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Ausgabe:

1980

Spalte:

759-761

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Davidson, James West

Titel/Untertitel:

The logic of millennial thought 1980

Rezensent:

Wendelborn, Gert

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759

Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 10

7(ili

Rcymond, Bernard: Redecouvrir Samuel Vincent (EThR 54,
1979 S. 411-423).

Stalder, Robert: Von der Aufklärung zum christlichen Menschenbild
? Zum 250. Geburtsjahr Moses Mendelssohns (StZ
104, 1979 S. 753-766).

Dogmsn- und Theologiegeschichte

Davidson, James West: The Logic of Millennial Thought.

Eighteenth-Century New England. New Häven - London:
Yale University Press 1977. XII, 308 S. 8° = Yale Historical
Publications, Miscellany, 112. Lw. £ 12,60.

Es ist wohlbekannt, daß Auslegung der Offenbarung des
Johannes und Millenniumsvorstellungen bei vielen Theologen
und Pfarrern der Neu-England-Kolonien, der späteren USA, im
18. Jh. eine bedeutsame Rolle spielten. Zwar hütete sich die
große Mehrzahl dieser Gottesmänner vor allzu konkreten Berechnungen
, Voraussagen und Interpretationen, doch waren so
hervorragende Theologen wie Cotton Mather, Jonathan Edwards
und sein Enkel Timothy Dwight in dieser Hinsicht stark
engagiert. Mather glaubte zeitweilig, daß Gott ihn selbst als
wesentliches Instrument bei der Erfüllung seiner apokalyptischen
Verheißungen gebrauchen werde; er konnte 1692 in einem
Buch öffentlich verkünden, daß das 2. Kommen Christi schon
für das Jahr 1697 erwartet werden müsse, also unmittelbar
bevorstehe. In vielen Gemeinden fanden — z. T. mehr als ein
halbes Jahrhundert lang — ständige Gebetsversammlungen
zur Beschleunigung der Wiederkunft Christi statt. Edwards
bemühte sich um eine ständige apkl. Deutung zeitgeschichtlicher
Ereignisse in seinem Tagebuch. Er, der Repräsentant der
Großen Erweckung, war zugleich einer der ersten US-Theologen
, die dem Millenniumsgedanken einen optimistischen und
aktivistischen Akzent gaben, was der originellen Verbindung
erwecklicher und aufklärerischer Gedanken in seiner Theologie
entspricht.

Man nahm seit je neben vielerlei Gemeinsamkeiten mannigfache
Differenzen in der Auslegung der Apk durch diese Theologen
wahr, wobei vielfältige Anregungen englischer und
schottischer Theologen aufgegriffen wurden. Doch beschränkte
man sich gemeinhin darauf, zwischen Prä- und Postmillennia-
lismus zu unterscheiden. Der entscheidende Differenzpunkt
war dabei die Frage, ob das 1000jährige Reich der Vollkommenheit
auf Erden bereits vor oder erst nach der Wiederkunft
Christi auf Erden sich realisieren werde, ob mithin die Herrschaft
Christi in ihm geistlich-bildhaft oder real-körperlich zu
verstehen sei. Während die Prämillennialisten die entscheidende
Veränderung allein von Gottes supranaturalem Handeln
erwarteten, mit scharfen Brüchen und Katastrophen in der
Geschichte rechneten und den Gläubigen die wesentlich passive
Rolle des geduldigen Wartens zuerkannten, glaubten die Post-
millennialisten an die Möglichkeit und Notwendigkeit der
aktiven Mitwirkung des Menschen bei der Heraufführung des
Zustandes der Vollkommenheit auf Erden, an Gottes Bindung
an die natürlichen Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten in
Natur und Geschichte und an den allmählichen Reifeprozeß
der Menschheit ohne harte Brüche.

Davidson weist überzeugend nach, daß dieses Schema wohl
für das 19. Jh. zutrifft, für die Erfassung des Standortes der
Neu-England-Theologen im 18. Jh. aber letztlich ungeeignet
ist. Auf der Grundlage der subtilen Einzelinterpretation einer
schier unerschöpflichen Zahl von Quellen, die der Rez. mit der
respektvollen Anerkennung einer großen wissenschaftlichen
Leistung vermerkt, zeigt er, daß es unmöglich ist, die damaligen
Millenniumserwartungen so säuberlich zu trennen. Ihm
muß es folglich darum gehen, die Spezifik der apkl. Vorstellungen
im 18. Jh. zu erhellen und diese sowohl von der puritanischen
Reich-Gottes-Erwartung im 17. Jh. wie von der Polarisierung
im 19. Jh. sorgfältig zu unterscheiden. Anders formuliert
, fragt er nach der inneren Logik der auf den ersten Blick

