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Ausgabe:

1980

Spalte:

817-819

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Proceedings of the International Colloquium on Gnosticism 1980

Rezensent:

Tröger, Karl-Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 11

818

Allgemeines, Festschriften

Widengren, Geo [Ed.]: Proceedings of the International
Colloquium on Gnosticism. Stockholm August 20—25 1973.
Stockholm: Almqvist & Wiksell; Leiden: Brill [1977]. X,
180 S. gr. 8° = Kungl. Vitterhets Historie och Antikvitets
Akademiens Handlingar, Filologisk-filosofiska serien, 17.

Aus einer Distanz von nunmehr vierzehn Jahren erscheint
der erste Gnosiskongreß 1966 in Messina als der
große Auftakt der neueren internationalen Gnosisforschung.
Er wirkte sehr stimulierend und signalisierte einen Aufschwung
der Gnosis- und Nag-Hammadi-Forschung, der
sich in weiteren Höhepunkten ausdrückte. Der erste davon
war das Gnosiskolloquium 1973 in Stockholm mit 30 Teilnehmern
aus 8 Ländern. Die dort verhandelten Themen sind
vielfältig. Der Nag-Hammadi-Fund tritt zwar durch die inzwischen
vorangeschrittene Edierung der Texte in den Vordergrund
, verdrängt aber keineswegs andere Textgruppen
und Probleme. Im Gegenteil: durch die gewachsene Zahl
der Originalquellen können alte Fragen neu gestellt und
z. T. besser beantwortet werden, so die nach der Zuverlässigkeit
der Berichte der Häresiologen, desgleichen die Frage
nach dem Verhältnis von Gnosis und Philosophie einerseits
und von Gnosis und Judentum bzw. Christentum andererseits
.

Der Stockholmer Kongreßband enthält eingangs eine
Vorrede des Herausgebers G. Widengren sowie das
Programm und die Teilnehmerliste. Dem folgt das Schlußwort
des Kongreß-Ehrenpräsidenten Hans Jonas: „A Re-
trospective View" (1—15) — eine persönliche Lebens- und
Forschergeschichte, die zugleich Forschungsgeschichte ist
und die der Zeitgenosse nicht ohne Ergriffenheit lesen kann.

— Erwägungen grundsätzlicher Art enthält der Beitrag von
U. Bianchi „A propos de quelques discussions recentes
sur la terminologie, la definition et la methode de l'etude
du gnosticisme" (16—26). Darin geht es sowohl um die
methodischen Ansatzpunkte der Gnosisforschung (primär
historisch, aber auch typologisch, komparativ, phänomenologisch
) als auch um die Prüfung und Klärung von Fragen
und Mißverständnissen, die bestimmte Formulierungen des
Messina-Dokumentes ausgelöst haben (wie z. B. Gnosis und
Gnostizismus, Prä- und Protognostizismus, Weltgeschichte
des Gnostizismus etc.). Alternative Ansichten zu Positionen
des Messina-Dokumentes sind damit nicht aufgehoben. —
„Zidqa Brika and the Mandaean Problem" (27—33) von
E. S e g e 1 b e r g ist eine Studie über die Hymnen, die zu
dieser rituellen Totenmahlzeit gehören und zur Aufhellung
ihrer Herkunft und Geschichte beitragen können. S. nimmt
an, daß Mani sein hl. Mahl von den Mandäern übernahm;
deren heilige Mahlzeiten sind auf Grund des semitischen
Charakters der entsprechenden Hymnen vermutlich westlichen
Ursprungs.

Ein kleines Werk für sich ist die Abhandlung „Gnosis und
Philosophie" (34—73) von B. A 1 a n d , in dem die so wichtige
Verhältnisbestimmung beider Größen erneut aufgegriffen
und an Hand der „Apophasis Megale" (in kritischer
Anknüpfung an Frickel, Jonas u. a.) anregend und weiterführend
behandelt wird. Die künftigen Diskussionen über
dieses zentrale Thema dürfen an dieser Arbeit nicht vorübergehen
, aus der nur das Fazit mitgeteilt werden kann,
nicht aber dessen umfängliche Begründung, die gerade den
Reiz der Untersuchung ausmacht: „Von der Philosophie ist
die Gnosis in ihrem Grunde geschieden. Wenn philosophische
Formelemente in gnostische Texte übernommen werden
, so geschieht das entweder in bloß additiver Übernahme
und ohne wirkliche Einsicht in die Konsequenz dieses Tuns

— das ist der Fall im Apophasisbericht — oder das philosophische
System wird bewußt benutzt, aber an entscheidender
Stelle durchbrochen und dadurch in sein Gegenteil verkehrt
— das ist der Fall im Valentinianismus. Gnosis ist
also weder .heruntergekommene', noch vorbereitende Philosophie
, sondern Offenbarungs- und Erlösungsreligion"

(73). Das hat seine Konsequenzen auch für eine angemessene
Beurteilung der gnostischen Theologen im zweiten
Jahrhundert.

