbert: Falsche Verfasserangaben. Zur Erklärung
der frühchristlichen Pseudepigraphie. Stuttgart: Kath.
Bibelwerk [1975]. 132 S. 8° = Stuttgarter Bibelstudien, 79.
Kart. DM 16,-.

Obwohl in den letzten Jahren im Blick auf das Phänomen
der frühchristlichen Pseudepigraphie, wie nicht zuletzt die
von J. Schmid neu bearbeitete 6. Auflage der „Einleitung in
das Neue Testament" von A. Wikenhauser zeigt, ein relativ
weitgehender kritischer Konsens erreicht worden ist, gilt
dieses Phänomen in gewissen Kreisen von Kirche und Theologie
noch immer als befremdlich und als mit dem kanonischen
Charakter der Schriften des Neuen Testaments letztlich
nicht vereinbar. Symptomatisch dafür ist die in der
Evangelischen Verlagsanstalt, Berlin 1977, erschienene
kleine Studie von M. Schulz, Die Schriften des Neuen Testaments
, in der nun doch wieder — gegen alle inzwischen in
dieser Hinsicht gewonnenen Einsichten — bis auf die Ausnahme
des Hebräerbriefes die „Echtheit" sämtlicher Schriften
des Neuen Testaments (bis hin zum 2. Petrusbrief!) im
Sinne der Verfasserangaben der altkirchlichen Tradition
behauptet wird. Angesichts solch offenkundiger Rückschritte
ist es sehr zu begrüßen, daß der Vf. des vorliegenden Bandes
der „Stuttgarter Bibelstudien", der sich selbst bereits mehrfach
zu diesem Problem geäußert hat,1 nunmehr in einem
größeren und umfassenden Zusammenhang das Phänomen
der frühchristlichen Pseudepigraphie zu erklären unternommen
hat. Umfassenden Charakter hat die Studie vor
allem insofern, als das Phänomen der frühchristlichen
Pseudepigraphie, nachdem in einem 1. Kap. „Das Faktum
falscher Verfasserangaben in der frühchristlichen Literatur
" in seiner Vielfalt aufgewiesen worden ist, nicht für sich
erörtert wird, sondern im Zusammenhang mit der „jüdischen
und heidnischen Pseudepigraphie" (2. Kap.) sowie
mit den „Ursachen, Motiven und Mitteln der antiken Pseudepigraphie
" (3. Kap.). Hinweise auf den „antiken Begriff
des geistigen Eigentums" (4. Kap.) sowie auf die „zeitgenössische
Legitimation und Kritik von Fälschung" (5. Kap.)
verdeutlichen das Problem im einzelnen, bevor dann endlich
im 6. Kap. die „speziellen Bedingungen und Tendenzen
der frühchristlichen Pseudepigraphie" herausgearbeitet
werden. Das, was das Phänomen im Bereich des frühen
Christentums — bis hin zu den jeweils gehandhabten „Techniken
und Praktiken" — mit dem entsprechenden Phänomen
in Judentum und Heidentum verbindet, wird auf diese
Weise ebenso deutlich wie das, was — insbesondere hinsichtlich
der Ursachen und Motive — die Differenz der frühchristlichen
Pseudepigraphie gegenüber jüdischer und heidnischer
Pseudepigraphie ausmacht. Gleichwohl erhebt der
Vf. mit seiner Studie keineswegs den Anspruch, auf solche
Weise das Problem der frühchristlichen Pseudepigraphie
gleichsam ein für allemal gelöst zu haben. In seinem Schlußwort
(130) betont er vielmehr sehr nachdrücklich, „daß sich
das Phänomen der frühkirchlichen literarischen Fälschungen
nur unter einer Vielzahl von Aspekten historisch befragen
läßt, die sich nicht nachträglich auf einen einzigen Nenner
vereinen lassen". Solche — nach Meinung des Rez. entscheidende
— Erkenntnis, die nicht zuletzt auch in der entsprechenden
Weise auf die frühchristlichen Pseudepigraphen
innerhalb des Neuen Testaments anzuwenden ist, schließt
im übrigen keineswegs aus, daß sich einige „Rahmenvorstellungen
" durchaus identifizieren lassen, „aus denen die
Motivation und der Entschluß selbst, dieses merkwürdige
Mittel der falschen Verfasserangabe zu wählen, bei christlichen
Schriftstellern der Spätantike begreiflich werden