so verwirrenden Vielzahl von Auslegungen der Apk in dieser
Zeit. Richtig weist er darauf hin, daß diese Auslegungen von
uns nicht als bloße Mittel zu innerweltlichen Zielen mißverstanden
, sondern als subjektiv ehrliche Überzeugungen ernstgenommen
werden müssen, so fremdartig uns diese heute auch
anmuten mögen. Vf. läßt keinen Zweifel daran, daß die christlichen
Überzeugungen in den Neu-England-Kolonien des 18. Jh.
dem 1. Jh. als dem Zeitpunkt der Abfassung der Apk näher
standen als unserer Zeit. Im übrigen zeigt er, daß die apkl.
Drohungen und Verheißungen auch von damaligen Christen
durchaus nicht als selbstverständlich übernommen werden
konnten, sondern daß deren Anstoß auch damals in glaubendem
Gehorsam überwunden werden mußte.

Das entscheidende Ergebnis dieses Buches ist der Nachweis,
daß als das Proprium der apkl. Erwartungen im 18. Jh. das
affliktive Fortschrittsmodell zu betrachten ist, das die geschichtlichen
Abläufe nach Analogie der persönlichen Glauben^-
geschichte verstehen lehrte. So wie Gott am einzelnen Glaubenden
stets durch das Gericht wie durch die Gnade wirkt und
eine Erneuerung nur in bußfertiger Absage an das alte, sündhafte
Ich in der Imitatio Christi denkbar ist, gibt es auch in
der Weltgeschichte niemals eine konfliktfreie Aufwärtsentwicklung
. Mithin verbietet sich bei der Auslegung der Apk sowohl
eine rein optimistische als auch eine rein pessimistische Geschichtsbetrachtung
und also die Verabsolutierung prä- oder
auch postmillennialistischer Interpretationsmuster. Die glaubende
Gemeinde muß vielmehr wissen, daß gerade die bevorstehende
Wiederkehr Christi auch eine verstärkte Aktivität der
antichristlichen Mächte mit sich bringt, daß also die Versuchungen
und Gefahren für sie in nächster Zukunft nicht etwa
ab-, sondern noch bedeutend zunehmen werden. Zugleich aber
gilt es, an die freilich weithin noch verborgene Allmacht Christi
gerade in dieser Zeit letztgültiger geschichtlicher Entscheidung
fest zu glauben und in der Kraft eines solchen Glaubens den
Kampf gegen alle satanischen Kräfte siegreich zu bestehen.

Dieser Standpunkt hatte sich besonders in der zweiten Hälfte
des 18. Jh. angesichts konkreter zeitgeschichtlicher Spannungen
immer neu zu bewähren. Er verhinderte einerseits, die Große
Erweckung schwärmerisch als Einleitung oder gar Vorwegnahme
der Endereignisse zu begreifen und sich unkontrollierten
und illusionären emotionalen Ausbrüchen zu überlassen. Er
half andererseits in den 50er und frühen 60er Jahren des 18. Jh.
in der Zeit kriegerischer Auseinandersetzung mit Franzosen
und Indianern, die zeitweilige akute Gefahr französischer und
damit katholischer Einkreisung innerlich durchzustehen und
den englischen Sieg als wunderbare Befreiung aus dieser Gefahr
aufzufassen. Die bald darauf sich vollziehenden revolutionären
Ereignisse, die zur Loslösung vom britischen Mutterland
und zur Staatsgründung führten, waren naturgemäß gc
eignet, optimistische Erwartungen in die Zukunft des eigenen
Landes wesentlich zu verstärken und diesen eine republikanisch
-demokratische wie freiheitliche Färbung zu geben, ohne
daß man sich auf Dauer in einer religiösen Überhöhung geschichtlicher
Abläufe verloren hätte. Vf. weist nach, wie auch in
diesem Fall ungeachtet der beträchtlichen Verstärkung post-
millennialer Gedanken der beharrlich nachwirkende affliktive
Millennialismus die Nüchternheit gegenüber den konkreten
geschichtlichen Ereignissen und Prozessen bewahren half.

Die Französische Revolution stellte die Neu-England-Theologen
vor besondere Probleme. Bis etwa 1795 standen sie dieser
durchweg positiv gegenüber, da der Sieg der französischen
Revolutionäre mit der Niederlage der als Hure Babylon betrachteten
Römisch-Katholischen Kirche gleichgesetzt wurde.
Der revolutionäre Terror auf dem Höhepunkt dieser Revolution
aber führte weithin zu einer Verteufelung nicht nur der Revolutionäre
, sondern aller aufklärerisch gesonnenen Christen.
Immerhin konnte man auch jetzt auf Grund des affliktiven
Geschichtsmodells das revolutionäre Wirken in seiner säkula-
ristischen Form als letztlich im Dienst des Heilswillens Gottes
stehend begreifen.

Es waren nicht eigentlich die liberalen Theologen an der
Wende zum 19. Jh., die zu einem systematisierten und kohärenten
postmillennialistischen Gedankensystem übergingen;