Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1980

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

757

Theologische Literaturzeitung 10.r). Jahrgang 1980 Nr. 10

758

Gastpary, Woldemar: Bischof Bursche und die polnische Sache.

Aus dem Poln. v. K. Eckert, deutsche Fassung v. G. Bassarak
bearb. Berlin: Union Verlag [1979]. 151 S. 8°. Kart. M 6,80.

Der bekannte evangelische Theologe und langjährige Rektor
der Theologischen Akademie in Warschau stellt in diesem Buch
dar, wie der evangelische Bischof Bursche (Warschau) sich für
Polen eingesetzt und für Polen gelitten hat. Die verbreitete
Gleichsetzung von polnisch und katholisch einerseits sowie von
deutsch und evangelisch andererseits soll korrigiert werden. Die
Zielsetzung des Buches gilt also primär polnischen Lesern. Aber
auch der deutsche Leser wird diese Darstellung mit innerer Bewegung
aufnehmen und sie kaum aus der Hand legen, ohne
gespannt bis zu Ende gelesen zu haben. Gastpary war ein
enger Mitarbeiter seines Bischofs Bursche, er war daher wie
kein anderer berufen, diese Lebensgeschichte nachzuzeichnen.

G. beginnt mit der Lage im Königreich Polen nach 1830. Um
national-polnische Tendenzen zu verhindern, lag der zaristischen
Regierung daran, „den deutschen Charakter der Evangelischen
Kirche Augsburger Konfession zu erhalten" (23). Julius
Bursche (geb. 1862) wuchs in einem evangelischen Pfarrhaus
in Polen heran, besuchte das Gymnasium in Warschau und
studierte Theologie in Dorpat, wo die Vorlesungen in deutscher
Sprache abgehalten wurden. Bursche hielt sich jedoch zum Konvent
„Polonia". In Warschau wurde er 1884 ordiniert. Die
blühende Gemeinde baute Schulen und karitative Einrichtungen
. 1888 übernahm B. „die Aufsichtspflicht über die Gemein-
deschulcn und das Diakonat" (31). 1895 wurde er Konsistorial-
rat, 1904 Generalsuperintendent. Ihm unterstanden 64 Parochien
und 38 Filialen mit 61 Geistlichen, die rund eine halbe Million
Gläubige versorgten (38). Beim Ausbruch des 1. Weltkrieges
sah das zaristische Rußland in allen Protestanten zugleich
Deutsche und Landesfeinde, auch Bursche wurde verschleppt.
1917 gelangte er nach Stockholm, 1918 kehrte er heim, der
Übergang zu einem selbständigen Polen stand bevor. Als Mitglied
des 110 Mitglieder umfassenden Ständerates „betrat
Bursche das Gebiet der politischen Aufgaben, die vor allem die
inneren Angelegenheiten des sich bildenden Staates betrafen,
Fragen der Bildung, der Rechtsprechung und auch der Kirche"
(52). Auch in die Aufjenpolitik wurde B. hineingezogen: Es ging
um die Grenzen des neuen polnischen Staates, dessen „Volk schon
länger als 120 Jahre zerrissen und unter 3 Okkupanten aufgeteilt
war, manche Staatsgebiete waren schon vor ein paar Jahrhunderten
von Polen losgerissen worden. Es galt, verschiedene
Faktoren zu berücksichtigen: ethnische, ökonomische und auch
Bekenntnisfragen, die eine nicht unwesentliche Rolle spielten"
(57). Eine Abstimmung betraf die Masuren, die ethnisch den
Polen nahestanden und evangelisch waren. Natürlich bemühte
sich die evangelische Kirchenleitung in Polen um diese Menschen
. Jene Masuren waren politisch links orientiert; das erschwerte
den Kontakt zu Polen, wo man „Demonstrationen
auseinandertrieb, Sozialisten und Kommunisten einkerkerte"
(72). Jene Volksabstimmung war für Polen enttäuschend. „Sehr
tief durchlitt Generalsuperintendent Julius Bursche diese Niederlage
" (74). Die wenigen evangelischen Masuren, die zu
Polen kamen, wurden tatsächlich von den neuen polnischen
Beamten als „Deutsche und als Feinde" betrachtet (75). Komplizierend
wirkte noch, daß die evangelischen Masuren zur
preußisch-unierten Kirche gehörten; 1922 hielt der Poscner
Generalsuperintendent Blau eine Visitation ab. Ein von B. eingesetzter
Pfarrer bemühte sich um eine lutherische Konkurrenzgemeinde
. Begreiflicherweise „war ein ständiger Streit im
Gange" (78). Die Lage nach 1933 umreifjt G. mit den Worten:
„Die polnische Regierung paktierte mit Hitler. Gleichzeitig
wütete der bodenständige Chauvinismus..." (84 f). Gerade in
dieser Zeit verlangten 18 000 Masuren die Abhaltung evangelischer
Gottesdienste in masurischer Sprache. Zwei faschistische
Lehrer äußerten den Verdacht, daß die Bekennende Kirche
Ostpreußens hier mit am Werke sei (85).

