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Ausgabe:

1980

Spalte:

785-787

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Seelsorgeausbildung 1980

Rezensent:

Kiesow, Ernst-Rüdiger

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Ts:,

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 10

786

der westlichen Gesellschaft zur Phänomenerfassung. In der
atheistischen Welt des Sozialismus ist er mit Vorsicht zu genießen
, weil er durch Feuerbachschc Interpretation sogleich
negativ programmiert ist. Das schließt nicht aus, der Frage
nachzugehen, wie in gutem apologetischen Bemühen die Teilnehmer
kirchlicher Handlungen dort aufzusuchen sind, wo sie
mit ihren Erwartungen und Erfahrungen wirklich stehen. Doch
diese sind bei hiesigen Auswahlchristen m. E. wesentlich kräftiger
mit atheistischen Anfechtungen gefüllt. — Gewiß wäre es
der Arbeit von Z. gut bekommen, wenn sie den Begriff der
..Konversion" noch deutlicher beschrieben hätte wie auch den
damit sich für ihn verbindenden Begriff der „Kontrasoziali-
sation". Was heißt es möglichst wirklichkeitsnahe, daß eine
Minderheit von Christen sich den Zentren christlicher Wahrheit
und kirchlicher Gemeinschaft im Gegensatz zur übrigen Gesellschaft
öffnet? Die hier vorhandenen Übergänge und Phänomene
bedürfen weiterer Analyse, um auch das „Auswahlchri-
stentum" noch genauer zu sichten. Konversionschristentum ist
heute nicht nur durch Aufzählung von Negativposten gegenüber
dem Auswahlchristentum verstehbar. Inwiefern sind diese
beiden Größen eigentlich nur Hilfsvorstellungen, um das real
existierende Christentum unserer Tage in Akzenten zu sichten,
ohne daß sie überhaupt rein vorkommen, noch nicht einmal
im Idealexemplar eines katholischen Priesters bzw. evangelischen
Pfarrers (bzw. Professors)? Sind nicht alle Christen, auch
wenn sie eine Konversion durchgemacht haben, zugleich noch
immer partielle Auswahlchristcn, die der Konversion wiederum
bedürfen, bis der letzte eschatologische Vorbehalt sich nicht
nur christologisch, sondern auch anthropologisch (und kosmo-
logisch) gesehen gelöst hat? Wie ist auch das Wort von den
Ersten und Letzten angesichts der Güte Gottes (Mt 20,11)
in Anschlag zu bringen?

Ein ausführliches Literaturverzeichnis (261—279) schließt das
an Gedanken und Litcraturverarbeitung reiche Buch ab.

Berlin Friedrich Winter

Becher, Werner [Hrsg.]: Seelsorgeausbildung. Theorien, Methoden
, Modelle. Göttingen: Vandcnhoeck & Ruprecht [197(5]
241 S. gr. 8°. Kart. DM 24,-.

In der ThLZ hat A. D. Müller sich schon 1950 über „Seminaristische
Ausbildung für Seelsorge" geäußert, wie er sie seit
1934 in Leipzig praktizierte, und E. Hertzsch berichtete hier
1965 unter der Überschrift „Methodische Scclsorge" über poi-
menische Ausbildungsformen, die er aus schwedischen Erfahrungen
übernommen hatte. Diesem Problem wurde also unter
den Praktischen Theologen in der DDR seit langem eine hohe
Bedeutung beigemessen. Inszwischen haben auch unsere Kirchen
die Aufgabe der seelsorgerlichen Aus- und Weiterbildung
als dringend erkannt. Welche Methoden und Modelle dafür in
der BRD während des letzten Jahrzehnts zur Anwendung
gekommen sind, zeigt der vorliegende Sammclband.

Der Hrsg. skizziert in der Einleitung kurz die bisherige
Entwicklung, unter Hinweis auf früher erschienene Literatur,
die im einzelnen schon recht umfangreich ist (vgl. die Liste
mit etwa 47 Titeln am Ende des Buches), und auf die Ergebnisse
empirischer Untersuchungen zur Rolle des Seelsorgers.
In vierzehn Originalbeiträgen (darunter drei theoretische Artikel
, von denen noch zu reden sein wird), überwiegend von
Mitgliedern der „Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie
" verfaßt, erhält der Leser ein repräsentatives Bild von der
Ausbildungspraxis auf diesem Gebiet und den ihr zugrundeliegenden
Prinzipien.

