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Ausgabe:

1980

Spalte:

788-792

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Maurer, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die Kirche und ihr Recht 1980

Rezensent:

Stolpe, Manfred

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 10

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Tyrannen wie von Existenzangst, Krankheit, Schuld und Tod.
Joachim Scharfenberg fordert in seinen Ausführungen
über „Kommunikation in der Kirche als symbolische Interaktion
", daß Pastoralpsychologie und Religionspsychologie zu-
cinanderfinden sollten, um gemeinsam auf neuer Basis die
beiden „symbolischen Kommunikationsströme" in der Kirche
zusammenzuführen: die „öffentlichen" Symbole der kirchlichen
Überlieferung und die „privatisierten", mit denen es die Seel-
sorge zu tun hat. Er schreibt in der Zusammenfassung: „Das
Problem der Psychologie in der Seelsorge läßt sich meines
Erachtens nur lösen durch eine kritische Theorie ihrer eigenen
Praxis, die in der Lage wäre, die Grundkonfliktc des Menschen
zu benennen, zu analysieren und mit den in den Symbolen
gespeicherten Erfahrungen der Überlieferung in ein wechselseitiges
kritisches Verhältnis zu bringen." (53). Als Rez. werde
ich auch hier den Eindruck nicht los, daß nur noch der psychologische
Schlüssel für die Theologie und ihre Überlieferung in
Betracht gezogen wird. Ist die Pastoralpsychologie bereit, sich
ihrerseits der kritischen Anfrage von außen zu stellen?

Reinhard Köster hat als Religionssoziologc in seinem Aufsatz
„Seelsorge im Übergang von der innengeleiteten zur außen-
geleiteten Gesellschaft" die Frage aufgeworfen und beantwortet,
warum die Scclsorgebewegung und ihre neuen Ausbildungsformen
in den Kirchen der BRD während der letzten Jahre so
rasante Wirkungen erzielt haben. Wie bereits der Titel besagt,
sieht er darin einen kirchlichen Anpassungsprozeß an den
schnellen Wechsel der gesellschaftlichen Orientierungen. Gerade
im CPT und in den Selbsterfahrungsgruppen werde Außen-
lcitung eingeübt. Während Seelsorge in der traditionsgeleitetcn
Gesellschaft vor allem der Gewissensprüfung diente, äußere
sie sich heute als helfende Begleitung. Köster untersucht ferner
das Phänomen, daß die Seelsorger trotz besserer beruflicher
Qualifizierung heute doch nicht erheblich mehr in Anspruch
genommen werden als früher; das hänge z.T. mit der mitteleuropäischen
(im Unterschied zur nordamerikanischen) Mentalität
zusammen, z. T. mit den parochialen Strukturen und den
Pastoralen Rollen. Schließlich deutet Köster auch Gefahren an,
die mit dem seclsorgerlichen Anpassungsprozeß verbunden
sein könnten, die entweder in der Richtung eines Rückzuges
auf die innere Linie liegen oder zur (erneuten) Manipulation
der Intimsphäre durch die Kirche führen.

Als Rez. kann ich nur bedauern, daß eine nähere Erörterung
des Aufsatzes von Köster, der zu den interessantesten des ganzen
Buches gehört, an dieser Stelle ebensowenig möglich ist
wie bei den übrigen Beiträgen. Der Leser aus der BRD wird
sich sein eigenes Urteil bilden können. Die pastoralpsychologischen
Grundsätze und Ausbildungsformen, die der Sammcl-
band vorführt, setzen überwiegend den dortigen gesellschaftlichen
Kontext voraus und sind daher nicht ohne weiteres auf andere
Verhältnisse zu übertragen. Diejenigen, die mit der Seelsorgeausbildung
in den Kirchen der DDR befaßt sind, werden aber
die hier dargestellten Methoden und Modelle sorgsam prüfen
müssen, um das für uns Mögliche und Notwendige zu übernehmen
. Den Autoren und dem Hrsg. gebührt jedenfalls unser
Dank für ein derart instruktives Buch!

Rostock Ernst-Rüdicjcr Kicsow

Baden, Elisabeth: Sind unsere Familien noch christliche Familien
? (Kirche im Dorf 29. 1978 S. 122-137).

Bucher, Ephrem-Joscf: Wittgenstein zur religiösen Erkenntnis
(Ling Bibl 1979 Nr. 46 S. 75-105).

Degen, Johannes: Distanzierte Integration. Materialien zur
Scelsorge in den Strukturen des Krankenhauses (WzM 32,
1980 S. 2-14).

Fror, Peter: Scelsorge und Institution. Zu einem vernachlässigten
Aspekt der Krankenhausscelsorgc (WzM 32, 1980
S. 14-21).

Gay, Volney P.: Öffentlicher Ritus versus privater Behandlung
: Die Psychodynamik des Gebetes (WzM 31, 1979 S. 450
bis 469).