Es gab zahlreiche „Bemühungen um den Zusammenschlufs
aller Evangelischen" (87—97). Zwei reformierte Kirchen waren
für Bursche unbequem; am schwersten aber hatte er es mit
der linierten Kirche. Generalsuperintendent Blau (Posen) wandte
sich an die Ökumene. Bursche legte seinen Standpunkt dar

in Berlin und Kopenhagen, ehe es zu der bekannten Konferenz
von Uppsala 1921 kam, die Erzbischof Söderblom angeregt hatte.
Für die polnischen Vertreter in Uppsala war es belastend, dafj
damals im Parlament katholische Kreise einen bedrückenden
Antrag eingebracht hatten, wie die Beziehungen des polnischen
Staates zu den evangelischen Kirchen aussehen sollten. Fast
gleichzeitig wurde in der polnischen Verfassung festgelegt,
daß nur ein Katholik Präsident der Republik werden könne
(95). Immer wieder setzte sich B. für die Rechtsgrundlagen
seiner Evangelischen Kirche ein (97—105). Über die schwierigen
Verhandlungen sagt G. u.a.: „Man nahm in Polen Hitlers Pro
pagandaminister Goebbels gastlich auf und lud Hitlers Marschall
Göring zur Jagd nach Bialowieza ein, aber man traute
den Evangelischen nicht, nicht einmal den Polen unter ihnen.
Man zögerte die Angelegenheit der Grundordnung für die
evangelische Kirche endlos hinaus" (102). Erst 1936 gab der
polnische Staat eine Grundordnung, die jedoch viele Wünsche
der Evangelischen nicht befriedigte. Trotzdem hat B. dieser
Ordnung zugestimmt, was ihm manche Kritik einbrachte. G.
verteidigt B.s Haltung: „Die Evangelische Kirche Augsburger
Konfession hat heute ihre Rechtsstellung. Dezimiert durch die
Schuld derjenigen, die früher als Kritiker auftraten, angeblich
die Freiheit der Kirche, in Wirklichkeit aber das Deutschtum
verteidigend, existiert die Kirche, und das auch dank der Tatsache
, daß Bursche mit einer — für viele unverständlichen
Beharrlichkeit — für die Festlegung ihres Rechtsstatus kämpfte.
Er fühlte und wußte, daß die durch ein Dekret eingeführte
Grundordnung unbefriedigend und überdies Ausdruck eines
verletzenden Mißtrauens war. Dennoch war er der Überzeugung
, daß diese Grundordnung besser ist als gar keine. Die
Geschichte hat ihm recht gegeben" (105). Die folgenden Ab
schnitte sind überschrieben „Versuche evangelischer Kreise im
Ausland, gegen das Wirksamwerden der Grundordnung zu
intervenieren" (106—13) sowie „Organisierte Obstruktion der
neuen Kirchenordnung" (114—20). Unbeirrbar hielt B. an seinem
Weg fest und wurde 1937 zum Bischof der Evangelischen Kirche
Augsburger Konfession in Polen gewählt. Auch der Abschnitt
„Fürsorge für den theologischen Nachwuchs" bietet
wichtige kirchenpolitische Fakten: Faschistische Kandidaten
wurden nicht ordiniert: „Ein Theologe, der den Nationalsozialismus
bekennt, kann nicht Pastor in der Evangelischen Kirche
Augsburger Konfession sein" (126). Im Herbst 1939 wurde B.
nach der Zerstörung Warschaus verhaftet. Aus dem Konzentrationslager
Sachsenhausen schrieb er am 15.2.42 seinen
letzten Brief, im März wurde sein Tod am 20. 2. 42 mitgeteilt.
Viele Einzelheiten teilt G. mit, einiges trägt Gerh. Bassarak noch
nach (14—19). Manches wird ungeklärt bleiben. G. selbst hörte
im Konzentrationslager Dachau von Bursches Tod „im Zustand
eines abgestumpften Schweigens" (124).

In einem Arbeitskreis evangelischer Kirchenhistoriker aus
Polen und der DDR hatte das Schicksal von B. häufig eine
Rolle gespielt (ZdZ 17, 1978, Heft 2/3). Hier wird man besonders
dankbar für die detaillierten Auskünfte sein. Aber auch
ein breiterer Leserkreis wird das Anliegen eines polnischen
Luthertums verstehen und sowohl dem Bischof B. wie auch
dem hier vorgelegten Buch hohen Respekt zollen.

Rostock Gert Haendlcr

Bäumer, Remigius: Ludwig Pastor im Urteil der Freiburger
Philosophischen Fakultät. Zu den Diskussionen um die Wiederbesetzung
des Lehrstuhls von A. Schulte 1896 (RQ 74,
1979 S. 108-123).

Cavalleri, Ottavio: Atti della Congregazione cardinalizia per
le Finanze (1853-1854). Contributo alla conoscenza dcllc
fonti per la storia finanziaria dello Stato pontificio ncll'etä
di Pio IX (RQ 74, 1979 S. 91-107).

Gcrlach, Wolfgang: Zwiespältigkeit in der „Judenfrage". Bon-
hoeffers Mut und die Furcht der Kirchenkämpfer (LM 18,
1979 S. 463-466).

Homrichhausen, Christian: Ernst Friedrich Albert Baur - ein
Beitrag zum liberal-konservativen Pfarrerbild im 19. Jahrhundert
(ZRGG 31, 1979 S. 239-261).