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1980

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Kirchenrecht

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 10

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Juristische Formulierungen nutzen der Kirche nur, wenn sie
die Ordnungen kirchlichen Gemeinschaftslebens für die Wahrheit
der Heilsverkündung transparent machen helfen (31).

Maurers Grundüberlegungen und praktische Mahnungen sind
für den Dienst in unseren Kirchen anregend. Für die Evangelischen
Kirchen in der DDR würde das Kirchenrecht Bedeutung
behalten, ja gewinnen können, wenn es wirkliches Kirchen-
recht bleibt, nicht überlebtes konserviert, aber auch nicht als
futurologischer Sandkasten mißbraucht wird. Evangelisches Kirchenrecht
ist ein geistliches Recht in der Gestalt menschlicher
Rechtsetzung. Kirchenrecht ist die nach göttlichem Willen und
Auftrag von der Kirche gesetzte Ordnung, die zur rechten
Verkündigung des Wortes und für den rechten Gebrauch der
Sakramente die nötigen Regeln aufstellt. Kirchenrecht umfaßt
auch die Ordnungen des Gottesdienstes und des kirchlichen
Lebens, die Ausgestaltung der Ämter und Dienste sowie den
organisatorischen Aufbau der Kirche. Kirchenrecht hat seine
Verbindlichkeit im Gehorsam gegenüber dem göttlichen Urgrund
und der sich aus ihm ergebenden Verpflichtung für alle
Glieder der Kirche. Kirchenrecht ist je nach der wechselnden
Verkündigungssituation wandelbar. Es erfährt seine Ordnungsprinzipien
aus den theologischen Erkenntnissen und hat seinen
Prüfstein in der Schrift. Bei aller Wandelbarkeit hat es in
Wort, Sakrament und Amt im Wesen unwandelbare Grundvorgaben
. Kirchenrecht erfährt in der Deutschen Demokrati-
sehen Republik darüber hinaus seine staatsrechtliche Legitimation
in Artikel 39 Absatz 2 der Verfassung.

In Maurers kirchenrechtlichem Denken kommt der Amtsfragc
eine wichtige Rolle zu. Er bezeichnet das geistliche Amt als
eine Grundlage, einen Kristallisationspunkt des Kirchenrechts
(185. 376). Dabei sieht Maurer vor allem den stabilisierenden
Faktor des geistlichen Amtes. Etwa, wenn er an den Erfahrungen
des Kirchenkampfes die fundamentale Wichtigkeit des
Amtes für den Bestand der Kirche aufzeigt (422) oder gar
formuliert: „im Wirrwarr bleibt das geistliche Amt" (321). In
der spannungsreichen Einheit von Amt und Gemeinde liegt die
Wurzel aller kirchlichen Ordnung (17). Das Amt hat seine
Eigenständigkeit nicht in bezug auf die Gemeinde, sondern auf
die Welt (19). Die Träger des Amtes sind Glieder der Kirche
wie alle anderen auch (503) und alle Ämter sind Charismen,
alle Dienste gleichwertig (51 ff).

Über den gegenwärtigen Kosmos der Ämter muß nachgedacht
werden (488). Auch das Dienstrecht der Mitarbeiter läßt nur
unzureichend erkennen, daß sie alle mit im Auftrag stehen
(522). Am Beispiel des Kirchenmusikers wird deutlich, wie
andere Dienste den Charakter des Wortzeugnisses gewinnen
(275). Auch wer über Kirchenregiment nachdenkt, hat vom
Amt auszugehen (98). Urelemente geistlicher Leitung sind die
Vollmacht zu predigen und das Recht der Sakramentsverwaltung
(101). Das evangelische Bischofsamt ist dasjenige Amt der
Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung, das sich über
die gesamte Landeskirche erstreckt (420). Ist der Bischof s-
sprcngel zu groß, soll ein kollektives Organ, ein geistlicher
Rat unter Vorsitz des Bischofs die Aufgabe wahrnehmen. Die
Verwaltungseinheiten (Landeskirchen) sollen jedenfalls nicht
verkleinert werden, denn die nötige Rationalisierung erfordert
Zentralisation (132). Die geistliche Leitung der Kirche obliegt
dem Bischofsamt (441 ff). Maurer kritisiert dagegen, daß der
geistliche Charakter der Synode bisher noch zu wenig geklärt
sei (441), Synodale sich fälschlich oft als Interessenvertreter
verstünden (448) und die Gefahr einer Fehlentwicklung von
der Christokratie zur Demokratie schon historisch (19. Jh.)
vorgegeben ist (98). Der Anteil der Synode an der geistlichen
Leitung wird nicht infrage gestellt, muß im Gegenteil noch
wachsen. Erfahrungen unseres Raumes zeigen deutlich, daß
überall dort, wo Synoden darauf verzichten, Spielwiesen eines
überlebten Parlamentarismus zu sein und entschlossen Grundfragen
des Zeugnisses und Dienstes angehen, sie sich als Element
geistlicher Leitung profilieren.

