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Ausgabe:

1980

Spalte:

714-717

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schuh, Hans

Titel/Untertitel:

Interaktionsanalyse 1980

Rezensent:

Wegenast, Klaus

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Theologische Literaturzeitung 105. Jahrgang 1980 Nr. 9

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Für die didaktischen Aufgaben, die sich aus der Team-Arbeit
für ein Lehrerkollektiv ergeben, sind bisher von der Pädagogik
nur wenige und meist unzureichende Hilfen angeboten
worden. Hinzu kommt, dafj den Praktikern in der Bundesrepublik
— an die sich das vorliegende Buch ausschließlich
wendet — noch kein in ihren Schulen erprobtes Modell der
Sexualcrziehung im Teamwork angeboten wurde.

Diese Lücke will die vorliegende Arbeit schließen helfen.
Durch einen interdisziplinären Lehrplan zur Sexualerziehung
wird der bisher nur ganz allgemein gehaltene Rahmen schulischer
Richtlinien gefüllt und präzisiert. Über einen Zeitraum
von sechs Jahren werden für jede Klasse Globalziele der Erziehung
auf Feinziele einzelner schulischer Unterrichtsfächer
hin didaktisch und methodisch aufgearbeitet.

Der Vf. H. D. Knoop, ein erfahrener Pädagoge und langjähriger
Schuldirektor, leitet heute die Arbeitsgemeinschaften
in der Bundesrepublik zur Lehrerfortbildung im Bereich der
Sexualpädagogik. Auch seine Mitarbeiter erweisen sich als
Fachleute auf dem Gebiet fachdidaktischer Konzeptionen und
der Schulstrukturfragen.

Das Lehrplanwerk ist so aufgebaut, daß für das 5.—10. Schuljahr
jeweils für die Fächer Biologie, Politik (Gesellschaftslehre
), Deutsch, Evang. Religion, Kath. Religion, Kunst und
Musik präzisierte Unterrichtseinheiten aus dem Bereich folgender
Hauptthemenkreise angeboten werden:

Biologisch-medizinische und psychologische Grundkenntnisse
(28-51; 5. Schuljahr)

Erscheinungen und Bewältigung der Pubertät
(54-71; 6. Schuljahr)
Schwangerschaft und Geburt
(73-110; 7. Schuljahr)

Soziale, sozialethische und rechtliche Aspekte
(112-149; 8. Schuljahr)

Familienplanung, Rollenerwartung und Sexualethik
(154-184; 9. Schuljahr)

Soziologische Bezüge, Variationen und Deviationen des

Sexualverhaltens

(186-232; 10. Schuljahr)

Für jedes der erwähnten Unterrichtsfächer handelt es sich
um zwei bis drei Unterrichtseinheiten, die im Verlauf eines
Schuljahres auch zeitlich unterzubringen sind. Das angebotene
Arbeitsmaterial, die geschickt formulierten Lernziele, die vorgeschlagenen
Teilschritte der Unterrichtsentwürfe sowie das
sorgfältig ausgewählte Literaturangebot lassen erkennen, daß
hier mit der notwendigen Sachkenntnis und mit einem großen
Verantwortungsbewußtsein bereits in der Praxis bewährte
Projekte vorgelegt werden.

Das Curriculum ist so angelegt, daß sein Angebotscharakter
deutlich bleibt. Die Lehrer werden also in jedem Fall dem
jeweiligen Entwicklungsstand der Klasse entsprechend die erzieherische
Situation einzuschätzen und das Materialangebot
danach zu sichten bzw. zu ergänzen haben.

Ein Teil der vorgelegten Informationen ist sicher nicht als
Wissensvermittlung für ganze Schulklassen geeignet, sondern
wird eher als Material für Einzelgespräche, seelsorgerliche
Beratung von Jugendlichen oder Gruppenarbeit mit den Eltern
heranzuziehen sein.

Wahrscheinlich wird ein Teil des vorgelegten Materials auf
den ersten Blick hin schockieren. Aber hinter allen Vorschlägen
sollte man die nüchterne Einschätzung der wirklichen
Situation der Jugendlichen und die große Lebenserfahrung der
Hrsg. sehen, die in spürbarer Zuwendung verständnisvoll zu
der ihnen anvertrauten Jugend stehen und bei der Bewältigung
der anstehenden Probleme zielbewußt die Lösung nicht
dem Selbstlauf überlassen wollen.

