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Ausgabe:

1980

Spalte:

775-777

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Schulze, Hans

Titel/Untertitel:

Theologische Sozialethik 1980

Rezensent:

Wiebering, Joachim

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775 Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 10 776

Vätern treten" (343 f). Mit Verwunderung liest man auch Satze
wie: „Wo immer die Ich-Du-Beziehung in der Theologie eingeführt
worden ist, um das Verhältnis zwischen Gott und
Christus und zwischen Gott und den Menschen zu beschreiben,
hat es stets ein autoritatives Gefälle besessen" (348).

Christlichen Glauben sieht Sp. überhaupt mehr in der christlichen
Wertcordnung als in den Glaubensartikeln der Dogma-
tiker. Und sicher kann dies manchem heutigen Menschen einen
neuen Zugang zum Christentum eröffnen. Die Erwartung des
zweiten Bandes möchte man indes mit der Erinnerung an das
Lutherwort verbinden: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr
über alle Dinge und Niemand Untertan; Ein Christcnmcnsch
ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und Jedermann Untertan."

Berlin Hans-Georg Fritzsche

Schulze, Hans: Theologische Sozialethik. Grundlegung, Methodik
, Programmatik. Gütersloh : Gütersloher Vcrlagshaus Gerd
Mohn [1979], 392 S. gr. 8°. Lw. DM 38,-.

Seit längerer Zeit formiert sich innerhalb der theologischen
Disziplinen ein neues Fach, nämlich die theologische Sozial-
ethik. Dabei handelt es sich entweder um eine Ausdrucksform
der Emanzipation der Ethik von der Unterordnung unter die
Dogmatik, durch die den eigenen Fragestellungen und methodischen
Ansätzen der Ethik besser Rechnung getragen werden
soll, oder es geht um eine neue Weise der Kooperation der
Theologie mit anderen Wissenschaften, mit denen sich ein
Dialog als nötig erwiesen hat. Im ersten Falle wird der traditionelle
Stoff der theologischen Ethik unter besonderer Berücksichtigung
der sozialen Implikationen vorgetragen (wie das
z. B. in Ernst Wolfs nachgelassener „Sozialethik" geschieht),
im zweiten Falle steht der Dialog mit der Soziologie und
anderen Wissenschaften im Vordergrund. Im letzteren Sinne
ist das anzuzeigende Buch des inzwischen emeritierten Professors
für Christliche Sozialethik an der Universität Erlangen
Hans Schulze zu verstehen.

Nach dem Vf. ist Sozialcthik eine „Handlungswisscnschaft
sui generis", die sich besonders mit der Frage befaßt, „wie
sich ein aus dem wahren Glauben ergebendes richtiges Handeln
auf die Rahmenbedingungen bezieht, die das Dasein des heutigen
Menschen bestimmen" (36 f). Diesen Rahmenbedingungen,
gesellschaftlichen Strukturen und sozialen Relevanzen hat dij
theologische Ethik zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Sie
hat vor allem das personale Ethos bedacht, während die theologische
Sozialethik sich gerade dem sozialen und dem politischen
Ethos zuwendet, bei dem es um die ethische Qualität
der Strukturen und die politischen Konsequenzen des Handelns
der einzelnen wie der Kirche geht. So vermittelt Sozialethik
zwischen den Humanwissenschaften auf der einen und den
klassischen theologischen Disziplinen auf der anderen Seite.

Um die theologische Sozialethik als „theologisch" auszuweisen
, schaltet der Vf. eine breite Reflexion über Religion,
natürliche Theologie und Gottesbegriff vor, die in der These
gipfelt. „daß es das Recht jeder Epoche ist, den Gottesbegriff
im Licht einer Perspektive zu sehen, welche ihre Wurzeln in
einer speziellen sozialen Lage hat, und damit eigene Traditionen
, Sprach- und Vorstellungsmuster zu begründen" (56).
Die Sozialethik mufj diese „Interdependenz zwischen Gottesbegriff
und Gesellschaftsstruktur" erhellen. Noch breiter wird
die Anthropologie von dem dogmarischen Begriff der Gottcbcn-
bildlichkeit her entfaltet. Der Leser kommt dabei fast zu der
Überzeugung, dar} hier wieder zu der traditionellen Behandlung
der Ethik unter dem Primat dogmatischer Kategorien
geführt wird, wenn aus dem Aspekt der Ebenbildlichkeit eine
Integration von funktionalem (Herrschaftsposition des Men
sehen über die Erde), ethischem (im Sinne einer individuellen
Wcltzuwendung) und partnerschaftlichem (vor allem in der
Doppclcxistenz von Mann und Frau) Aspekt abgeleitet wird,
die nun noch als Analogie zum dogmatischen Topos der Tri-
nitätslehrc verstanden wird (96).

