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Ausgabe:

1980

Spalte:

747-750

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bornkamm, Günther

Titel/Untertitel:

Paulus 1980

Rezensent:

Weiß, Konrad

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 10

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werfung Jesu von Seiten „dieses Geschlechtes". 2) Man bestimmte
„Q" in einer neuen Weise. Zwar nicht so, daß man
konkrete neue Abgrenzungen präsentierte, aber so, daß man
den Schwerpunkt auf die Texte legte, wo die neuentdecktc
Theologie und Christologie zu finden war. Diese Logien werden
sozusagen als eigentümlicher für „Q" angesehen als andere.
Und welche Texte sind das? Vor allem die Texte, die nach dem
ersten Kriterium des Vf. „Q" zuzuschreiben sind, die Texte,
wo Matthäus und Lukas sehr nahe übereinstimmen. Dabei hat
man aber meistens — einer sehr gewöhnlichen Praxis folgend —
von „Q" gesprochen, als ob alle wüßten, was „Q" sei. Es ist
ein Verdienst Vassiliadis', daß er mit dieser Praxis bricht und
wenigstens einen Versuch macht, Kriterien für die Abgrenzung
eines „Q"-Dokumentes zu finden. Die Frage ist ja auch für die
Beurteilung der Theologie von „Q" wesentlich. Nur wenn man
„Q" ziemlich eng faßt, passen eigentlich die neueren Untersuchungen
über die Theologie von „Q". Wenn man „Q" so weit
faßt wie die Alten, kann man das Ethische nicht abweisen.
Die großen Schwankungen in der Beurteilung der Theologie
von „O." hängen davon ab, wie man „Q" abgrenzt oder — vielleicht
besser — worauf man den Schwerpunkt legt. V. hat diese
Zusammenhänge nicht so klar dargestellt, wie man es vielleicht
wünschen könnte. Er hat sich wesentlich mit einem sorgfältigen
Referat begnügt. Aber er hat doch das Problem besser gesehen
als die meisten.

Kopenhagen Olof Linton

Bornkamm, Günther: Paulus. Berlin: Evang. Verlagsanstalt
(Lizenzausgabe des Verlages W. Kohlhammer, Stuttgart)
[1977]. 260 S. m. 1 Kte 8°.

Der Nachdruck von Bornkamms Paulus-Buch aus der Reihe
der Urban-Bücher durch die EVA ist eine lebhaft zu begrüßende
Bereicherung der dem Forscher, dem Studenten
und dem Laien in der DDR verfügbaren neutestament-
lichen Literatur. Daß das Buch diesem weiten Leserkreis
zugedacht ist, versichert B. dm Vorwort, ohne freilich zu
verschweigen, daß es besonders dem Laien einiges zumutet1.
Man könnte das Gleiche aber auch bezüglich des Forschers
sagen, der sich gelegentlich durch Darlegungen unumstrittener
Selbstverständlichkeiten, besonders in der vita Pauli, aufgehalten
sieht, die aber eben um des Gesamtbildes für den Laien
willen nicht zu vermeiden sind. Andererseits aber kann der
Forscher stutzig werden, wenn dabei gelegentlich durchaus
kontroverse Gegenstände in wenigen Worten diskussionslos
wie erwiesene Tatsachen vorgetragen werden. Aber dergleichen
ist in einem Buch dieses Charakters und von den Beschränkungen
her, die eine populär-wissenschaftliche Reihe erfordert, unumgänglich
. Und mit dieser Einschränkung kann dem Vf. nur
bescheinigt werden, daß ihm der Wurf wie mit seinem vor
zwei Jahrzehnten in der gleichen Reihe vorangegangenen
Jesus-Buch gelungen ist. Ja, er ist insofern kat'hyperbolen
gelungen, als hier dem Bearbeiter festes und gesichertes Material
reichlicher zur Verfügung steht, er es fester im Griff hat
und daher auch präziser und intensiver bearbeiten kann. Eben
das spürt man dem Buch in allen seinen Teilen ab. Hier legt
ein Neutcstamentler von einem lebenslangen Umgang mit
dieser faszinierenden Gestalt, mit den von ihm und über ihn
hintcrlassenen Dokumenten und mit den unmittelbar von ihm
ausgegangenen Wirkungen Zeugnis ab. Er hat Paulus „im
Griff". Das Verständnis des einzelnen entspringt einer Gesamtanschauung
von Paulus, die ihrerseits aus der intensiven Bemühung
um das Einzelne erwachsen ist.

Dabei kommt B. sein Talent zugute, die Schilderung äußerer
Abläufe mit erkennbaren Motivierungen, mit Inhaltsangaben,
mit Erörterungen kritischer Einzelprobleme und theologischen
Reflexionen in einer flüssigen Darstellung zu einer lesbaren
Einheit zu verbinden.

Das methodische Prinzip seiner Darstellung leitet er aus
Werk und Wesen des Paulus selbst ab, dessen Eigenart er m
der ständigen Wechselbeziehung von Glaubenserkenntnis und
geschichtlicher Erfahrung aufeinander sieht (26). Glänzend

bewährt zeigt sich dieses Prinzip vor allem im Verständnis
und bei der Erörterung des Römerbriefes (I, 10), auf deren
Resümee (HOf) besonders hingewiesen sei.

