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Ausgabe:

1980

Spalte:

745-747

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Vassiliadis, Petros

Titel/Untertitel:

The Q-Document Hypothesis 1980

Rezensent:

Linton, Olof

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 10

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werden können, so hat die vorliegende Einleitung in geglückter
Weise versucht, einen Weg zwischen der bloßen Sammlung
von Ergebnissen und der zensurierenden Darlegung der ,rich-
tigen' Ergebnisse hindurch zu finden. Der Leser wird informiert,
aber nicht bevormundet, sondern exemplarisch in die Einlei-
tungswissenschaft eingeführt, wozu gehört, daß es an begründeten
Anregungen, welche die Wissenschaft selbst weiterführen,
nicht fehlt.

Berlin (West) Walter Schmithals

Vassiliadis, Petros: The Q-Document Hypothesis. A critical
Examination of Today's Literary and Theological Problems
Conccrning the Q-Documcnt. Diss. Athen 1977. 167 S. gr. 8°.

Wie der Titel besagt, befaßt sich die vorliegende Arbeit
hauptsächlich mit der aktuellen Debatte über die Logicnquelle.
Diese Aufgabe kann aber nicht ohne einen Rückgriff auf ältere
Untersuchungen gelöst werden, was auch deshalb notwendig
ist, weil der Vf. auch das Ziel verfolgt, seine Landsleute mit
der „westlichen" philologischen und theologischen Forschung
bekannt zu machen. Deshalb liegt sein Buch in griechischer
Sprache vor, wie auch alle Zitate ins Griechische übersetzt sind.
Nur die überwiegend englischen und deutschen Verfassernamen
und Buchtitel werden in der Originalsprache wiedergegeben,
viele deutsche Beiträge jedoch nach englischen Übersetzungen.
Das Letzte bedeutet aber nicht, daß die deutschen Arbeiten
in den Hintergrund verwiesen werden. Im Gegenteil: die
deutsche Forschung — und das gilt besonders für die neueste —
ist reichlich vertreten, u. zw. auch da, wo dem Vf. keine englische
Übersetzung zugänglich war. Dabei bleibt er aber Grieche
und behandelt die „westliche" Forschung von seinem Standpunkt
aus als ein interessantes und ziemlich einheitliches
Phänomen.

Das Buch besteht aus einer Einleitung und drei Kapiteln. Die
Einleitung beschäftigt sich mit den Termen „Q" und „logia",
der älteren Forschung von Eichhorn bis Streeter etc. und endet
mit einer Präsentation der in der Arbeit befolgten Methode
und Disposition.

Das 1. Kapitel (34—86) behandelt das Problem, ob eine Logicnquelle
jemals existiert habe. Hier werden die Einwände
sorgfältig wiedergegeben: die prinzipielle Unsicherheit, das
Verschwinden der Logicnquelle, die großen Meinungsverschiedenheiten
zwischen den Anhängern der Q-Hypothese, die traditionelle
Tendenz, Matthäus eine mehr zentrale Stellung zuzuweisen
. Weiter: die angebliche Uneinheitlichkeit von Q, die
abweichende Ordnung des Q-Materials, die Übereinstimmungen
zwischen Mt und Lk gegen Mk, die Hypothese, daß Lukas das
Matthäusevangelium benutzt hat. In einer Zusammenfassung
des 1. Kap. (82—85) greift V. wieder auf Streeter zurück und
gibt dann — nach abermaliger Erwähnung einiger Kritiker der
LQ-Hypothese, N. H. Palmer, E. P. Sanders, B. C. Butler und
W. R. Farmer — ein kurze Zusammenfassung der gewöhnlichen
Argumente für die LQ-Theoric.

Das 2. Kap. (86-118) behandelt a) literarische Gestalt,
b) Umfang und c) Entstehung der Logienquellc. Unter a) werden
die folgenden Probleme behandelt: schriftlich oder mündlich
? Antwort schriftlich; Originalsprache? Antwort: Griechisch;
Einheitlich? Antwort: Kaum, wenn man den ganzen nicht-
markinischen Stoff, der sowohl bei Matthäus als auch bei Lukas
auftritt, dem Q-Dokumcnt zurechnet. Diese Antwort führt
gleich zum nächsten Abschnitt: b) Umfang der LQ? Zunächst
werden hier verschiedene ältere Ansichten genannt und kritisiert
. Der Umfang des Q-Dokumentes ist nicht mit dem Signum
Q identisch. Das Q-Dokument enthält nämlich teils mehr: Stoff,
den auch Markus bringt („Überschneidungen"), teils weniger:
nicht alles, was Matthäus und Lukas gemeinsam über Markus
hinaus bringen. Damit entsteht eine neue und schwierige
Frage: Welche Kriterien berechtigen uns, Texte cinzubeziehen
oder abzuweisen? Hier stellt V. sieben Kanones auf (105—106).
Von diesen Kriterien ist das erste allein ganz sicher: wo eine
längere und zusammenhängende, fast vollständige, wörtliche
Übereinstimmung vorliegt, ist Zugehörigkeit zu „Q" gesichert.

