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Ausgabe:

1980

Spalte:

777-778

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Titel/Untertitel:

Christen und Marxisten im Friedensgespräch, II 1980

Rezensent:

Kretzschmar, Gottfried

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Seite 1

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777

Theologische I.iteraturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 10

77s

zuhalten. Die vom Vf. im Vorwort erwähnte Absicht, den Leser
zum selbständigen Weiterdenken zu veranlassen, wird durch
die straffe Gliederung und die übersichtliche Anlage des Buches
gut unterstützt.

Leipzig Joachim Wicbcrinq

Christen und Marxisten im Friedensgespräch, II. Materialien
dreier wissenschaftlicher Symposien. Hrsg. vom Institut für
Friedensforschung und vom Internationalen Institut für den
Frieden. Wien-Freiburg-Basel: Herder [1979]. IV, 344 S. 8°.
Kart. ö.S. 268,-; DM 38,50.

Dieser zweite Band der Friedensgespräche setzt nach Form
und Inhalt das Anliegen seines 1976 erschienenen Vorgängers
fort. (s. ThLZ 103, 1978 Sp. 843-845). Auch diesmal wird der
Leser mit den Protokollen dreier wissenschaftlicher Symposien
vertraut gemacht, die über weitere Bemühungen christlicher
und marxistischer Gelehrter informieren, eine gemeinsame
Gesprächs- und Verstchcnsbasis zu schaffen. Dafj diese Sympc
sien seit 1971 stattfinden, weist jedenfalls darauf hin, dafj
Gesprächsbereitschaft auf beiden Seiten besteht und dafj die
Fortsetzung dieser Arbeit als wichtig und sinnvoll angesehen
wird.

Eröffnet wird dieser Band mit einem Beitrag von Kardinal
Franz König „Der Dialog und das Vatikanische Sekretariat
für die Nichtglaubcndcn". Kardinal König, der zugleich dem
„Sekretariat für die Nichtglaubcndcn" in Rom vorstand, gibt hier
einen kurzen Abriß über Geschichte und Sinn dieser Institution
und bezeichnet den Dialog als „Schlüsselwort des Zeitbewußtseins
".

Der erste Teil des Buches gibt dann die Referate und Dis-
kussionsbeiträge wieder, wie sie auf dem Symposium in Tutzing
(BRD) vom 17.-20.11.1975 gehalten wurden. Das Ta-
gungsthema „Friedliche Koexistenz und sozialer Fortschritt"
leitete der Fuldaer Moraltheologe Peter Inhoffen ein. Sein
Vortrag „Fortschritt — im christlichen Denken heute" umriß
zunächst den Wandlungsprozefj in der Gesellschaft, um sich
danach dem Fortschrittsgedanken unter verschiedenen Aspekten
zuzuwenden. Dabei zeigte dieser katholische Theologe immer
wieder seine Übereinstimmung mit wichtigen Dokumenten des
II. Vatikanischen Konzils, die er umsichtig interpretierte. Als
Ziel menschlichen Fortschritts nennt er „Personalisation durch
Sozialisation" (17), natürlich in dem Sinne, wie das Konzil
diese Begriffe auffaßt.

Von anderen weltanschaulichen Positionen herkommend, aber
auch in der Diktion einfacher und durchsichtiger ist das zweite
Referat dieser Tagung gewesen, das Alexander G a 1 k i n , Professor
am Institut für Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung
in Moskau, gehalten hat. In seinem Thema „Entspannung
und sozialer Fortschritt" umriß er die marxistische
Position zu entscheidenden Fragen der Wcltpolitik. Als einen
unveräußerlichen Bestandteil des sozialen Fortschritts nannte
er „radikale Gesundung der Umwelt, Lösung der Bevölkcrungs-
probleme, Liquidierung des Hungers und allgemein eines
asozialen Verbrauchsniveaus in vielen Regionen der Welt, Erhöhung
des Umfangs und der Qualität der Bildung, endgültige Verbannung
der ansteckenden Krankheiten und anderer Erkrankungen
aus dem Leben der menschlichen Gesellschaft usw." (39).

In den vierzehn Diskussionsbeiträgen (darunter zwei aus der
DDR: Prof. Herbert B e r t s c h als Marxist und Prof. Moritz
als Christ) wurden sowohl die Divergenzen als auch die Gemeinsamkeiten
deutlich ausgesprochen. Allein aber so sind
„Fortschritte im wechselseitigen Verstehen und in der Erkenntnis
der Argumentationsweisen der Partner" zu machen, wie
in seinem Schlußwort Prof. Walter Hollitscherals Marxist
und Kanzler des Internationalen Instituts für den Frieden in
Wien zutreffend bemerkte (74).

Der zweite Teil des Buches ist dem Symposium „Friedliche
Koexistenz und die Erziehung der Jugend zum Frieden" gewidmet
. Es fand, erstmals gemeinsam mit dem Institut für
Internationale Verständigung in Rosemont (Philadelphia), USA,
veranstaltet, vom 10.—13.1. 1977 in Rosemont statt.