Über „Die Gesprächsprotokollanalyse" schreibt der Hrsg.
selbst, dann folgen Hans-Christoph Piper „Die Predigtanalyse
", Reinhard M i e t h n e r „Das Rollenspiel" und Klaus
W i n k 1 c r „Die Selbsterfahrungsgruppc". Das Kollektiv „f ö r-
d e b 1 i c k" berichtet über „Die pastoralpsychologischc Ausbildung
an der Christian-Albrcchts-Universität in Kiel", Friedrich-
Wilhelm L i n d c m a n n über „Die pastoralpsychologischc Ausbildung
der Vikare in der Evangelisch-lutherischen Landeskirche
Hannovers", Mario Muck über „Balintgruppen mit

Gemeindepfarrern im Sigmund-Freud-Institut Frankfurt/Main",
Hans-Joachim Wachsmuth über „Klinische Seelsorgcaus-
bildung für Krankenhauspfarrer im Seelsorgeinstitut an der
Kirchlichen Hochschule Bethel", Jörg F. Sandberger über
„Fortbildung in scclsorgcrlicher Praxis am Evangelischen Zcn-
tralinstitut für Familienberatung in Berlin", Guido N. G r o c -
ger über „Ausbildung für Mitarbeiter in der Eheberatung
am Evangelischen Zentralinstitut für Familienbcratung in Berlin
" und Helmut Harsch über „Ausbildung zur Telcfonsccl-
sorge" (die als einzige in dieser Reihe im wesentlichen für
„Laien" in nebenamtlicher Tätigkeit gedacht ist). — Am Schluß
findet der Leser die genauen „Ausbildungsrichtlinien" der
Deutschen Gesellschaft für Pastoralpsychologie und ihrer vier
Sektionen (Tiefenpsychologie, Klinische Seelsorgeausbildung,
Gruppendynamik/Sozialpsychologie sowie Kommunikationsund
Verhaltcnspsychologie).

Aus diesen Standards und den vorher geschilderten Modellen
ist zu entnehmen, daß die poimenische Ausbildung in beachtlicher
Weise umfassend und tiefgründig erfolgt und an die
Bewerber große zeitliche, charakterlichc und intellektuelle Ansprüche
gestellt werden. Z. B. sind schon für die Grundausbildung
in der Klinischen Scclsorge drei Kurse zu je zwölf
Wochen und zwei Jahre selbständiger Seelsorgepraxis erforderlich
; für künftige Supervisoren kommen mindestens noch drei
Kurse von insgesamt dreißig Wochen hinzu, außerdem ein
theoretischer Themenkatalog, der an Umfang einem vollen
Studium der Praktischen Theologie, der Tiefenpsychologie und
der Psychotherapie gleicht. Auf dem Papier liest sich dies alles
recht beeindruckend; als ein Außenseiter mit lediglich lchr-
analytischer und gruppenpsychotherapeutischer Teilausbildung
nehme ich dennoch an, daß auch bei solchen beinahe perfektio-
nistisch wirkenden Richtlinien schließlich nur mit Wasser
gekocht wird.

Aber aus der Ferne lassen sich die Ausbildungsmodcllc
natürlich nicht sachgemäß beurteilen. Am nächsten (auch in der
Luftlinie!) läge vielleicht eine Stellungnahme zu der Kieler
Konzeption, zumal sie die einzige unter den hier beschriebenen
ist, die nicht eine Zusatzausbildung für Seelsorger, sondern dia
Grundausbildung der Theologen betrifft. Bei diesem Beispiel
wird mir nicht klar genug gesagt, wie die pastoralpsychologischc
sich zur gesamttheologischen Ausbildung verhält. Obwohl
von einer „hochschuldidaktischen Arbeitsgemeinschaft der Fakultät
" die Rede ist und von der Beteiligung anderer Fachvertreter
an den praktisch-theologischen Projekten, werden doch
erhebliche „Widerstände vor allem unter den Ordinarien"
angedeutet" (147). Waren ihre Gegenargumente studienorganisatorischer
oder mehr prinzipieller Art? Der Leser würde es
gern erfahren. Denn nach der Lektüre des ganzen Buches
könnte der Eindruck zurückbleiben, daß die Pastoralpsycholo-
gic in der Gefahr steht, das Monopol nicht nur für den Zugang
zur seelsorgerlichen Praxis, sondern zur Theologie überhaupt
zu beanspruchen. Früher - und manchenorts gewiß noch immer
— neigte man dazu, die historisch-kritische oder die existenzphilosophische
oder die charismatisch-kerygmatischc Methode
als Ausgangspunkt für die pastorale Verkündigung und
Theologie absolut zu setzen. Denselben Fehler sollte man heute
nicht wiederholen, sondern einsehen und zugestehen, daß es
mehrere Zugangsmöglichkeiten zur theologischen Existenz gibt,
die in Studium und Praxis zugleich oder nacheinander realisiert
werden, vom einen mehr und vom anderen weniger. Daß
dabei dem empirischen Weg, den die Pastoralpsychologic beschreitet
, gegenwärtig ein gewisser Vorrang gebührt (vgl. den
Beitrag von Köster), sei unbestritten. Nur wäre es gut, wenn
in einem Sammelband, der an vielen Stellen nicht nur methodische
, sondern auch inhaltlich-theologische Probleme erörtert,
das Recht der anderen Wege ausdrücklich erwähnt (und vielleicht
auch einmal untersucht) würde.

Auch die drei theoretischen Beiträge am Anfang des Buches
geben zu der soeben erwähnten Fragestellung keinen näheren
Aufschluß, obwohl sie sie indirekt mehrfach berühren. Richard
R i c s s behandelt die „Entdämonisicrung Gottes als Entdämo-
nisierung des Lebens" und zielt auf eine Seelsorge ab, die
Befreiung bringt sowohl von der Angst vor dem göttlichen