Das ändert sich in dem Paragraphen der sozialcthischcn
Methodik, weil nun das besondere Profil der Sozialcthik stärker
zum Vorschein kommt. Der Vf. bezeichnet nach einem instruktiven
Durchblick durch die verschiedenen Modelle der theologischen
Tradition seine eigene Methode als eine „dialogische",
insofern es ihm um das „Gespräch zwischen dem Evangelium
und der Welt der Sachverhalte" geht (123). Dieses Gespräch ist
allerdings nur dann sinnvoll, wenn eine „vorlaufende Formierung
einer theologischen Position" (131) stattgefunden hat,
die auf dem Wege über eine Strukturanalogic ein ethisches
Kriterium ergibt. So kommt es zu „mittleren Axiomen" wie
etwa den Begriffen der Menschlichkeit, Partnerschaft, Freiheit,
Frieden, Teilhabe, die nun vom christlichen Glauben her auszulegen
sind. Mit der Einführung solcher mittleren Axiome als
Vermittlungsinstanzcn kann es zu „Überschritten" vom Glauben
zur Gesellschaft kommen, d. h. zu einer Weltgestaltung
aus Impulsen des Glaubens. Schließlich sind die mittleren
Axiome die nötige Stufe zu Handlungsanweisungen, „wenn sie
im Blick auf die neuralgischen Punkte der Gescllschaftsstruktur
und auf die Lösung anstehender Probleme ausgelegt werden"
(251). Die Beziehung des Glaubens auf die Welt der Sachverhalte
kann immer nur mittelbar sein.

Als Modell solcher Vermittlung kann die Rolle der Kirche
in der Gesellschaft gelten. „In der Form von Kirche vollzieht
das Reich Gottes den Überschritt in den Weltzusammenhang,
wird die Kraft des Geistes aktuell" (180). Kirche wird dabei
nicht nach ihrem Wesen befragt, sondern unter dem Aspekt
betrachtet, wie in ihr die Vermittlung des Glaubens in die
Gesellschaft stattfindet. Das geschieht kaum in den herkömmlichen
Formen des Gottesdienstes mit ihrem Mangel an Kommunikation
, sondern eher durch das Zusammenleben in Gruppen
, wobei es zu Informationsverarbeitung, gegenseitiger Beratung
und zu neuen Weisen der Interaktion kommt. Deswegen
setzt sich der Vf. für gruppenspezifische Formen der Gcmein-
dearbeit ein (Hauskreise, Tagungen) und wehrt den Vorwurf
ab, daß es sich dabei nur um „Vorhofarbcit" handle. Äußerungen
zu gesellschaftlichen Fragen kann die Kirche nur als
Dialogpartner formulieren, nicht mit dem Anspruch einer direkten
Ableitung aus dem Evangelium.

Im letzten Paragraphen erst erörtert der Vf. „Aspekte einer
theologischen Ethik des Politischen" und untersucht die umstrittenen
Beziehungen zwischen Kirche und Politik. Er plädiert
dafür, daß das Evangelium eine politische Dimension hat,
vor allem auf dem Felde der politischen Bewußtseinsbildung.
„Die Kirche kann und soll sich unter Berufung auf das Evangelium
und das diesem zugrundeliegende Gottes- und Menschenbild
an dem Ringen, was ethisch als gut und böse gelten
soll, was als richtig oder falsch anzusehen ist, beteiligen und
dafür Orientierung anbieten" (313). Ist das nach dem methodischen
Konzept des Vf. konsequent? Hier wird wieder generell
auf das Evangelium verwiesen und daraus eine eindeutige
Orientierung erwartet. Der Leser wünscht sich nun eigentlich
eine systematische Darstellung der mittleren Axiome, mit deren
Hilfe das Evangelium in die Politik vermittelt werden kann.
Doch die Kategorien der Haushalterschaft, der Menschlichkeit,
der Freiheit und der Soziabilität, mit denen der folgende Pro-
blcmkatalog gegliedert wird, wirken eher willkürlich ausgewählt
. Da es dem Vf. ausdrücklich weniger darauf ankommt,
„Antworten zu geben, als vielmehr darauf, die richtigen Fragen
zu stellen" (323), wird nicht sichtbar, wie es dabei gelingen
soll, eine klare Orientierung oder gar einsichtige Normen zu
gewinnen. Der Leser gewinnt vielmehr den Eindruck, daß die
theologische Sozialcthik nicht über die Pluralität von Handlungsrichtlinien
hinauskommt, die sich angesichts der Vielfalt
der Situationen und Informationen herausbilden, und der Dialog
mit der Soziologie wohl das Problembewußtscin schärft, doch
die Entscheidungsfindung weiter erschwert. Zweifellos enthält
das Buch eine Fülle von Anstößen zum Nachdenken und bietet
über den Dialog zwischen Theologie und Soziologie hinaus,
wie er bereits in manchen Veröffentlichungen in der BRD geführt
worden ist, den beachtlichen Versuch, den theologischen
Charakter der Sozialcthik durch den Rückgriff auf das vorethische
Grundercignis der Versöhnung in Jesus Christus fest-