Die anderen Kanones sind zweifelhafter und V. begnügt sich
da auch mit dem Votum „fast mit Sicherheit" oder „vermutlich
", was auch allzuviel ist. Im folgenden (107—110) macht V.
den kühnen Versuch, den Umfang (ektasis) von „Q" zu bestimmen
. Das Resultat ist weniger radikal als man erwarten möchte.

Im letzten Abschnitt des 2. Kap. behandelt V. dann in ziemlich
konventioneller Weise die alten Fragen nach Entstehung,
Ort, Zeit und Abfassung von „Q".

Damit ist das — gewiß nicht ganz sichergestellte — Fundament
für das dritte abschließende Kapitel gegeben: „Untersuchung
der theologischen Charakteristika der LQ" (119—149).
Zu Beginn (118—121) wird hier der Umfang von „Q" angegeben
— ca. 100 stichoi — doch mit dem Vorbehalt, daß „Q" eine
hypothetische Größe sei. Dann greift V. wieder auf ältere
Forschungen zurück, zunächst die ältere bis Harnack (121—122).
Hier wird die von Harnack und anderen vertretene Ansicht,
daß „Q" ein ethisches Enchiridion sei, abgewiesen. Darauf folgt
„die Periode von Harnack bis Tödt" (122—127), in Deutschland
bedeutet die „Formgeschichte" einen Neuanfang: Dibelius
spricht zwar noch von einem paränetischen Ziel, aber Bultmann
betont das Eschatologische und den Zusammenhang mit den
sophiologischen Traditionen der jüdischen Weisheitsliteratui.
In England haben Forscher wie J. C. Hawkins, Streeter, T. W.
Manson und C. H. Dodd das ethische Element betont (Streeter:
„ein Enchiridion der christlichen Ethik"), aber daneben auch das
polemische, antipharisäische, „prophetische", das Motiv des
drohenden Gerichtes usw. hervorgehoben. In Amerika haben
Forscher wie B. W. Bacon, F. C. Grant u.a. das Ethische und
Didaktische betont, aber auch andere Elemente gefunden, wie
den leidenden Gottesknecht, Sophia-Christologie etc. Ein Referat
würde aber wenig nützen, da schon die Darstellung des Vf.
stark gedrängt ist.

Zuletzt behandelt V. „Die Periode von Tödt bis heute"
(127-142). Hier werden zunächst H. E. Tödt, W. G. Kümmel,
W. D. Davies, J. H. Robinson und H. Koester erwähnt als Vertreter
einer neuen Würdigung der christologischen Elemente
von „Q". A. P. Polag, P. Polarny und G. N. Stantaon werden
zusammengestellt unter der Bezeichnung einer traditionsgeschichtlichen
Betrachtung, weil „Q" nach ihnen aus einer Gemeindetradition
hervorgegangen sei. Weiter folgt eine „eschatologische
" Würdigung, vertreten durch Namen wie D. Lühr-
mann, R. A. Edwards, S. Schultz und P. Hoffmann und endlich
die Betrachtung unter sophiologischem Aspekt, z. B. durch
M. J. Suggs und R. G. Hamerton-Kelly. Es ist nicht möglich, auf
alle diese Spczialfragen einzugehen, da verschiedene Gesichtspunkte
bei mehreren Forschern auftreten und verschiedentlich
verbunden sind. Wichtiger ist es, eine durchgehende Tendenz
festzustellen: das Zurücktreten der Ansicht, daß „Q" ein ethisches
Enchiridion sei, und eine Hervorhebung der theologischen
Elemente. Im übrigen bestehen große Verschiedenheiten,
indem bald das eine, bald das andere Element in den Vordergrund
rückt. Es dreht sich um neue Tendenzen, nicht aber um
einen neuen Consensus.

V. hat ein umfangreiches Material durchgearbeitet und im
Großen und Ganzen auch die neuen Strömungen richtig beurteilt
. Doch stellt man sich einige Fragen. Die Betonung des
Theologischen und Christologischen in „Q" kommt eigentlich
nicht davon, daß man das „Q"-Material als ein geschichtliches
Phänomen genauer als früher studiert hat. Der Ansatzpunkt ist
ein anderer. Das theologische Interesse an den Synoptikern —
erkennbar in vielerlei Hinsicht — hat sich auch des „Q"-Stoffcs
bemächtigt. Man wollte die Theologie von „Q" untersuchen
und fand dabei auch hier Theologie, mehr als man vielleicht
erwartet hatte. Schon die alten Anhänger der „Q"-Hypothcsc
haben Theologie und Christologie in „Q" finden wollen, haben
aber wenig gefunden. Theologie und Christologie waren nämlich
damals wesentlich Leidenstheologie und Kreuzestheologie, und
das fand man nicht. Das Ethische, das man suchte, das fand
man — und nicht ohne Grund. Die neue Würdigung der Theologie
in „Q" hängt also mit zwei Faktoren zusammen. 1) Man
faßte Theologie in einem weiteren Sinn. So fand man Theologie
in „Q", aber eine in vielerlei Hinsicht eigentümliche Theologie,
Gcrichtscrwartung, „Menschensohn", Sophia-Christologie, Ver-