B.s Standpunkt auf dem Felde der Paulus-Forschung findet
man mit klaren Formulierungen und teilweise namentlich
präzisierter Abgrenzung im Abschnitt „Heilsgeschchen und Hcils-
geschichte" (T. II, Abschn. III, 4) dargelegt. Es geht um den
Gegensatz zwischen der „angeblich individualisierenden Interpretation
der Heilsbotschaft des Apostels" (sprich: Bultmann)
und Käsemanns Verständnis von „Gottes Gerechtigkeit als
Macht", mit der sich Gott im eschatologisch verstandenen
Christusgeschehen „in der .... Welt durchsetzt". Daß bei K.
die paulinische „Zuordnung von Gottesgerechtigkeit und Glaube
merkwürdig zurücktritt", ist B.s Gegenargument gegen
diese Paulus-Auffassung, wie er überhaupt die Leistung des
Paulus in der Befreiung des Menschen als begnadeten Sünders
aus den apokalyptischen Verhängnissen und der Theologie
vom „furchtbaren Irrweg des Theodizee-Problcms" sieht. Umgekehrt
sei die Privatisierung des Gott-Mensch- und Mensch-
Gott-Verhältnisscs durch die Einbeziehung des einzelnen in die
„Heilsgeschichte" vermieden, einer Heilsgeschichte freilich, die
nicht eine Geschichte von „irdisch-natürlicher Kontinuität" sei.
„Die einzige Kontinuität, die es" in ihr „gibt, ist Gott selbst,
seine Verheißung und der Glaube, der seinem Worte traut".
Dennoch „wirkliche Geschichte", von der „Abraham widerfahrenen
Gnade" an bis zur Gnade, „die allen im Glauben" —
und das heißt in der Geschichte Jesu Christi — „zuteil werden
soll". Damit seien Leitmotiv der Heilsgeschichte und der Rechtfertigungs
-Lehre bei Paulus identisch.

Angesichts des bis hierhin Dargelegten fällt es begreiflicherweise
schwer, in Details der Kritik oder wenigstens kritischer
Anfragen an dieses Buch einzutreten. Denn natürlich gibt es
deren die Fülle gegenüber einem mit so gefestigtem Urteil
schreibenden Autor. Beschränken wir uns auf Grundsätzliches
und einige wichtige Details.

In der Frage des Verhältnisses Paulus — Apostelgeschichte,
dem mit gutem Grund ein langes einleitendes Kapitel gewidmet
ist, schließt sich B. im wesentlichen den in der Forschung
erarbeiteten kritisch-negativen Urteilen über den Geschichtswert
der letzteren, von den Tübingern angefangen, an. Wichtige
Argumente für ein näheres Verhältnis des Acta-Autors zur
wahren Paulus-Geschichte und zu dem Paulus der Briefe, die
kritisch erarbeitet wurden, sind nicht zur Kenntnis genommen.
Darum gehöre ich zu den von B. auf S. 18 angesprochenen
„Vertretern der Forschung", denen öfter sein Urteil in dieser
Frage „übertrieben erscheint"-. Das gilt - neben vielen Einzelheiten
, die zu bemerken dem aufmerksamen Leser überlassen
werden muß — z. B. ebenso für die „Sicherheit", mit der B.
ausschließt, daß Lk für Acta 21—26 keinerlei „zuverlässige
Traditionen" zur Verfügung standen (115), als auch dafür, daß
B. die Deckungsglcichheit zwischen dem Schema Acta l,8f für
den Lauf der Evangeliums-Zeugen von „Jerusalem . . . bis ans
Ende der Erde" mit dem von ihm aus Rom 15,19 gezogenen
Schluß ignoriert, daß „Jerusalem für ihn (Paulus) heilsge
schichtlicher Mittelpunkt der Welt und Ausgangsort des Evangeliums
für die Völker ist"3.

Was Jerusalem anlangt, so streiten die im Interesse der
Distanzicrung zwischen Paulus und Acta in der Darstellung
immer wieder begegnenden Untertreibungen der Bedeutung,
die Jerusalem im Konzept des Paulus hat, mit dessen eignen
Worten und Verhalten'1. So z. B. bei dem Versuch, Pauli Besuch
bei Petrus Gal 1,18 über das von Paulus selbst Gesagte hinaus
herunterzuspielen. Denn wenn „sicher zwischen beiden das Verständnis
der Christusbotschaft zur Sprache gekommen" ist (50),
so kann doch nicht gleichzeitig in Abrede gestellt werden, daß
Paulus dabei auch „Informationen eingeholt" hätte.

Ein Fragezeichen ist hinter die These zu setzen, daß Paulus
bereits auf der ersten selbständigen Reise (Acta 15,36ff), „spätestens
seit Klcin-Asien und auf dem Weg durch Macedonicn
bis Thessalonich Rom als fernes Ziel vorschwebte" (70). Abgesehen
von der Frage, warum er dann seinen Fluchtweg aus
Thessalonich nicht in östlicher, sondern in südlicher Richtung
bis Athen und Korinlh nahm, bleiben dann die langen späteren