Gründlich untersucht Maurer das Verhältnis von geistlicher
Leitung und Verwaltung. Letztcrc hat Anteil an der Kirchcn-
leitung (553), und je selbständiger sie ist, um so mehr kann
die Kirchenleitung geistlich leiten. Je niedriger dagegen die

Verwaltungsbehörde eingeschätzt wird, desto stärker verlagert
sich der Schwerpunkt der Kirchenleitung auf Verwaltungsaufgaben
. In dem Maße, wie die Kirchenverwaltung von der
Kirchenleitung abhängig gemacht wird, hat diese natürlich
Verwaltungsbefugnisse zu übernehmen (547 ff). Verwaltung hat
Anteil an der Kirchenleitung, das ist im evangelischen Verfassungsrecht
konstitutiv (553). Kirchenleitung mufj als eine andere
Form oder ein anderes Mittel der Verkündigung verstanden
und ausgeübt werden (124).

Maurer untersucht an verschiedenen Stellen die Rolle des
Landeskirchcntums. Dessen historische Ursache ist die Verwerfung
des kanonischen Rechts durch Luther (135). Die Kirchenhoheit
wurde so ein Stück der landesherrlichen Souveränität,
und die evangelische Christenheit hat dabei mehr Verlust als
Gewinn gehabt (143). Mit prophetischem Blick hat Melanchthon
die Schäden kommenden Landeskirchentums vorausgesehen:
die gesteigerte konfessionelle Zersplitterung und die territoriale
Selbstabschließung (258). Aber die Zeit für eine größere
Einheit ist reif (456) und z. B. im Dienstrecht zeigt sich die
anbrechende Überwindung (520). Die Landeskirchen haben die
Aufgabe, Hüterinnen des geschichtlich gewachsenen Erbes zu
sein und die Mannigfaltigkeit in der Einheit zu repräsentieren
(472). Denn Einheit in der Mannigfaltigkeit ist das Gesetz des
Leibes Christi. In der Mannigfaltigkeit zeigt sich Reichtum und
Last. Die Mannigfaltigkeit darf nicht als Restbestand eines
hassenswerten Partikularismus verachtet, aber auch nicht um
jeden Preis festgehalten werden (449 f). Für den Interessenten
aus unseren Kirchen darüber hinaus von Nutzen sind die ver-
schiedentlichen Abhandlungen zu fast allen Grundordnungsn
der Gliedkirchen unseres Kirchenbundes: mit Hilfe des guten
Registers sind sie leicht herauszufinden.

Neben den hier dargelegten Schwerpunktfragen finden
sich in Maurers Aufsätzen u. a. Überlegungen zur geistlichen
Ordnung der kirchlichen Werke (523) und zum Auftrag der
Diakonie. Der Dienst der Diakonie muß so geordnet sein, daß
er der Wahrheit der Schrift und der Not der Zeit entspricht
(28). Die Aufgabe des Bischofsamtes zur Förderung, Beratung
und Visitation der diakonischen Arbeit wird hervorgehoben
(412).

Bemerkenswert auch die Darlegungen zur Bedeutung kirchlicher
Unterweisung als erstem Recht der Kirche, zur Hausgemeinde
als Urzelle der Kirche (513) und die Erinnerung an
Luther, der den Fortgang der Reformation nicht von der Disputation
der Theologen, sondern der christlichen Erziehung
und dem Zeugnis der Kinder erwartete (277).

Insgesamt stellt sich uns Wilhelm Maurer in dieser Aufsatzsammlung
als bewußter Lutheraner und nüchterner Historiker
dar, dem immer wieder die Nutzanwendung seiner Erkenntnisse
für den praktischen Dienst der Kirche wichtig ist. Die
Verarbeitung der historischen Erfahrungen und das Bestreben,
aus dem Erbe Verständnis für heutige Zusammenhänge und
Wege für künftige Aufgaben zu finden, prägen die gut lesbaren
Aufsätze, die jeweils mit klaren Zusammenfassungen abgeschlossen
werden. Das Werk wird allen Lesern, die an den
beschriebenen Grundsatzfragen arbeiten oder auch an Impulsen
für die praktische Arbeit interessiert sind, warm empfohlen.

Berlin Manfred Stolpe

Aghiorgoussis, Maximos: Theological and historical aspects of
conciliarity: some propositions for discussion (GOTR 24,
1979 S. 5-19).

Alberigo, Guiseppc: Notes sur un nouveau projet de Loi Fondamentale
de l'Eglise (RSPhTh 62, 1978 S. 505-522).

Ausbildung von Theologen im Kirchcnrccht. Memorandum der
Arnoldshainer Konferenz (DtPfrBl 79, 1979 S. 340-341).

Baldus, Manfred: „Advocatus pauperum". Zum 675. Todestag
des Schutzpatrons der Juristen, des hl. Ivo Helori (TThZ 88,
1979 S. 43-61).

Bohnert, Joachim: Kirche, Staat und die Unmöglichkeit eines
besonderen Kirchenrechls bei Richard Rothe (ZSRG.K 96,1979
S. 217-238).