Goszlony, Alexander: Der Mensch in der Entwicklung (PB1
119, 1979 S. 437-452. 512-524. 571-581).

Granitzka, Siegfried u. a.: Strukturelle und individualpsychologische
Aspekte der Begleitung schwerkranker und sterbender
Tumor-Patienten (WzM 32, 1980 S. 30-41).

Hagcnmaier, Martin: Scelsorge im Krankenhaus. Arbeit im
Spannungsfeld zweier Strukturen (WzM 32, 1980 S. 22-30).

Hennig, Gerhard: Die geistliche Dimension der Scelsorge (Th
Bcitr. 10, 1979 S. 54-62).

Hcrzog-Dürck, Johanna: Beziehungen zwischen Psychotherapie
und Seelsorge (PB1 120, 1980 S. 108-127).

Hoch, Lothar Carlos: Scelsorge und Gemeinschaft. Das menschliche
Bedürfnis nach Gemeinschaft in der deutschen protestantischen
Seelsorgclitcratur von Friedrich Nicbcrgall bis in
die Gegenwart (Theol. Diss., Marburg 1979).

Jacdicke, Hans-Georg: Bachwerke im Versuchsfeld ärztlicher
Psychotherapie dargestellt am „Kleinen harmonischen Labyrinth
" (MuK 49, 1979 S. 286-293).

Kehr, Otto: Das Gewissen und die Beratung (Diakonie 1979
Beiheft 3 S. 142-148).

Knoll, Jörg: Die Veränderung des Menschen aus der Sicht der
Gcstalttherapie: Neues schöpferisch erproben (WzM 31,
1979 S. 490-495).

Stollbcrg, Dietrich: Helfen heißt Herrschen. Zum Problem seel-
sorgcrlicher Hilfe in der Kirche (WuD 15, 1979 S. 167-173).

Vandermeersch, P.: De religio en het ontstaan van de Psychiatric
. Rond de rclatic tussen theologic cn de wetenschappen
van de psychc (TTh 19, 1979 S. 329-351).

Kirchen recht

Maurer, Wilhelm: Die Kirche und ihr Recht. Gesammelte Aufsätze
zum evangelischen Kirchenrecht, hrsg. v. Gerhard Müller
u. G. Scebass. Tübingen: Mohr 1976. IX, 589 S. gr. 8°
Jus Ecclcsiasticum. Beiträge zum evang. Kirchenrecht und
zum Staatskirchcnrccht, 23. Lw. DM 56,-.

Gerhard Müller und Gottfried Seebass haben anläßlich des
75. Geburtstages von Wilhelm Maurer dessen wichtigste kir-
chcnrechtliche Aufsätze in einem Sammelband herausgegeben.
Sie umfassen den Zeitraum von 1937 bis 1968 und markieren
das Lebenswerk eines Mannes, der sich in besonderer Weise
der Wechselbeziehungen zwischen Rechtswissenschaft und Theologie
angenommen hat. Von der Position lutherischer Theologie
aus reflektiert Maurer das Grundverständnis eines evangelischen
Kirchenrechts, aber auch eine Fülle kirchenrechtlicher
Einzclfragen. So finden wir in dem Band Abhandlungen zum
Ursprung und Wesen kirchlichen Rechts, zum Zusammenhang
von Bekenntnis und Recht sowie Geist und Recht und eine
Untersuchung der Positionen von Sohm und Harnack. Daneben
stehen Aufsätze zur geistlichen Leitung der Kirche, zum Verhältnis
von Kirchenleitung und Verwaltung, zur Bedeutung
des Amtes und insbesondere des Bischofsamtes, zur Geschichte
und Rolle des Landcskirchentums und zu anderen Fragen. Aus
der Fülle des Gedankengutes kann hier nur auf einige Aspekte
eingegangen werden. Dabei sollen die Themen hervorgehoben
werden, die Maurer offenbar besonders bewegen und die
außerdem für die evangelische Kirche im Mutterland der Reformation
und unter den Bedingungen einer sozialistischen
Gesellschaft aktuell sind.

Dem Bekenntnis kommt in Maurers Überlegungen eine hervorgehobene
Rolle zu. Nachdrücklich mahnt er, über dem
aktuellen Bekennen das geschichtliche Bekenntnis nicht zu verleugnen
und die von ihm gegebene Prägung nicht leichtfertig
abzustreifen (468). Falsch sei es aber auch, das geschichtliche
Bekenntnis als eine juristische Urkunde zu verstehen, deren
Wortlaut für alle Zeiten binde, auch wenn in den Kirchenverfassungen
die Bekenntnisgebundenheit kirchlichen Rechts vorgegeben
sei (523) und aus der Entwicklung des 19. Jh. die
Bekenntnisfragen zu Rechtsfragen geworden seien (310). Es
müsse um ein Überwinden des Gegensatzes zwischen geschichtlichem
Bekenntnis und aktuellem Bekennen gehen (468). Nicht
die Rechts-, sondern die Wahrheitsfrage müsse entscheiden (325).