Als erster Referent sprach Juri Samoschkin, Professor
am Institut für Geschichte der Internationalen Arbeiterbewegung
in Moskau, zu dem Thema der Gesamttagung. Neben
grundsätzlichen Ausführungen zur Politik der Sowjetunion
zeigte er dann u.a. an einem Lehrbuch der „Gesellschaftskunde",
das in den Schulen der UdSSR eingeführt ist, wie konkret den
Heranwachsenden Prinzipien der friedlichen Koexistenz dargeboten
werden.

Das zweite Referat hielt Prof. Charles West vom Princeton
Thcological Seminary (USA). Er wies einleitend auf das Problem
hin, „daß unser verschiedenartiges Verständnis dessen,
was zum Frieden gehört, uns zueinander in Konflikt bringt" (97).

Nach theologisch-biblischen Erwägungen konkretisierte der
Redner seine Vorstellungen von der Verwirklichung des Friedens
unter spezieller Berücksichtigung der Themenkreise Wettrüsten
und Herausforderung der Dritten Welt (s. 110 f).

Der Erziehungswisscnschaftler Christoph Wulf aus Siegen
(BRD) zeigte als dritter Tagungsreferent „Perspektiven für
eine kritische Friedenserziehung" auf, indem er acht „Lcrn-
zicle" nannte, die als Aufgabe für schulische Erziehung zum
Frieden gelten können: Gesellschaft, Interessen, Emanzipation,
Strukturelle Gewalt und Herrschaft, Konflikt, Aggression, Vorurteil
sowie Internationales System und Krieg.

Auch hier verrät die Diskussion zwischen Christen und
Marxisten Unterschiedlichkeiten, die im weltanschaulich-glaubensmäßigen
Bereich ihre Wurzeln haben, und Gemeinsamkeiten
, die sich etwa in dem Wissen um die Verantwortung
für eine Jugenderziehung im Geiste des Friedens artikulieren.
Als DDR-Vertreter beteiligten sich an der Diskussion Prof.
Max Schmidt als Marxist und Adolf Niggemeier als
katholischer Abgeordneter der Volkskammer. Anhangsweise
werden auch noch ausgewählte Wortmeldungen aus der anschließenden
Konferenz „Aspekte der Entspannung" abgedruckt.

Der letzte Teil des Buches spiegelt das Symposium „Probleme
der Abrüstung aus der Position verschiedener Weltanschauungen
" wider. Es fand vom 24.-27. 4. 1978 in Kischincw
(UdSSR) statt. Hier gab Prof. Rudolf Weiler als Vorstand
des Instituts für Friedensforschung an der Universität Wien
(neben Walter Hollitscher der Initiator dieser Arbeitsgemeinschaft
) einleitend einen instruktiven Beitrag unter dem Thema
„Die katholische Kirche und die katholische Soziallehre zur
Abrüstung". Diesen Darlegungen ist ein Anhang beigegeben,
in dem „Beispiele kirchlicher Aktivitäten zur Abrüstung" (218
bis 221) aufgeführt werden.

Das zweite Referat hielt der Vizepräsident des Internationalen
Instituts für den Frieden Oleg Bykow aus Moskau. In
seinem Vortrag „Die Eindämmung des Wettrüstens, das Gebot
unserer Zeit" nannte er Hindernisse auf dem Wege der Entspannung
ebenso wie Bemühungen, das Wettrüsten einzudämmen
. „Die Verwirklichung des ewigen Traums der Menschheit
von einem dauerhaften Frieden liegt im Bereich des real
Vci wirklichbarcn" (237).

David H u n t e r schließlich, vom Rat für religiöse und internationale
Angelegenheiten in New York, sprach zu dem Thema
„Eine christliche Perspektive für Konflikt und Abrüstung",
und auch er bekannte sich, bei aller Betonung der Unterschiede
zwischen sozialistischen und kapitalistischen Staaten, zu dem
gemeinsamen Ziel, das es anzustreben gilt: Friede und Gerechtigkeit
.

Die 26 Diskussionsbeiträge, neben Prof. Bertschs auch der
von Prof. Jensscn und dem Katholiken Guskc, Chefredakteur der
„begegnung", aus der DDR, verraten, daß trotz verschiedener
Wertsysteme und Überzeugungen Einigkeit darin besteht, daß
die Drohungen des Kalten Krieges zu verschwinden haben
und daß es zur politischen und militärischen Entspannung
kommen muß. Dies erfordert den Stopp des Wettrüstens und
die schrittweise Abrüstung mit dem Ziel der vollständigen
Abrüstung.

Insgesamt wird man nicht nur dieses Friedensforum, sondern
auch die Publikation der Dokumente wärmstens begrüßen
können.

Leipzig Gottfried Kretzschrrur