Sicher werden manche Passagen kritisch überlegt und verbessert
werden müssen. Eine methodenkritische Diskussion ist
jetzt zu diesem Zeitpunkt, wo ein klar konzipierter Lehrplan
mit einem ausführlichen Medienangebot vorgelegt wird, unerläßlich
; denn es ist hier tatsächlich gelungen, Geschlechtserziehung
nicht mehr als »Kampagne", sondern als Bestandteil
einer Gesamterziehung der Persönlichkeit darzustellen.
Auch ist man hier nicht in den Fehler verfallen, von einer Verbesserung
der Unterweisung binnen kurzer Zeit entscheidende
Umwälzungen im Erziehungsergebnis zu erwarten, zumal
gerade in diesem Bereich ethische Werte nicht .machbar" sind
und sich auch weiterhin nicht allein rational durch klare Lehre
und guten Medieneinsatz, sondern wesentlich durch das Erziehungsvorbild
aufbauen.

Der vorliegende Band macht aber auch deutlich, wie mit zunehmender
Beachtung der Sexualproblematik allein schon im
Bereich der evangelischen Theologie eine Vielzahl wissenschaftlicher
Untersuchungen notwendig werden. So können die theologischen
Aussagen für das Fach evangelische Religion sowie
ihre systematische Fundierung im biblischen Problemfeldbezug
durchaus noch nicht befriedigen. Hier müssen von der
praktischen Theologie und der Sozialethik her noch wesentliche
Hilfen gegeben werden. Mehrere Themen sind in jedem
Fall im Fach Religion falsch plaziert. „Formen der Sexualität"
(171—72) sind kein zentrales Thema evangelischer Unterweisung
in diesem Bereich. Hier sollte man das zwar zitierte, aber
wohl nicht benutzte, bahnbrechende Buch von Botho Herrmann
, Sexualerziehung im Religionsunterricht. Gütersloh ''1974-,
mit seinen für das Fach Religion beispielhaften Modellen und
Projekten als Ergänzung benutzen und ähnliche Arbeitsbücher
mit Materialsammlungen und Medienkatalogen auch für die
anderen Unterrichtsfächer erarbeiten.

Ein gründliches Studium des vorliegenden Lehrplanwerkes
mit seinen einführenden und die Methodik erläuternden,
pädagogisch hochinteressanten Beiträgen zeigt seine hervorragende
Brauchbarkeit und den gegenüber bisherigen Veröffentlichungen
erzielten inhaltlichen, methodischen und didaktischen
Fortschritt auf dem Gebiet der Sexualerziehung.

Greifswald Günther Kchnsdierper

Schuh, Hans: Interaktionsanalyse. Eine empirische Untersuchung
zur Praxis des Religionsunterrichts. Zürich—Einsiedeln
-Köln: Benziger (1978). 374 S. 6 S. Anhang gr. 8° = Studien
zur Praktischen Theologie, 17. Kart. DM 29,80.

Religiöse Erziehung in Kirche und Schule war seit eh und
je von normativen und deduzierenden Konzeptionen bestimmt.
„Vom Text zum Unterrichtsentwurf" hieß die Devise und als
Ziel wurde der Glaube genannt oder aber ein angemessener
Umgang mit der Bibel oder die Einübung in kirchliche Verhaltensmuster
. Eine empirische Überprüfung der Zielprojektionen
an wirklicher Praxis galt schon deshalb als suspekt, weil
Glaube und christliches Leben ja im Grunde nicht machbar
waren, sondern als Werk des Heiligen Geistes verstanden wurden
. So ist es nicht weiter verwunderlich, daß religiöse Erziehung
in der Vergangenheit Verschiebungen im Raum der Realitäten
überhaupt nicht oder doch nur verspätet zur Kenntnis
nehmen konnte und folglich „unangepaßt" an die Bedürfnisse
der Schüler und der Gesellschaft nicht selten ein Nachtwächterdasein
fristete. „Religionspädagogik ohne Realitätskontrolle
leistete (also) nicht mehr, als daß sie im Gesamt der Disziplinen
eines theologischen Fachbereichs eine Leerstelle verdeckte
." Die hier zur Begutachtung vorliegende Mainzer Dissertation
(Mentor: G. Stachel) stellt nun einen Beitrag zu
einer empirischen Religionspädagogik dar, die der Forderung
z. B. des Rez. aus dem Jahre 1968 gerecht wird, gegenwärtige
Praxis des Religionsunterrichts und des kirchlichen Unterrichts
nicht auf Grund idealer Forderungen zu beurteilen, sondern
auf Grund einer Analyse der Wirklichkeit der Praxis. Dabei
werden fragwürdige Theorien wie von selbst gegenstandslos.
Ein Fortschritt kann an dieser Stelle eben nur dann erzielt werden
, wenn Theorie und Praxis auf der Grundlage kontrollierter
Praxis revidiert werden und das Heil nicht in immer neuen
Anfängen gesucht wird (23).