„Kleine Beiträge zum Naassenertraktat" (74—100) überschreibt
J. Bergmann seine Erwägungen zu Verfasser
und Titel, Anlage und Absicht des „Elenchos", zur Bedeutung
des „Offenbarungspaares" Jakobus und Mariamne für
Hippolyts Konzeption und zur „Sonderstellung der Naas-
sener" („als Jünger des Thaies") in der Refutatio. (Der S. 81
zitierte „Mereim" (Marim) gehört an den Anfang der zweiten
Jakobusapokalypse!) — Mit Hippolyt beschäftigt sich
auch M.Krause: „Die Paraphrase des Seem und der Bericht
des Hippolyt" (101—110). Es geht um die umstrittene
Frage, ob NHC VII, 1 Hippolyt als Vorlage für seinen Se-
thianerbericht diente oder nicht. Nach einem Vergleich von
Aussagen in beiden Schriften und Überlegungen zum Arbeitsstil
des Hippolyt (an Hand von Frickels Untersuchungen
) wird die Frage von K. verneint. Aber damit ist das
Problem natürlich noch nicht erledigt. Bereits geäußerte
Lösungsvorschläge (z. B. von Haardt und Wisse) harren der
Prüfung. — G. W. MacRae, „Discourses of the Gnostic
Revealer" (111—122) ist dem Verständnis, der Eigenart und
Bedeutung von NHC VI, 2 „The Thunder: Perfect Mind"
gewidmet. Dazu werden zahlreiche Beispiele für die Ich-
Bin-Aussagen göttlicher Wesen, vor allem solcher Selbstprädikationen
mit antithetischem Charakter (z. B. Ich bin
die Geehrte und die Verachtete) aus verschiedenen Quellen
zitiert (AT, Isisaretologien, Nag Hammadi, Ginza, Yasht,
Bhagavadgita!). — Mit dem bisher so unterschiedlich interpretierten
, weil in seiner Diktion so schillernden Rheginus-
brief setzt sich J.-fi. Menard, „La Notion de Resurrection
dans l'Epitre ä Rheginos" (123—131), auseinander. Nachdem
M. zum Verständnis der Auferstehungsaussagen dieses
Textes diverse Quellen (EvPhil, Genesis Rabba, 1 QS IV,
Perlenlied, Evangelium Veritatis) herangezogen hat, gelangt
auch er zu dem Schluß, daß es hier nicht gelungen ist, die
verschiedenartigen Elemente aus dem jüdisch-christlichen
und hellenistischen Bereich zu einer in sich geschlossenen
und niveauvollen Konzeption zu verschmelzen. Auf die Unterschiede
zur paulinischen Lehre wird ausdrücklich hingewiesen
. — J. M. Robinson verfolgt mit seinem Beitrag
„The Three Steles of Seth and The Gnostics of Plotinus"
(132-142) das Ziel, „die drei Stelen des Seth" (NHC VII, 5)
mit den „neuplatonischen Gnostikern" bei Porphyrius, Vita
Plotini 16, in Verbindung zu bringen, indem er enge Beziehungen
zwischen NHC VII, 5 und den Nag-Hammadi-
Schriften „Allogenes" (XI, 3) und „Zostrianus" (VIII, 1)
aufzuweisen sucht. Dabei geht er u. a. der triadischen Vorstellung
„Sein-Leben-Nous" nach, die sich auch bei Proclus
und Plotin findet, womit dieses „Theologoumenon" erneut
aktuell geworden ist. - B. A. Pearson behandelt „The
Figure of Norea in Gnostic Literature" (143—152) und geht
sowohl den unterschiedlichen Namensformen als auch den
verschiedenen Zusammenhängen nach, in denen Norea erscheint
(z. B. bei der Sintflut). P. unterbreitet eine Fülle interessanten
Materials und findet die Ursprünge der Norea-
Figur in der jüdischen Haggadah, den Ursprung des Namens
im Hebräischen Na'amah - griech.: Horeia (vgl. Gen 4, 22,
LXX: Noema; lKön 14,21, LXX: Naama). - M. Philo-
n e n k o, „La plainte des ämes dans la Kore Kosmou" (153
bis 156), vermutet, daß in Kore Kosmou außer dem (ersten)
Henochbuch noch andere jüdische Quellen benutzt worden
sind. Er kommt nach einem Stellenvergleich (Kore Kosmou
36) mit Philo und dem Essenerbericht des Josephus zu dem
Schluß, daß die gemeinsame Quelle für Philo und Kore Kosmou
essenischer Herkunft war. „Par lä se trouvent ouverts
deux champs d'etude: Philon e l'essenisme d'une part, her-
metisme et essenisme d'autre part" (156). — H. L. Jansen
greift erneut „Die Frage nach Tendenz und Verfasserschaft
im Poimandres" (157-163) auf und resümiert, daß „der Verfasser
ein Jude ist" (162), der wahrscheinlich selbst mystisch
-visionäre Erlebnisse hatte, welche seine (gnostische)
Schrift in „Terminologie und Denkweise" geprägt haben. —